Anderen Betroffenen Mut machen

Rajko Sy wurde als erster Patient der Adipositas-Sprechstunde in den Helios Kliniken Schwerin operiert. Er möchte adipösen Menschen mit seiner Geschichte Mut machen, sich Hilfe zu suchen.
Vor rund 20 Jahren hatte Rajko Sy einen schweren Verkehrsunfall. Zwei Jahre war er durch die Folgen bewegungsunfähig. Für den zuvor sportlichen Familienvater eine schwierige Zeit. „Ich habe Depressionen bekommen. Das einzige, was mir in dieser Zeit Linderung verschafft hat, war Essen“, erzählt Sy. Oft endete das in regelrechten Ess-Attacken. Auch nach der Zeit nahm Sy immer weiter zu, bis er zu Höchstzeiten 170 Kilo wog. „Ich hatte starke Schmerzen, war in meinen Beruf als Fahrer in einer Reha-Klinik immer weniger belastbar.“ Im Alltag machte sich das Gewicht ebenfalls bemerkbar. Kurze Strecken oder Treppensteigen verursachten Probleme. Sy entwickelte Diabetes mellitus Typ 2 und musste schon bald hohe Mengen Insulin spritzen. All das verschlimmerte seine Depressionen.
„Natürlich habe ich auch versucht, mein Gewicht zu reduzieren“, betont Rajko Sy. „Zwischenzeitlich konnte ich sogar 30 Kilo abnehmen. Dabei haben mir Medikamente geholfen, allerdings immer nur kurzzeitig.“ Durch seine Frau, die in den Helios Kliniken Schwerin in der Pflege arbeitet, erfuhr er von dem neuen Angebot einer Adipositas-Sprechstunde. „So etwas hatte ich vorher in der Region nicht gefunden. Ich hatte große Hoffnungen, dass man mir dort helfen kann.“
Oberärztin Dr. Kristina Lenz hat die Adipositas-Sprechstunde im vergangenen Jahr innerhalb der Allgemein- und Viszeralchirurgie aufgebaut. Das Thema liegt ihr am Herzen: „Die adipösen Menschen, die wir behandeln, sind über das Stadium ‚Das schaffst du alleine!‘ weit hinaus“, so die erfahrene Chirurgin. „Oft stecken, wie bei Herrn Sy, weitere Probleme hinter dem Essen. Deshalb müssen wir einen Ansatz finden, um auch diese zu lindern.“
Therapie vor der Operation
Bevor die Patienten der Adipositaschirurgie deshalb zu einer Operation zugelassen werden, steht ihnen ein halbes Jahr Therapie bevor. In dieser bekommen sie Unterstützung von der Ernährungsberatung und auch einen Psychologen an die Seite. Ziel ist es zu schauen, ob das Gewicht mit dieser Hilfe auch auf konservativem Weg ausreichend reduziert werden kann. Nur wenn das nicht klappt, geht es an die Operation. Rajko Sy war selbst erstaunt, wie leicht es ihm fiel, das halbe Jahr zu überstehen. „Ich hatte endlich ein Ziel vor Augen. Das hatte mir vorher gefehlt. In der Sprechstunde waren alle sehr freundlich. Ich hatte immer das Gefühl, den richtigen Schritt gewagt zu haben.“
Kurz vor der Operation gibt es nochmal bange Momente für die Patienten. Die Operation muss bei der Krankenkasse beantragt werden. Dr. Lenz: „Manchmal braucht es etwas Fingerspitzengefühl. Die Patienten reichen alle ihre Unterlagen ein, die wir vorher gemeinsam durchgehen. Aber wir haben auch einen direkten Draht zu den Kassen, wenn es Fragen gibt.“ Für Sy verlief alles reibungslos. Sein Okay für die Operation kam zwei Wochen nach Antragsstellung.
Viel weniger Essen für Sättigungsgefühl
Bei der Laparoskopischen Sleeve Resection wird ein Großteil des Magens entfernt. Der Rest des Magen-Darm-Traktes bleibt wie zuvor. Durch die Reduzierung können nur noch sehr viel geringere Mengen aufgenommen werden als vorher. In den ersten Tagen führen wenige Löffel Joghurt bereits zum Sättigungsgefühl. Dr. Lenz betont aber, dass der kleinere Magen alleine nicht dazu führt, das Gewicht dauerhaft zu reduzieren. „Bei adipösen Menschen hat sich der Magen aufgrund der großen Menge an Essen ausgedehnt. Das ist auch nach der Operation wieder möglich.“ Für die Patienten bedeutet das, ihr Leben lang darauf achten zu müssen, wie viel Essen sie zu sich nehmen. „Deshalb ist es auch wichtig, andere zugrundeliegende Probleme zu erkennen und zu behandeln“, so die Chirurgin. „Sind etwa die Depressionen noch im gleichen Ausmaß vorhanden wie vorher, kann der Teufelskreis schon bald wieder von vorne beginnen“. Auch über das Ergebnis müssten sich die Patienten klar sein. „Ein Wunschgewicht, wie es Menschen mit schlanker Statur haben, werden sie nicht erreichen. Wir können im Idealfall das Übergewicht um etwa 80 Prozent reduzieren.“ Für die meisten Adipositas-Betroffenen sei das aber ausreichend. Sie sind oft froh, wenn sie die „Magische 100“ wieder knacken.
Anderen Betroffenen Mut machen
Einige Wochen nach der Operation geht es Rajko Sy sehr gut. Sein Gewicht hat sich auf 136 Kilo reduziert. „Ich nehme viel weniger Medikamente, bin beweglicher. Zu Beginn hatte ich schon Schmerzen, aber die waren nach wenigen Tagen verschwunden.“ Für Sy war seine Entscheidung, sich Hilfe zu suchen, genau die richtige. „Es wäre toll, wenn ich mit meiner Geschichte andere Betroffene motivieren könnte“, sagt Sy. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es manchmal schwierig sein kann, um Hilfe zu bitten. Oder sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Aber meine Befürchtungen wurden nicht erfüllt. Ich wurde ernstgenommen und man hat mir endlich wieder eine Perspektive gezeigt.“
Gemeinsam mit Dr. Lenz plant er für 2021 auch den Aufbau einer Selbsthilfegruppe für adipöse Menschen in der Region.