Ihr Revier ist die Luft. Mit 230 Kilometern pro Stunde fliegt die Luftrettung Christoph 47 zum Einsatzort. Das Team um Pilot Volker Grundmann deckt die Region rund um das Helios Hanseklinikum Stralsund ab. Dabei weiß die Crew nie, was sie erwartet. Arbeiten zwischen Professionalität und Glücksmoment.
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Nach einem Notruf zählt jede Sekunde
Der Notfallpieper schlägt Alarm. Das kleine Display verrät der dreiköpfigen Crew von Christoph 47 in Greifswald den nächsten Einsatzort: Burow. Verdachtsdiagnose Schlaganfall. Jetzt muss es schnell gehen. Das eingespielte Team macht sich zügig bereit zum Abflug. Dabei hat jeder seine festen Aufgaben, damit es nicht zu Verzögerungen kommt. Nach nur eineinhalb Minuten ist der Hubschrauber startbereit und steigt in die Luft. Mit 230 Kilometern pro Stunde geht es zum Patienten. Beim Schlaganfall zählt jede Minute, es gilt das Credo „Time is brain“. Denn je länger es von einem Anfall, der den Patienten buchstäblich wie einen Schlag trifft, bis zur Behandlung dauert, desto mehr Hirngewebe stirbt ab und Langzeitschäden sind die Folge.
Für den Notfall gewappnet: Dr. Karl-Christian Thies überprüft zu Dienstbeginn alle Medikamente auf Vollständigkeit | Foto: Helios
Nach 15 Minuten Flugzeit bei Wind und Regen landet Pilot Volker Grundmann zielsicher neben einer Stromleitung am Feldrand einer Häusersiedlung. Notarzt Dr. Karl-Christian Thies und Notfallsanitäterin Diana Rosolski eilen zum Wohnhaus des Patienten. Dabei erhalten sie wichtige Informationen von einem jungen Mann, der glücklicherweise dabei war, als es zum Schlaganfall kam. Er beschreibt typische Anzeichen: Eine hängende Gesichtshälfte, Sprachausfälle und ein starkes Kippen zur Seite. Auch die Kollegen aus der Rettungsleitstelle erkannten beim Notruf des jungen Mannes diese Merkmale als Schlaganfall. Sie schickten zeitgleich einen Rettungswagen mit Notfallsanitätern und das Team der DRF Luftrettung mit Notarzt Dr. Thies los. Dieser bestätigt den Verdacht des Schlaganfalls und weist den Patienten auf die Schlaganfallstation (Stroke Unit) in Neubrandenburg ein. Die Chancen stehen gut für den Patienten.
Der Rettungshubschrauber rettet ununterbrochen Leben
Zurückgekehrt am Hubschrauber meldet sich das Team per Funk als einsatzbereit bei der Rettungsleitstelle. Christoph 47 ist wieder verfügbar. Bei einem Fluggebiet vom Darß bis zur polnischen Grenze und von Neubrandenburg bis über die Inseln Hiddensee, Rügen und Usedom lässt der nächste Einsatz nicht lange auf sich warten. Die Arbeitsschicht verlängert sich im Sommer um mehrere Stunden, da der Helikopter täglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fliegt und jedes Team einen Tag abdeckt. Das gemeinsame Frühstück vor Dienstbeginn ist dann oft die einzige Mahlzeit bis zum Feierabend.
In den Wintermonaten fliegen wir im Schnitt zwei Einsätze pro Tag. Doch im Sommer verdoppelt sich durch Touristen die Bevölkerungszahl in unserer Region. Dann sind wir fast ununterbrochen in der Luft.
Pilot Volker Grundmann | DRF Luftrettung Greifswald
Glücksbringer an Board: Teddy „Volker“ fliegt als Minipilot immer mit | Foto: Helios
Beim Start in Richtung Greifswald riecht es wieder sehr stark. Der Notarzt erklärt später: „Unser Hubschrauber verbraucht fünf Liter Kerosin pro Minute, das kann sich in der Nase bemerkbar machen.“ Als Arzt sitzt er beim Flug hinten, wo er sich um die Versorgung eines Patienten kümmern kann, während die Notfallsanitäterin immer vorne beim Piloten im Cockpit sitzt und ihm jetzt Hinweise für einen sicheren Abflug gibt.
Rosolski hat als Krankenschwester mit einer Fachweiterbildung für den Anästhesie- und Intensivmedizinischen Dienst vor 14 Jahren eine Zusatzausbildung als Notfallsanitäterin und HEMS TC (Helicopter Emergency Medical Services Technical Crew Member) gemacht. Seitdem fliegt die 49-Jährige bei der DRF Luftrettung in Greifswald mit. Sie ist nicht nur die Assistentin des Arztes bei der Patientenversorgung, sondern zählt gleichzeitig auch zur Flugbesatzung und assistiert dem Piloten. Während Pilot Grundmann mit jahrzehntelanger Flugerfahrung die Maschine fliegt, gibt sie Funksprüche durch, beobachtet den Luftraum, bedient die Bordcomputer und checkt vor Start und Landung mit gezielten Abfragen die Lage im Hubschrauber.
Alle Abläufe im Hubschrauber sind genau definiert und werden strikt eingehalten. Jedes Teammitglied arbeitet hoch professionell und mit Leidenschaft. Die Notfallsanitäterin hat dabei schon einiges erlebt. Ein besonders einprägsamer Einsatz war für sie die Rettung einer Frau an der Steilküste von Rügen. Sie flogen bei stürmischem Wetter und Regen innerhalb 17 Minuten von Greifswald bis zum Kreidefelsen. „Wir konnten nicht landen und mit nur einer Kufe am Hang bin ich mit dem Notarzt förmlich herausgesprungen“, erinnert sich Rosolski. Eine Frau war zu dicht an die Steilkante getreten und mehrere Meter in die Tiefe gestürzt. Wie durch ein Wunder hatte sie sich nur ein Bein gebrochen. „Vor Ort konnten wir die Patientin nicht behandeln und haben sie sofort in die Uniklinik Greifswald geflogen", erzählt die Krankenschwester weiter. Der Patientin sei es schnell besser gegangen, aber der ganze Hubschrauber war danach von innen weiß. Die nasse Kreide war überall verteilt. Das Team habe stundenlang geschrubbt.
Das Team der Luftrettung im Einsatz | Foto: Helios
Wenn der Einsatz unter die Haut geht
Nach Einsätzen, die nicht so glimpflich enden, kann sich die Besatzung jederzeit psychologische Hilfe holen. Das kann nach dem Tod von Kindern oder schweren Verkehrsunfällen schon vorkommen. Doch meist helfen sich die Kollegen untereinander. „Wir arbeiten seit Jahren eng zusammen. Auch in extremen Situationen, die unter die Haut gehen“, erzählt die Notfallsanitäterin. Da liege sich das Team nach besonders tragischen Ereignissen auch einfach mal weinend in den Armen. Das gehört dazu. „Egal was um uns herum passiert, im Einsatz sind wir professionell, hoch konzentriert und schalten unsere Emotionen aus, aber danach kommt alles heraus“, beschreibt Rosolski den Umgang mit der Trauer im Kollegium. Manchmal gerät auch das Rettungsteam versehentlich in die Rolle des Psychologen:
Wenn sich eine Jugendliche mit ihrem ersten schlimmen Liebeskummer etwas antun möchte, helfen wir genauso liebevoll, wie bei einer alten einsamen Dame mit Verdacht auf Herzinfarkt, die am gedeckten Kaffeetisch auf uns wartet und sich über Besuch freut.
Jede Hand zählt: Auch Pilot Volker Grundmann kann im Ernstfall das corpuls cpr bedienen | Foto: Helios
Seit kurzer Zeit gehört ein corpuls cpr zur Reanimation von Patienten mit an Bord. Nicht nur die 20 Ärzte und fünf Notfallsanitäter in Greifswald kennen und üben regelmäßig die korrekte Anwendung des neuen Geräts. Auch alle drei Piloten vor Ort kennen sich damit bestens aus. „Im Einsatz haben wir oft nur zwei Personen zur Versorgung von verunfallten und zum Teil schwer verletzten Menschen zur Verfügung. Da steht der Pilot nicht mit Händen in den Taschen und schaut zu. Er packt mit an und schon können sechs Hände dem Patienten helfen“, erklärt Dr. Thies. Als Ärztlicher Leiter der DRF Luftrettung in Greifswald arbeitet er auch als Oberarzt der Anästhesie an der Uniklinik und verbessert als stellvertretender Ärztlicher Leiter des Landkreises die Versorgungstruktur für Notfallpatienten in der Region.
Nur im Team gelingt die Rettung
Der professionelle Umgang gilt auch bei Meinungsverschiedenheiten im Team. Konflikte werden nie im Einsatz oder in der Maschine geklärt. Eine flache Hierarchie mit offener Kommunikation und Eigenreflexion bestimmt die freundliche Teamstruktur. In Weiterbildungen lernen die Mitarbeiter der DRF Luftrettung Selbstbeobachtung und Selbstregulation, um auch in stressigen Notfällen nicht aus der Haut zu fahren. Das kann zum Beispiel bei Funkausfällen, während eines Fluges bei schlechter Sicht auf dem Weg zu einem schwer verletzten Patienten passieren. Da gilt es, Ruhe zu bewahren und nicht die Schuld beim anderen zu suchen. Der gute Zusammenhalt spiegelt sich auch in der täglichen Teambesprechung beim Frühstück und im Umgang mit der medizinischen Ausrüstung wieder.
Sein nächstes Ziel ist es, Nachtflüge mit dem Rettungshubschrauber zu realisieren. „Unsere Region ist landschaftlich zum Fliegen die Schönste“, schwärmt Pilot Grundmann. „Aber für die Patienten auf den Inseln Usedom, Rügen und vor allem Hiddensee ist es doch wirklich tragisch, wenn nach Einbruch der Dunkelheit unser Hubschrauber nicht mehr angefordert werden kann und dadurch viele Menschen von der Luftrettung ausgeschlossen sind.“
Wissenswertes über die Luftrettung
Die DRF Luftrettung in Greifswald fliegt für die Leitstellen in Stralsund, Greifswald und Neubrandenburg 1.400 bis 1.500 Einsätze im Jahr. Auch für das Helios Hanseklinikum Stralsund werden regelmäßig Notfälle geliefert. Bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 80 Kilometern pro Stunde (Windstärke zehn) steigt Christoph 47 in die Luft. Weitere Hubschrauber sind in Mecklenburg-Vorpommern vom ADAC, den Johannitern und der Bundespolizei in den angrenzenden Landkreisen im Einsatz. Neben Verkehrsunfällen sind Herzerkrankungen der häufigste Alarmierungsgrund. Gerade in ländlichen Regionen ist der zeitnahe Transport zu einem Herzzentrum oft nur über den Luftweg möglich. In Deutschland werden 29 Luftrettungsstationen von der DRF Luftrettung betreut. Ihre Hubschrauber sind im Jahr um die 40.000 Mal im Einsatz. Der Heilige Christophorus ist der Schutzheilige der Reisenden. Daher wurde in den Anfängen der Luftrettung beschlossen, die Hubschrauber Christoph zu nennen.
Zuletzt aktualisiert am 13.08.2023
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