Inhaltsverzeichnis
1 Allgemeine Notfallversorgung
Ein modifiziertes ABCDE-Schema ist empfehlenswert.
- Atemwege/(Be)Atmung und Analgesie
- Beurteilung
- Circulation (i.v. /i.o. Zugang ?/Volumengabe?)
- Disposition (Zielklinik? Zentrumsindikation) und Dokumentation
- Erhalt der Körperkerntemperatur und
- Re-Evaluation
Initiale Maßnahmen wie das Löschen brennender Kleidung und die Kühlung der Wunden werden meist von ersthelfenden Laien / Eltern durchgeführt. Die häufig noch andauernde Kühlung sollte umgehend vom Notfallteam beendet werden.
Hitzespeicher wie verbrannte oder mit heißen Flüssigkeiten durchdrungene Kleidung sowie Schmuck sollten entfernt werden. Eingebrannte Textilien müssen dabei umschnitten werden.
Bei der präklinischen Kühlung ist folgendes zu beachten:
- nur sofort, innerhalb von 2 min nach Hitzeexposition sinnvoll
- Applikation von lauwarmem Leitungswasser (ca. 20 °C)
- Dauer maximal 10 min /CAVE Hypothermie
- bringt kurzzeitigen analgetischen Effekt
- Stamm und Kopf nicht kühlen, nur kleinflächige Schädigungen /CAVE Hypothermie
2 Atemwege und (Be-)Atmung
Verbrühungen im Gesichtsbereich können ein Hinweis für eine Hitzeeinwirkung bis in die Atemwege sein. Eine gründliche enorale Inspektion ist nötig. Es kann rasch zur Schwellung der Schleimhäute mit Atemwegsverlegung kommen. Ein inspiratorischer Stridor kann ein klinischer Hinweis für ein hitzebedingtes Ödem im Kehlkopfbereich sein. Bronchospasmus und Lungenödem können folgen.
Verbrennungen im Gesichtsbereich und pathologische Schleimhautverfärbungen müssen an ein Inhalationstrauma denken lassen. Finden sich Hinweise auf eine schwere thermische Schädigung der oberen Atemwege wie enorale Blasenbildung sowie ausgeprägter Stridor, ist eine sofortige tracheale Intubation zur Sicherung des Atemwegs erforderlich.
Bei auskultatorischem Giemen/Brummen kann die Inhalation von Bronchodilatatoren (Beta2- Sympathikomimetika) Erleichterung bringen. Salbutamoldosierung: 3 mg bei < 25 kgKG, 5mg bei > 25 kgKG auf 3 ml NaCl 0,9% verdünnen und über einen Vernebler applizieren. Alternativ stehen in vielen Rettungsdienstbereichen Fertigampullen zum Inhalieren zur Verfügung.
Für die prophylaktische Gabe von Kortikosteroiden gibt es keine Evidenz.
Bei Brandunfällen muss zusätzlich an die Inhalationsintoxikation durch systemische Aufnahme von Brandgasbestandteilen gedacht werden (u.a. Kohlenmonoxid (CO), Cyanid).
Bei hohen CO-Hb-Werten können falsch hohe pulsoxymetrisch gemessene Sättigungswerte angezeigt werden.
3 Analgesie
Thermisch verletzte Kinder haben in der Regel einen hohen Analgetikabedarf. Die Schmerzintensität verhält sich umgekehrt proportional zur Verbrennungstiefe. Vor allem großflächige zweitgradige Verletzungen verursachen stärkste Schmerzen. Hier wird selbst ein leichter Luftzug als Schmerz empfunden. Die Schmerzhaftigkeit der Verletzungen, kombiniert mit dem situativen Stress für Kind und Angehörige, stehen initial im Vordergrund. Eine rasche und adäquate Analgesie des verletzten Kindes führt in dieser Situation am schnellsten zu einer relativen Entspannung für alle Beteiligten. Demgegenüber steht die Schwierigkeit, bei einem möglicherweise kleinen, abwehrenden Kind einen intravenösen Zugang zu etablieren.
Eine gute Möglichkeit zur Deeskalation bietet hier die nasale Applikation von Analgetika mittels Nasenzerstäuber MAD (Mucosal Atomization Devices) (siehe Abbildung 1+2). Hinsichtlich der Effektivität und dem Wirkungsbeginn ist diese mit einer intravenösen Gabe vergleichbar. Hier gibt es einige wenige Grundsätze zu beachten:
Den Zerstäuber sanft, aber so tief wie möglich ins Nasenloch einführen. Das Kind sitzt dafür am besten auf dem Schoß eines Angehörigen. Kopf und Arme werden für die Sekunden der Applikation vom Angehörigen fixiert. Wir empfehlen die Verwendung einer Luer-Loc Spritze, damit das Medikament mit Druck zerstäubt werden kann. So ist eine schnelle Resorption über die Nasenschleimhaut möglich. Pro Nasenloch kann beim Kind nur 1 ml verabreicht werden. Deshalb ist es wichtig, die hochkonzentrierten Ampullen Midazolam (5mg/ml) und Esketamin (25mg/ml) zu verwenden. Nur so kann man häufig die errechnete adäquate Dosis applizieren. Repetitive Gaben sind möglich. Bei Kleinkindern ist die Monogabe von Esketamin häufig ausreichend. Ist Midazolam nötig, dann sollte dies erst nach dem Esketamin verabreicht werden, denn durch den niedrigen pH-Wert brennt Midazolam unangenehm in der Nase.
3.1 nasale Applikation
- Esketamin 3 mg/kgKG
- Midazolam 0,3 mg/kgKG
- Fentanyl 0,4-2 µg/kgKG
Midazolam und Esketamin können in Kombination alternativ rektal appliziert werden. Esketamin 5 – 10 mg/kgKG Midazolam 0,5 mg/kgKG CAVE: Die rektale Aufnahme ist bei Hypothermie und Hypotonie nicht suffizient, außerdem braucht die Resorption mindestens 20 Minuten länger im Vergleich zur nasalen Applikation. Nach erfolgter Analgosedierung kann dann bei indizierter Volumengabe ein i.v. Zugang gelegt werden.
3.2 intravnöse Applikation
- Esketamin 1 – 2 mg/kgKG
- Midazolam 0,1 mg/kgKG
- Piritramid 0,1 mg/kgKG
- Morphin 0,1 mg/kgKG
Eine suffiziente Schmerztherapie ist auch zur Vermeidung von Hautperfusionsstörungen durch eine sympathikoadrenerge Vasokonstriktion extrem wichtig und trägt daher auch zur Vermeidung des Nachtiefens der Verbrennung bei. CAVE: KEINE Lokalanästhetika (EMLA-Pflaster/Cremes) topisch auf die verbrühte/verbrannte Haut auftragen. Durch die nicht mehr vorhandene Hautbarriere kann es schnell zu einer Lokalanästhetikaintoxikation kommen.
4 Beurteilung
Zur Einordnung des Verbrennungsausmaßes dient einerseits die Angabe der flächenhaften Ausdehnung bezogen auf die Körperoberfläche (% VKOF), andererseits die Verbrennungstiefe.
Zur Beurteilung der Ausdehnung werden in der Literatur verschiedene Regeln angegeben. Altersunabhängig gilt, dass eine Patientenhandfläche mit Fingern 1% der Körperoberfläche entspricht (siehe Abbildung 5). Die etwa ab dem 14. Lebensjahr anwendbare „Neunerregel nach Wallace“ ist bei den sich laufend ändernden Proportionen des kindlichen Körpers nicht gültig. Die Verbrennungstiefe ist anfangs nicht sicher zu diagnostizieren. Dies trifft insbesondere für Verbrühungen zu. Aus der Beurteilung ergeben sich wichtige therapeutischorganisatorische Entscheidungen bezüglich Volumentherapie und Zielkrankenhaus (siehe Disposition).
5 Kreislauf
Durch den thermisch bedingten Verlust des Epithels kommt es neben dem Wärmeverlust auch zum Flüssigkeitsverlust mit häufig resultierender Hypovolämie. Bei einer geschädigten VKOF von mehr als 10% (bei Säuglingen auch schon < 10%) kommt es darüber hinaus zur Freisetzung von Mediatoren und Toxinen mit der Gefahr eines Schockes. In Abhängigkeit von der Größe des Befundes entwickelt sich dieser dann innerhalb der ersten 30 bis 60 Minuten nach dem Trauma.
Neben dem Monitoring von Pulsfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung, welches beim aufgeregten Kind mitunter schwierig zu etablieren ist, bietet die Kontrolle der Rekapillarisierungszeit eine einfache Methode, einen beginnenden Schock zu detektieren. Nach Druck auf den Fingernagel sollte die Rekapillarisierung nicht länger als 2 Sekunden dauern. Bei zirkulären thermischen Verletzungen an den Extremitäten kann dieses Zeichen entsprechend verfälscht sein.
Eine Indikation für eine intravenöse oder intraossäre Volumengabe während des Transports besteht etwa ab einer VKOF ab 10%, vor allem wenn der Transport zur Klinik mehr als 30 Minuten beträgt oder wenn Begleitverletzungen ein Schockgeschehen verstärken können. Darüber hinaus ist bei unzureichender nasaler Analgesie und bei Intubationspflichtigkeit ein invasiver Zugang unerlässlich. Unter nasaler Analgosedierung ist die intravenöse Punktion beim Kind erheblich erleichtert. Gelingt dies nicht, sollte ein intraossärer Zugang realisiert werden. Aufgrund der Schmerzhaftigkeit sollte dies auch unter Analgosedierung erfolgen. Bevorzugte Punktionsstelle ist die Tuberositas tibiae. Verletzungsbedingte Hautschädigungen in diesem Bereich stellen keine Kontraindikation dar.
Zu beachten ist, dass der intraossäre Zugang in der Klinik innerhalb der nächsten 24 h wieder entfernt werden muss.
Die Kalkulation des Volumenbedarfs eines thermisch verletzten Kindes basiert auf der Gabe balancierter Vollelektrolytlösungen als Basisinfusion mit 10ml/kgKG/h. Bei Zeichen einer Hypovolämie ist eine Bolusgabe von 20ml/kgKG adäquat. Verbrennungsspezifische Infusionsregimes sind für den Rettungsdienst nicht nötig, da sie häufig zu einer Überinfusion führen. Eine unbalancierte Volumentherapie direkt nach dem Trauma ist assoziiert mit einer signifikant höheren Mortalität und Komplikationsrate. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in der Notfallsituation die VKOF in der Mehrzahl der Fälle überschätzt wird. Kann trotz ausreichender Volumengabe kein suffizienter Blutdruck generiert werden, muss mit einer Katecholamintherapie begonnen werden. Darüber hinaus muss an dieser Stelle auch an mögliche Begleitverletzungen gedacht werden.
Wie war der Unfallmechanismus? Muss weiterführende Diagnostik erfolgen?
6 Disposition
Das Transportziel ist, nach vorheriger Anmeldung, in der Regel die nächste geeignete Klinik für die Erstversorgung verletzter Kinder. Eine eventuell erforderliche Verlegung zur definitiven Versorgung in ein Brandverletztenzentrum sollte von dort aus organisiert werden. Die Verlegungsanfrage bzw. Anmeldung kann entweder direkt im nächst gelegenen Brandverletztenzentrum oder bei der zentralen Vermittlungsstelle für Schwerbrandverletztenbetten der Berufsfeuerwehr Hamburg (Tel. 040-42851-3999) erfolgen. Gibt es im Rettungsdienstbereich keine geeignete Kinderklinik, ist ein frühzeitig initiierter, luftgebundener Primärtransport des möglichst stabilisierten Kindes in ein ggf. entfernter liegendes Brandverletztenzentrum zu erwägen.
6.1 Zuweisungskriterien für ein Brandverletztenzentrum
Gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin sollten folgende Kinder in einem spezialisierten Brandverletztenzentrum versorgt werden. Kinder mit…
- Verbrennung/ Verbrühung 2. Grades von 10% und mehr der Körperoberfläche (KOF)
- Verbrennung/ Verbrühung 3. Grades von 5% und mehr der KOF
- Verbrennung/ Verbrühung 2. und 3. Grades oder entsprechende Schädigung durch chemische Substanzen mit Lokalisation im Gesicht, an Händen, Füßen, Achseln, im Anogenitalbereich und über großen Gelenken
- Inhalationstraumata
- Elektroverbrennungen
- alle thermischen Verletzungen 4. Grades
7 Dokumentation
Zur Vorbereitung der Übergabe in der Klinik gehört die vollständige Unfall- und Versorgungsdokumentation. Für die Weiterbehandlung wichtige Informationen sind die Unfall- , Einsatz- und Versorgungsdaten sowie alle durchgeführten Maßnahmen, Unfallanamnese, Begleiterkrankungen, geschätztes Körpergewicht und Umfang der Verletzungen. Die Mitnahme wichtiger Patientendokumente wie gelbes Kinderuntersuchungsheft, Impfpass und evtl. vorhandene Arztbriefe sind ebenfalls sinnvoll.
8 Erhalt der Körperkerntemperatur
Säuglinge und Kleinkinder sind aufgrund ihres erhöhten Oberflächen/Volumen-Verhältnisses, ihrem weniger isolierenden Fett und ihrer geringeren Muskelmasse besonders anfällig für eine Hypothermie. Durch die initiale Kühlung kommt es nicht selten zu schweren Unterkühlungen mit gravierenden negativen Folgen für den weiteren Krankheitsverlauf. Neben der Zunahme des Verbrennungsschadens kann es zur Immunsuppression mit verzögerter Wundheilung und Sepsisgefahr, zu Herzrhythmusstörungen und Gerinnungsstörungen kommen.
Deshalb sollten Kühlungsmaßnahmen sofort bei Eintreffen beendet werden. Steriles und trockenes Abdecken mit Verbandmaterial wie Brandwundenverbandstücher bzw. Metallinekompressen haben sich bewährt.
Danach ist ein sorgfältiges Bedecken/Einwickeln des Kindes mit/in z.B. eine warme Wolldecke wichtig. Schon beim Eintreffen sollte der RTW auch im Sommer aufgeheizt werden. Ist eine Infusionstherapie nötig, dann angewärmte Infusionslösungen verwenden.
9 Reevaluation
Nach der Primärversorgung bzw. während des Transports ist eine engmaschige klinische Überwachung mit allen Sinnen nötig. Wird das apparative Standardmonitoring toleriert, sollte es auch angebracht werden. Dies sollte jedoch nicht erzwungen werden. Bei beatmeten Kindern ist neben SpO2, EKG und NIBD zudem die etCO2-Messung unerlässlich. Analgesie bzw. Analgosedierung müssen auch während des Transports titrierend auf adäquatem Niveau gehalten werden. Falls möglich, sollte die Temperatur des Kindes auch während des Transportes erfasst und ggf. die Wärmezufuhr angepasst werden.
10 Zusammenfassung
Keep it safe and simple!
Kühlung stoppen
Atemwege inspizieren, Intubation bei V.a. Hitzeeinwirkung bis in die Atemwege CAVE: Ödem
sowie bei V.a. Brandgasintoxikation dann FIO2 1,0
Analgesie initial am schnellsten und einfachsten via intranasaler Gabe
Beurteilung
Patientenhandfläche mit Fingern = 1% der Körperoberfläche, Verbrennungstiefe initial nicht sicher zu diagnostizieren,
V.a. Inhalationstrauma?
Circulation
ab 10% VKOF Infusion indiziert: Start mit 10ml/kgKG/h Vollelektrolytlösung
Disposition
lt. Zuweisungskriterien Brandverletztenzentrum
Vermittlungsstelle der Schwerbrandverletztenbetten Tel. 0400-42851-3999
Erhalt der Körpertemperatur
vorgeheizter RTW
Kind nach Wundversorgung in Decke einwickeln, zum Transport auf den Schoß vom Elternteil setzen oder Kind auf Mutter oder Vater legen
Stand, Kontakt, Haftung
Stand: 18.08.2020
Theresa Brand
Oberärztin
Telefon