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Phantomschmerz: Spiegeltherapie kann helfen

In Deutschland werden jährlich rund 40.000 Amputationen als Folge des diabetischen Fußsyndroms vorgenommen. Bis zu 50 Prozent der Betroffenen entwickeln nach einer Amputation Phantomschmerzen. Diese sind oftmals schwierig zu behandeln. Wie die Spiegeltherapie dabei gezielt eingesetzt wird, erklärt Diabetologin Dr. Ulrike Schmitz.

Barren und Therapiespiegel

Wie viele Menschen leiden unter Phantomschmerzen nach einer Amputation?

Ungefähr 50 bis 80 Prozent der Menschen, denen ein Körperteil amputiert wurde, berichten von Phantomschmerzen. „Bei Diabetikern mit einer diabetischen Nervenstörung an den Füßen und Unterschenkeln entwickeln bis zu 50 Prozent der Amputierten Phantomschmerzen“, erklärt Dr. Ulrike Schmitz, Diabetologin im Helios Klinikum Krefeld und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft. 

Was sind Phantomschmerzen und wie entstehen sie?

Unter Phantomschmerzen versteht man Schmerzen einer Gliedmaße, die nicht mehr vorhanden ist. Sie entstehen meist in Folge von Amputationen. „Es handelt sich um eine neurologische Erkrankung, deren Ursache auf eine krankhafte Veränderung des Nervensystems im Gehirn und Rückenmark zurückgeführt wird“, erklärt die Medizinerin. Lange Zeit wurde angenommen, dass es sich um psychiatrische Erkrankungen handelt. Die genauen Ursachen für dieses Phänomen sind allerdings noch nicht vollständig erforscht.

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Bei einer Darmspiegelung werden gutartige Vorstufen entfernt – bevor Krebs entsteht.

Wie äußern sich Phantomschmerzen?

„Amputierte Personen nehmen stechende, schneidende und brennende Schmerzen wahr, die im Alltag eine außergewöhnliche Belastung darstellen“, weiß Dr. Schmitz. Darüber hinaus kann es vorkommen, dass Betroffene durch Berührung an einer anderen Stelle im Körper Schmerzen im amputierten Körperteil empfinden.

 

Als vielversprechende Therapie bei Phantomschmerzen hat sich die Spiegeltherapie etabliert. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Die Spiegeltherapie wurde von dem Inder Vilayanur Subramanian Ramachandran erfunden. Der Neurowissenschaftler setzte die Therapie erstmals 1996 bei Phantomschmerzen nach Amputationen ein. „Die innovative Methode ist eine Imaginationstherapie. Das bedeutet, dass sie auf den Vorstellungsfähigkeiten der Patienten beruht“, sagt Dr. Schmitz.

Die innovative Methode macht sich die Spiegelillusion zunutze. Oder einfacher gesagt: Betroffene tricksen ihr Gehirn aus. „Der Spiegel wird in der Körpermitte des Patienten platziert, sodass die Bewegungen der gesunden Gliedmaße gespiegelt als Bewegungen der amputierten Gliedmaße wahrgenommen werden. Dabei liegt die amputierte Gliedmaße hinter, die gesunde Extremität vor dem Spiegel“, erklärt die Krefelder Medizinerin.

Bei amputierten Patient:innen entsteht so der Eindruck, zwei intakte Extremitäten zu haben. Durch diese optische Täuschung werden Hirnareale der betroffenen Extremität stimuliert, die eine Schmerzlinderung zur Folge haben.

Wie ist die Spiegeltherapie aufgebaut?

Grundsätzlich sollten Betroffene mehrmals täglich trainieren. Empfehlenswert sind kurze Einheiten von fünf bis maximal zehn Minuten. Laut der Deutschen Schmerzgesellschaft ist die Therapie in vier Stufen aufgebaut und enthält folgendes Übungsprogramm:

1. Betrachten des Spiegelbildes

Startposition: Der Fuß liegt oder steht bequem auf dem Boden und Sie betrachten konzentriert das Spiegelbild der gesunden Seite. Durch das „aktive Wahrnehmen“ wird das Spiegelbild als eigenes Körperteil angenommen. Die verdeckte Seite darf für Sie nicht sichtbar sein.

2. Aktives Bewegen des nicht-betroffenen Körperteils

Halten Sie eine einfache Position und beobachten Sie konzentriert den Fuß. Danach bewegen Sie aktiv die nicht betroffene Seite mit kleinen/einfachen Bewegungen (zum Beispiel Fuß hochziehen). Als weitere Steigerung können größere/komplexere Bewegungen auf der nicht betroffenen Seite in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausgeführt werden. Langsamere Bewegungen können besser wahrgenommen werden und sollten am Anfang im Vordergrund stehen.

3. Leichte beidseitige Bewegungen

Symmetrische, beidseitige Bewegungen analog zu den Punkten 1 und 2 – von kleinen, einfachen und langsamen zu großen, komplexen und schnellen Bewegungen, mit und ohne Materialen.

4. Aktive Übung mit Therapiemitteln

Im weiteren Verlauf können unterschiedliche Materialen (zum Beispiel Ball, Alltagsgegenstände) eingesetzt werden. Dabei können Sie aktiv den Gegenstand benutzen, um Ihre Wahrnehmung zu schulen.

Inwieweit kann die Spiegeltherapie bei Phantomschmerzen helfen?

Sie kann dabei helfen, Phantomschmerzen zu reduzieren oder zum Teil sogar ganz verschwinden zu lassen. „Es gibt jedoch auch Fälle, wo anfangs eine Verstärkung der Schmerzsymptomatik beobachtet wurde“, berichtet die Ärztin. Dann muss die Behandlung angepasst werden.

„Gleichwohl sollten Betroffene bei einer kurzzeitigen Schmerzverstärkung nicht sofort kapitulieren, da diese im Verlauf der Behandlung abklingen kann“, rät Dr. Schmitz. Um bestmögliche Therapieergebnisse zu erzielen, sollte mit der Therapie unmittelbar nach der Amputation begonnen werden.

Welche Vorteile hat die Spiegeltherapie?

„Ein entscheidender Vorteil ist, dass keine zusätzlichen Medikamente nötig sind, die eventuell Nebenwirkungen auslösen“, sagt Dr. Schmitz. Zudem schult die Therapie die Sensibilität, Konzentration, Beweglichkeit und Ausdauer der Patient:innen und ist als selbstständiges Training zu Hause möglich.

Wer bietet die Spiegeltherapie an?

Die Behandlung wird von Physio- und Ergotherapeut:innen sowohl in Kliniken als auch in Praxen angeboten. Auch speziell geschulte Schmerztherapeut:innen in Kliniken können Betroffene im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie mithilfe der Spiegeltherapie behandeln. Im Verlauf der Therapie sollte ein individuelles Übungsprogramm für zu Hause erarbeitet werden.

Helios Klinikum Krefeld

Oberärztin der medizinischen Klinik III

Ein entscheidender Vorteil der Spiegeltherapie ist, dass keine zusätzlichen Medikamente nötig sind, die eventuell Nebenwirkungen auslösen.

Hinweis der Redaktion: Die im Zitat gewählte männliche Form bezieht sich immer auch auf weibliche und diverse Personen, die ausdrücklich mitgemeint sind.

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