Erbkrankheit oft lange unbemerkt
Irgendwann konnte es kein Zufall mehr sein. Als der 15-jährige Sohn der Familie beim Fußballspielen kollabierte und jede Reanimation versagte, sprach man noch von einem unerklärlichen Drama. Selbst als wenige Monate später die Mutter des Jungen plötzlich an Herzversagen starb, hegte niemand ernste Zweifel daran, dass es sich lediglich um eine Verkettung unglücklicher Umstände handelt.
Erst als auch der Bruder der Verstorbenen über Herzbeschwerden klagte und im Herzzentrum Leipzig vorstellig wurde, lüftete sich das Geheimnis: Einzelne Familienmitglieder tragen einen Gendefekt in sich, der für den frühen Tod der Betroffenen verantwortlich ist.
Angeborene Herzrhythmusstörungen nicht selten
Radfahrer, die aus unersichtlichem Grund umfallen und sterben, Kinder und junge Erwachsene, die morgens tot im Bett liegen oder Sportler, die bei der Ausübung ihres Hobbys tot zusammensacken, sind für Prof. Dr. Daniela Husser-Bollmann keine Unbekannten. Sie ist Chefärztin der Abteilung für Rhythmologie und Leiterin des Cardiocenters Rhythmologie im Herzzentrum Leipzig.
Etwa jede oder jeder Fünfhundertste werde mit der genetischen Veranlagung für eine Herzerkrankung geboren. Ein Loch im Herzen oder eine falsch angelegte Herzkammer sind keineswegs selten. Meistens werden diese Fehlbildungen jedoch frühzeitig erkannt und können bereits im Säuglingsalter korrigiert werden.
Einer von 1.500 Menschen hingegen weise Herzrhythmusstörungen auf. Im Gegensatz zu strukturellen Herzerkrankungen, bei denen die Veränderungen am Herzen durch Ultraschall oder Magnetresonanztomographie (MRT) sichtbar werden, weist das Organ bei Rhythmusstörungen keine optische Veränderung auf.
Häufige Ohnmachtsanfälle ernst nehmen
Symptome wie ein
- leichtes Schwindelgefühl,
- Benommenheit,
- Übelkeit,
- Orientierungsverlust,
- warme oder schwitzende Handflächen sowie
- nachlassende Sehkraft
haben vielleicht Viele schon einmal gehabt. Man nimmt sie nicht sonderlich ernst, sucht die Ursachen dafür zumeist in beruflichem oder privatem Stress und hofft, dass sie sich bald wieder legen. Doch genau diese Anzeichen gehen auch einer Ohnmacht voraus. Jährlich erleiden etwa 500.000 Menschen in Deutschland eine Ohnmacht, medizinisch Synkope genannt. Manche machen diese Erfahrung nur einmal im Leben, andere öfter.
Sollten Ohnmachtsanfälle häufiger auftreten, gilt es dringend, nach ihren Ursachen zu forschen. „Eine Ohnmacht sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie tritt ein, wenn das Gehirn nicht ausreichend durchblutet wird, wofür die Ursache vielfältig sein kann. Eine vererbbare und bislang unerkannte Herzerkrankung ist eine davon“, verdeutlicht die Kardiologin.
Auffälligkeiten in der Verwandtschaft ernst nehmen
Wenn innerhalb der Familie häufiger Ohnmachtsanfälle oder plötzliche Herztode auftreten, ist äußerste Vorsicht geboten, wie Prof. Dr. Husser-Bollmann betont: „In diesem Fall sollten auch scheinbar Gesunde den Weg zum Arzt nicht scheuen und sich tiefgründig untersuchen lassen. Nicht selten stellt sich dabei heraus, dass auch andere Familienmitglieder eine angeborene Herzschwäche oder Herzrhythmusstörungen aufweisen, ohne jedoch Symptome dafür zu zeigen.“
Ursachenforschung beginnt in den Krankenakten
Kommt eine Patientin oder ein Patient mit entsprechenden Symptomen und dem Verdacht auf eine entsprechende Herzerkrankung in die Sprechstunde, kommen verschiedenen diagnostische Verfahren wie
- EKG (Elektrokardiogramm),
- Ultraschall und
- MRT
zum Einsatz. Bestätigen diese Untersuchungen den Verdacht, folgt eine detaillierte Ursachenforschung. Liegt die Einwilligung der Familie vor, werden dazu auch die Krankenakten oder Obduktionsbefunde nächster Angehöriger herangezogen.
Anschließende Blutuntersuchungen geben Auskunft darüber, wer das defekte Gen in sich trägt und wer nicht. „Die Betroffenen erhalten so Gewissheit, können sich gezielt auf die Krankheit einstellen oder im besseren Fall befreit aufleben“, erläutert die Chefärztin.
Wer den Defekt in sich trägt, lässt sich erst nach gründlicher Untersuchung sagen. So kommt es vor, dass ein Geschwisterteil betroffen ist, während ein anderes gesund bleibt. Mit Medikamenten lässt sich die Erkrankung zumeist gut kontrollieren. Darüber hinaus wissen die Betroffenen künftig, dass sportliche Höchstleistungen ihre Gesundheit nicht fördern, sondern ihnen vielmehr zum Verhängnis werden können.
Warum ist eine genetische Beratung wichtig?
Die Zusammenhänge von mehrfachen Herztoden innerhalb einer Familie zu erkennen und gezielt zu behandeln, sei leider kein Selbstverständnis, bedauert die Kardiologin. Neben einer klinischen ist auch eine genetische Beratung durchzuführen.
Das Herzzentrum Leipzig bietet beide Beratungen nun konzentriert aus einer Hand an.
Gut zu wissen: Forschungen zu vererbten Herzkrankheiten
Seit vielen Jahren schon widmet sich Prof. Dr. Husser-Bollmann den genetisch bedingten Herzrhythmusstörungen. Derzeit, sagt sie, seien etwa 2.000 Patientinnen und Patienten bei ihr in Behandlung. Diese profitieren nicht nur von der Fachkenntnis der Ärztin, sondern auch von ihrem Forscherdrang.
Seit 2022 gibt es eine Helios Stiftungsprofessur für Genetik von Herzrhythmusstörungen. Ihr Ziel: Weiter neue Erkenntnisse auf dem Gebiet zu sammeln, um Menschen davor zu bewahren, wegen eines kleinen Gendefekts unerwartet aus dem Leben gerissen zu werden.