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Experteninterview mit Prof. Dr. med. Tim Niehues: Schreckgespenst Fieber verliert seinen Schrecken

In den meisten Fällen geht Fieber von selbst wieder vorüber. Die Höhe des Fiebers ist auch nicht automatisch ein Zeichen für die Schwere der Erkrankung. Es ist eine normale körperliche Reaktion, die dem Kind hilft. Was hier so einfach klingt, ist in Wirklichkeit ein völlig neuer Ansatz im Umgang mit Fieber. Eine neue Leitlinie für Kinder- und Jugendmediziner sowie die dazugehörenden Empfehlungen für Eltern sollen das Verständnis darüber, was Fieber eigentlich ist, ändern. 

08.08.2025 Lesedauer: - Min.
Experteninterview mit Prof. Dr. med. Tim Niehues: Schreckgespenst Fieber verliert seinen Schrecken

Prof. Tim Niehues, Chefarzt des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Helios Klinikum Krefeld, Leitlinienbeauftragter und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin räumt mit Fieber-Mythen auf und erklärt, wie Eltern sich richtig verhalten.  
 

Welchen Perspektivwechsel vollzieht die neue S3-Leitlinie „Fiebermanagement“?

Die neue Empfehlung berücksichtigt, dass Fieber eine wichtige Reaktion des Körpers zur Abwehr von Krankheiten ist. Früher dachte man, Fieber sei vor allem ein Symptom, das schnell behandelt werden muss. Heute weiß man, dass Fieber sich im Laufe der Evolution entwickelt hat und dem Immunsystem hilft, besser zu arbeiten. Diese Erkenntnis beruht unter anderem auf Untersuchungen, die gezeigt haben, dass höhere Körpertemperaturen die Arbeit der Abwehrzellen verbessern und die Vermehrung von Viren verringern.

Was ist eigentlich Fieber?

Fieber ist ein Symptom und keine Krankheit. Normalerweise ist es bei einer Infektion selbstlimitierend. Bei zuvor gesunden fiebernden Kindern und Jugendlichen gibt es auch keine Indikation, das Fieber aufgrund der Höhe der Temperatur zu senken. Da jedoch Eltern ab einer gewissen Schwelle nervös werden und verständlicherweise etwas für ihr Kind tun wollen, ist es wichtig gut darüber aufzuklären. An diesem Punkt setzen wir mit unserer neu vorgelegten Leitlinie an. In Deutschland existierten bislang keine Handlungsempfehlungen zum Umgang mit fieberhaften Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Wir zielen darin auf Aufklärung über ein sicheres Fiebermanagement und einen rationalen Einsatz von fiebersenkenden Arzneimitteln ab.

Wie messe ich überhaupt richtig Fieber?

Das kommt tatsächlich auf das Alter des Kindes an. Bei Neugeborenen und Säuglingen sollten Sie immer im Po mit einem Digitalthermometer messen. Die Spitze des Thermometers machen Sie am besten vorab gleitfähig. Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist eine Messung im Ohr möglich. Alternativ können Sie bei älteren Kindern und Jugendlichen auch unter der Zunge mit einem Digitalthermometer messen. Das ist aber etwas ungenauer, ebenso wie das Stirnthermometer. Auf eine Messung unter den Achseln sollten Sie wegen der Ungenauigkeit in allen Altersklassen verzichten.

Was braucht mein fieberndes Kind?

Ihr Kind braucht vor allem Zuwendung, Ruhe und Sicherheit. Achten Sie zudem darauf, dass Ihr Kind genug trinkt. Beim Fieberanstieg können die Kinder leicht frieren. Decken Sie Ihr Kind zu, wenn es das braucht. Auf dem Fieberplateau werden dagegen Hände und Füße warm. Wenn sich Ihr Kind unwohl fühlt, können Sie körperwarme Wadenwickel anwenden. Außerdem ist ungestörter Schlaf wichtig. Sobald das Fieber wieder sinkt, wird die Wärme im Körper verteilt. Das Kind fängt am ganzen Körper zu glühen. In dieser Phase entspannt es sich und schläft oft ein. Wenn es Ihrem Kind zu warm ist oder es sogar anfängt zu schwitzen, benötigt es weniger Wärme bis hin zur leichten Abdeckung. Der Fokus sollte immer auf dem Komfort und dem Wohlbefinden Ihres Kindes liegen.

Greifen Eltern zu schnell zu Fiebersaft?

Die Frage ist, welchen Zweck Sie verfolgen. Unsere Empfehlung ist klar: Geben Sie Ihrem Kind keine fiebersenkenden Medikamente, nur um die Temperatur um jeden Preis zu senken. Wenn es jedoch Schmerzen hat und stark beeinträchtigt ist, können Sie etwas geben, um das allgemeine Befinden zu verbessern. Die Höhe des Fiebers spielt dabei keine Rolle. Lediglich bei Säuglingen in den ersten drei Lebensmonaten wird schon bei einer Körpertemperatur von über 38 °C ein fiebersenkendes Zäpfchen gegeben.

Und wenn ich es doch brauche: Wie oft und wie viele fiebersenkende Medikamente darf ich geben?

Wie gesagt: Geben Sie die Medikamente nur, wenn Ihr Kind Schmerzen hat und auch nur so lange, bis es sich besser fühlt. Es ist besonders wichtig, die Medikamente in der richtigen Menge zu geben. Lassen Sie sich unbedingt von Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt oder in der Apotheke erklären, wie Sie für Ihr Kind die richtige Menge abmessen können. In der Regel hängt dies vom Gewicht Ihres Kindes ab. Ibuprofen ist außerdem erst ab dem Alter von 3 Monaten zugelassen.

Wann gehe ich doch zum Arzt?

Kinder unter drei Monaten müssen bei einer Temperatur von 38 °C immer beim Kinderarzt vorgestellt werden. Das Gleiche gilt, wenn Ihr Kind benommen, orientierungslos, nicht ansprechbar und stark schläfrig wirkt, starke Schmerzen hat und empfindlich auf Berührungen reagiert. Auch bei Austrocknung, zum Beispiel wenn seit mehr als 12 Stunden kein Urin ausgeschieden wurde, oder länger als drei Tage andauerndem Fieber ist ein Arztbesuch ratsam. Außerdem gilt wie immer: Wenn Sie sehr besorgt oder unsicher sind, kann Ihnen Ihr Kinderarzt helfen.

Wann darf mein Kind wieder in die Kita, den Kindergarten oder in die Schule?

Eine gute und ausreichend lange Zeit für die Genesung bedeutet für Ihr Kind auch längerfristig eine Stärkung. Sorgen Sie demnach für eine gute Erholung. Kinder sollten mindestens einen Tag fit und fieberfrei sein, bevor sie wieder in Kita, Kindergarten oder die Schule gehen.

Und der Fieberkrampf? Wie gefährlich ist er und wie verhalte ich mich?

Der Fieberkrampf ist ein häufiger Notfall im Säuglings- und Kleinkindalter. Er wird zumeist von den Eltern zu Hause beobachtet und als sehr beängstigend empfunden. Dabei bleibt er aber in der Regel ohne gesundheitliche Folgen für das Kind, er ist im medizinischen Sinne harmlos. In der Regel hören Fieberanfälle nach wenigen Minuten von selbst auf und es lässt sich nicht verhindern, dass sie auftreten. Fiebersenkende Medikamente wirken dabei nicht. Jeder erste Fieberkrampf erfordert eine ärztliche oder notärztliche Vorstellung.    

Fieber ist ein Symptom und keine Krankheit. Ihr Kind braucht vor allem Zuwendung, Ruhe und Sicherheit.

Helios Kliniken GmbH