Das Zentrum für Seelische Gesundheit des Helios Park-Klinikums Leipzig nimmt sich seit langer Zeit schon der Patienten mit Zwangserkrankungen an. Geht Ihr Haus dabei besondere Wege?
Ich selbst bin seit zwanzig Jahren mit dem Thema in Forschung und Versorgung beschäftigt. Es gibt hier ein kleines Kernteam, dass sich bereits mit mir im universitären Kontext mit diesem Thema auseinandersetzt und dies bis heute weiterverfolgt. Zudem gibt es heute gute Behandlungsleitlinien für Zwangserkrankte auf höchstem wissenschaftlichen Niveau, in diesen werden unter anderem hochwirksame psychotherapeutische und medikamentöse Strategien beschrieben. Was allerdings in der Vergangenheit nicht selten vernachlässigt wurde, sind psychosoziale Therapien. Etwa wenn es um den Stellenwert des Arbeitsplatzes der Zwangserkrankten geht, um die Themen Wohnen, soziales Umfeld. Die Medizin ist lange darauf konzentriert gewesen, dass Menschen in stationäre oder ambulante Behandlung kommen, therapiert wurden, um anschließend wieder in ihr häusliches Umfeld entlassen zu werden. Das greift zu kurz. Unsere Idee ist, dass wir viel stärker im häuslichen Kontext behandeln müssen – den systemischen, familiären, beruflichen, sozialen Alltag einbeziehen und dabei auch die gesunden Anteile der Patienten berücksichtigen. Niemand ist nur krank. Es gibt immer auch verbliebene Stärken und Ressourcen!
Das heißt, Sie behandeln die Patienten zuhause?
Richtig. Wir müssen dorthin, wo die Probleme auftreten. Wir müssen die Behandlung zum Betroffenen bringen und dadurch die Angehörigen in die Therapie stärker einbinden. Auch ist der Erhalt des Arbeitsplatzes trotz schwerer Symptome wichtig, statt eine lange Krankschreibung auszustellen. Behandlung und Arbeit müssen parallel verlaufen, was durch ambulante und tagesklinische Behandlung möglich oft gut möglich ist. Diesen Fokus stärker darauf zu legen, dass es nicht nur um die Behandlung in eigener Sache geht, sondern dass auch das Lebensumfeld mit einzubeziehen ist, ist ein Schwerpunkt unseres Hauses; bei allen psychischen Erkrankungen, so auch bei Zwangsstörungen. Darüber hinaus beziehen wir breite psychosoziale Therapien in den Versorgungskontext ein: Sport-, Musik- und künstlerische Therapien, die zum Genesungsprozess wesentlich beitragen.
Was gilt es zu tun, um das Abgleiten in eine Zwangserkrankung zu vermeiden?
Das A und O ist die Selbstbeobachtung. Bin ich im täglichen Dasein beeinträchtigt, ist mein Alltag gestört, tu ich Dinge häufiger als andere Menschen. Stehe ich beispielsweise täglich zwei, drei Stunden zeitiger auf um die Wohnung aufzuräumen, kontrolliere ich elektrische Geräte unablässig darauf, ob sie ausgeschalten sind, wasche ich mir die Hände nochmals und nochmals, obwohl sie sauber sind? Aber auch überzogene Risikoanalysen können zwanghaft sein. Gleiches gilt übrigens auch für Zwangsgedanken, die zu Panik und Angst und damit zur Lähmung im Alltag führen können. Wenn ich das erkenne, ist sicher der richtige Zeitpunkt, Hilfe zu holen.
Was versprechen Sie sich vom Kongress?
Leider ist er nur ein Onlineformat. Dennoch erhoffen wir uns in erster Linie durch eine bewusst breite thematische Aufstellung ein großes öffentliches Interesse, das dabei helfen kann, die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und der Zwangserkrankung ganz im Speziellen zu minimieren.
Das Onlineformat hat aber auch einen Vorteil, denn dadurch kann diese Botschaft einer breiten Masse zugänglich gemacht werden, um sie für Zwangserkrankungen zu sensibilisieren. Zudem freue ich mich auf viele gute Gespräche mit Betroffenen, Angehörigen und Experten sowie interessanten Workshops mit hoffentlich neuen Erkenntnissen, etwa über Strategien zur Selbsthilfe oder verhaltenstherapeutische Expositionen im häuslichen Umfeld.