Vertrauliche Spurensicherung: Was ist das? © Foto: N Lawrenson/peopleimages.com - stock.adobe.com
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Vertrauliche Spurensicherung: Was ist das?

Jede dritte in Deutschland lebende Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt – etwa jede vierte Frau erlebt dies durch ihren aktuellen oder früheren Partner[1]. Eine vertrauliche medizinische Beratung und Spurensicherung der Tat bietet die vertrauliche Beweissicherung. Was steckt dahinter und was gibt es zu beachten?

Erklärt: Vertrauliche Spurensicherung nach Vergewaltigung

Personen, die einen sexuellen Übergriff erlebten, stehen oft erst einmal unter Schock. Der Gang zur Polizei, um Anzeige zu erstatten fällt nicht leicht. Dennoch sollten die Spuren der Tat dokumentiert und gesichert werden. Dazu bieten einige Kliniken und Gewaltschutzambulanzen die Möglichkeit, Spuren zu sichern, ohne die Polizei einzuschalten.

"Bei dieser wird genau wie bei der regulären Spurensicherung eine schriftliche Dokumentation des Tathergangs sowie eine Beweismittelaufnahme mittels Untersuchung und Bilddokumentation durchgeführt. Im Unterschied zu einer regulären Spurensicherung, wird bei der vertraulichen Spurensicherung jedoch die Beweismittelaufnahme und Spurensicherung unter einem Pseudonym – einem Decknamen – gespeichert", sagt Dr. Kim Viviane Heinevetter, Assistenzärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe im Helios Klinikum Krefeld. Die gesicherten Spuren und die Dokumentation werden in einer Datenbank gespeichert.

Durch die vertrauliche Spurensicherung können Gewaltopfer Spuren sichern lassen, ohne sich zu verpflichten, Anzeige zu erstatten. Dies ist insbesondere bei häuslicher Gewalt häufig ein Problem, da die Frauen unsicher sind, ob sie ihren Partner anzeigen wollen. Früher wurden in solchen Fällen häufig keine Spuren gesammelt, wodurch es keine Beweismittel gab, wenn es doch zu einer Anzeige kam. Heutzutage können die Beweismittel dann nachträglich durch die Polizei abgerufen werden. "Selbst, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie Anzeige erstatten möchten, lohnt es sich immer, Spuren zu sichern und sich die Option offen zu halten", sagt Dr. Kim Viviane Heinevetter.

Im Unterschied zu einer regulären Spurensicherung, wird bei der vertraulichen Spurensicherung jedoch die Beweismittelaufnahme und Spurensicherung unter einem Pseudonym – einem Decknamen – gespeichert.

Dr. Kim Viviane Heinevetter, Assistenzärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe | Helios Klinikum Krefeld

Was ist nach einer Vergewaltigung wichtig zu wissen?

Nach einem sexuellen Übergriff stehen Betroffenen mehrere Wege offen:

  1. Sofortige Anzeige bei der Polizei, die dann alle weiteren Schritte einleitet.
  2. Medizinische Soforthilfe und vertrauliche Spurensicherung, wenn (noch) keine Anzeige erstattet wird, die Beweise aber gesichert werden sollen.
  3. Medizinische Soforthilfe ohne Spurensicherung, wenn nur eine Untersuchung durch eine Ärztin oder einen Arzt gewünscht ist. Es werden keine Spuren gesichert.

Egal, welche Variante für Betroffene – Frauen, aber auch Männer oder Kinder – infrage kommt, es gilt: Spuren und Verletzungen können bis zu vier Tage nach der Tat dokumentiert werden.

Ablauf einer vertraulichen Spurensicherung

Es ist immer eine Gynäkologin oder ein Gynäkologe in der Klinik, die mit der Spurensicherung vertraut ist (bei Männern oder Kindern werden entsprechende Fachärztinnen und Fachärzte hinzugerufen).

"Zunächst findet ein Gespräch zwischen der Geschädigten und uns als Gynäkolog:innen statt. Anschließend bieten wir der Patientin eine Untersuchung mit Spurensicherung an. Dazu gehört auch die Aufbewahrung von Urinproben und die Testung von Blutproben auf Hepatitis und HIV, sofern die Patientin schriftlich einwilligt", erklärt die Krefelder Ärztin. Die Polizei ist bei dem ärztlichen Gespräch sowie bei der Untersuchung nicht anwesend. Eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) als medizinische Vorbeugemaßnahme nach möglichem Kontakt mit dem HI-Virus (Humanes Immundefizienz-Virus) wird ebenfalls angeboten. Die PEP verhindert mit hoher Wahrscheinlichkeit die Übertragung des HI-Virus nach einem Infektionsrisiko.

Die gesamte Untersuchung dauert etwa eine Stunde. Es ist auch gestattet, eine Begleitperson zur Untersuchung mitzubringen.

Auf einen Blick: Das sollten Sie beachten

  • nach dem sexuellen Übergriff nicht duschen oder waschen, um keine Spuren zu zerstören
  • getragene Kleidung oder andere Beweismittel wie Decken mitbringen
  • in der Notaufnahme melden - entweder mit Polizei oder allein
  • medizinische Versorgung und Sicherung der Spuren in Notaufnahme
  • nach der Tat bleiben maximal 72 Stunden Zeit für Spurensicherung
  • Spurenmaterial wird anonymisiert und aufbewahrt - die Dauer ist je nach Bundesland verschieden

Worauf sollte ich mich bei der Spurensicherung einstellen?

Es kann nochmal eine starke psychische Belastung sein, den genauen Tathergang zu erzählen und intime Fragen beantworten zu müssen. "Die gynäkologische Untersuchung ist die Voraussetzung für die Spurensicherung nach sexueller Gewalt. Für viele Betroffene ist dies eine starke Belastung, weswegen wir sehr einfühlsam vorgehen und immer nur so weit machen, wie es die körperlichen und mentalen Grenzen der Patientin zulassen", erklärt Dr. Heinevetter.

Während der körperlichen Untersuchung werden Abstriche von verschiedenen Regionen und Körperöffnungen genommen. Mögliche Verletzungen werden fotografiert und dokumentiert. Die Kleidung inklusive Unterwäsche wird in speziellen Spurensicherungstüten aufbewahrt.

Es ist nicht immer möglich, dass die Patientin von einer Gynäkologin untersucht wird. Sollte nur ein Gynäkologe im Dienst sein, wird jedoch immer eine weibliche Pflegefachkraft während der Untersuchung und Spurensicherung anwesend sein.

Wer übernimmt die Kosten?

Haben Sie bereits eine Strafanzeige gestellt, übernimmt die zuständige Polizeibehörde die Kosten. Vergewaltigungsopfer, die zunächst keine Anzeige erstatten wollten, mussten früher die Kosten einer vertraulichen Spurensicherung selbst tragen. Diese kann sich jedoch schnell auf mehrere Hundert Euro belaufen. Seit dem 1. März 2020 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Finanzierung der vertraulichen Spurensicherung nach sexualisierter und körperlicher Gewalt (SGB V § 27 und § 132k).

Bietet jede Klinik die vertrauliche Spurensicherung an?

Leider nein. Zwar gibt es in jedem Bundesland Kliniken, die eine vertrauliche Spurensicherung anbieten, allerdings müssen sich die Betroffenen im Vorfeld darüber informieren, ob dies der Fall ist. Sollten Sie in einer Klinik ankommen, die dies nicht ermöglicht, werden Sie in der Regel an eine entsprechende Klinik verwiesen.

Erklärt: iGOBSIS und Netzwerk ProBeweis

 

iGOBSIS

Die Abkürzung iGOBSIS steht für intelligentes Gewaltopfer-Beweissicherungs- und Informationssystem und wird durch die Europäische Union und das Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen gefördert. Es führt Ärztinnen und Ärzte durch die Diagnose, Dokumentation, Spurensicherung und bietet psychosoziale Weiterleitungsangebote. Zudem bietet es auch Betroffenen von Gewalt hilfreiche Informationen.

Ärztinnen und Ärzte können das Programm iGOBSIS zur vertraulichen Spurensicherung nutzen. iGOBSIS ermöglicht die pseudonymisierte Speicherung der sexuellen Gewalttat. So wird durch das Gespräch mit der Patientin der genaue Tathergang dokumentiert, Verletzungen beschrieben und mit Fotos als Beweismitteln hinterlegt. Zudem werden mittels Abstrichen und Proben Spuren gesammelt, welche dann in ihrer Gesamtheit in die Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf gesendet werden. Bei einer späteren Anzeige gegen den Täter, kann die Polizei die Beweismittel anfragen und iGOBSIS kann vom Namen auf das Pseudonym rückschließen und der Polizei die Beweise aushändigen.

Bevor Ärztinnen und Ärzte an dem Programm teilnehmen können, müssen sie im Vorfeld eine Schulung absolvieren. In dieser werden sie in das Programm eingewiesen und über wichtige Aspekte aufgeklärt. Die Schulung leitet die Rechtsmedizin Düsseldorf.

Das Helios Klinikum Krefeld, Helios Klinikum Wuppertal sowie die Helios St. Johannes Klinik Duisburg sind Partnerkliniken des Programms.

Netzwerk ProBeweis

Ein weiterer Teil der Helios Kliniken ist im Netzwerk ProBeweis. Dieses bietet Patient:innen ebenfalls die Möglichkeit, sich kostenlos in den Partnerkliniken vorzustellen und dabei Verletzungen dokumentieren und Spuren sichern zu lassen. Die Spuren werden an der Medizinischen Hochschule Hannover im Insitut für Rechtsmedizin gesichert.

Diese Helios Kliniken bieten eine vertrauliche Spurensicherung an