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Sprachentwicklung und Sprachförderung beim Kind

 

Alle Eltern sind gespannt auf das erste Wort ihres Kindes. Doch bevor es soweit ist, lallen und brabbeln Kinder erst einmal. Nach dem ersten Wort geht es dann meist schnell und bald sprechen sie ganze Sätze. Doch was, wenn eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt?

 

 

Balthasar Hegemann bei der Arbeit mit einer jungen Patientin

Sprachentwicklung bei Kindern – ein Überblick

Die Sprachentwicklung eines Kindes läuft ganz individuell ab. Bereits im Mutterleib reagiert der Fötus auf die Sprache der Mutter, Musik und andere Geräusche. Vor dem ersten gesprochenen Wort passiert sehr viel in der frühkindlichen Entwicklung. Nach der Geburt des Kindes entwickeln sich die ersten Basissinne, wie Hören, Tasten und Motorik.

„Für die Qualität der Sprachentwicklung sind die Hirnreifung, die Intelligenz und die sozialemotionale Entwicklung des Kindes von entscheidender Bedeutung", so Balthasar Hegemann, Logopäde im Sozialpädiatrischen Zentrum im Helios Klinikum Aue. Neben diesen sind auch intakte Sprechorgane für eine normale sprachliche Entwicklung sehr wichtig.

Welche Meilensteine in der normalen Sprachentwicklung gibt es?

Kinder durchleben verschiedene Phasen bei der Entwicklung von Sprache. In den ersten Lebenswochen ist es die erste Lallphase, auch „Gurrperiode" genannt. Liegt das Kind noch viel auf dem Rücken, rutscht die Zunge nach hinten und es werden hintere Laute gebildet. Diese sind universell, also bei Kindern auf der ganzen Welt gleich, auch bei hörgeschädigten. In dieser Phase erzeugen sie erste Laute wie Gurgeln, Schmatzen oder Schreien und lernen, wie ihre Umwelt auf sie reagiert.

Auch das Schreien wird in dieser Phase meist differenzierter. Zudem verfeinern sich die Hörfähigkeiten, wodurch Kinder lernen, auf ihr Gegenüber imitierend zu reagieren. Die erste Lallphase dauert so lange an, bis sich der Säugling drehen kann.

Dreht sich der Säugling ab dem vierten Lebensmonat auf den Bauch und kommt in den Unterarmstütz, überstreckt er den Kopf, um etwas sehen zu können. Dabei verlagert sich der Unterkiefer nach vorne und damit auch die Zunge, wodurch die vorderen Artikulationszonen angeregt werden.

Die zweite Lallphase beginnt. Aber: Nur, wenn das Kind hören kann, wird es neue Laute anwenden. Denn neben dem lustbetonten, spielerischen Betätigen der Artikulationsorgane kommt eine kommunikative Funktion hinzu. Zu dieser Zeit können erste Lautnachahmungen auftreten.

In der zweiten Lallphase werden erste Silben, wie bababa oder dadada, aneinandergereiht (Babysprache). Sobald das Kind Ein-Wort-Äußerungen sprechen kann, ist diese Phase abgeschlossen. Dies ist meist im 12. Lebensmonat der Fall. Das Kind macht seine ersten Schritte und lernt die ersten richtigen Wörter zu sprechen. Mit etwa anderthalb Jahren beginnt die eigentliche Sprachentwicklung.

Explosionsartig entfaltet sich der Wortschatz, neue Wörter werden erlernt und kombiniert, erste grammatikalische Regeln angewandt. Bevor das Kind vier Jahre alt wird, hat es in der Regel die Grammatik erworben und die Sprachlaute erlernt. Bis zur Einschulung wächst der aktive Wortschatz auf über 3.000 Wörter und fortan das ganze Leben über. Je komplexer Kinder ihre Sätze bilden, desto besser verstehen sie zusammenhängende Inhalte.

Insgesamt gibt es vier Ebenen, die zur Sprachentwicklung zählen:

  • phonetisch-phonologisch: Diese Ebene bezeichnet die Bildung der Sprachlaute und ihre Position im Wort.
  • semantisch-lexikalisch: Diese Ebene bezieht sich auf das Sprachverständnis und den gesprochenen Wortschatz.
  • syntaktisch-morphologisch: Diese Ebene beschreibt die grammatikalische Fähigkeit, Struktur und Regeln anzuwenden.
  • pragmatisch-kommunikativ: Diese Ebene zeigt, wie Sprache im Zwischenmenschlichen angewendet wird.

Zu beachten ist, dass jede dieser Ebenen ihre eigenen Meilensteine hat. Allerdings wird immer noch zur Feststellung einer Sprachentwicklungsstörung oft nur die Aussprache, also die phonetisch-phonologische Ebene, herangezogen, um den Bedarf einer Sprachtherapie zu ermitteln.

Spracherwerb fördern – darauf sollten Eltern bei der Sprachentwicklung achten

„Der erste kindliche Spracherwerb lässt sich nur im Zwischenmenschlichen fördern", so Hegemann. Hierbei ist es völlig irrelevant, ob ein Kind einsprachig oder mehrsprachig erzogen wird. Denn die menschliche Sprache und ihr Erwerb basieren nicht nur auf dem Prinzip der Wahrnehmung, Speicherung, Imitation und dem inneren Abbild von Sprache.

Viel entscheidender ist, wie Eltern und das Umfeld auf die Kommunikation des Kindes reagieren, um den Sprachantrieb und die Sprechfreude zu vermitteln. Blickkontakt, Akzeptanz sowie Zuwendung spielen hier eine wichtigere Rolle als lange Beschreibungen und Erklärungen.

So steht vor der Forderung nach verbaler Sprache die verbale Reaktion – auch auf nicht-sprachliches Verhalten. Für Eltern heißt das: Zeigt das Kind auf etwas, das es haben möchte, können Sie die Sprache fördern, indem Sie es erst benennen und dann dem Kind geben. Prosodie, der Klang des Gesagten, unterstützt dabei wesentlich das Sprachverständnis von Kindern.

Erwachsene sollten zudem ihre Sprache auf das Wesentliche reduzieren und auf zusätzliche Nebengeräusche wie Pfeifen oder Fingerschnipsen verzichten.

Ein Bilderbuch, Lieder und Fingerverse, später auch kleine Gedichte eignen sich hervorragend, um sprachliche Fähigkeiten aufzubauen. Hat das Kind diese erlernt, ist das Vorlesen von Märchen gut geeignet.

Bis zur Einschulung des Kindes gilt in der Sprachförderung: Wiederholung ist wertvoller als Abwechslung. Kontraproduktiv und sprachhemmend sind hingegen Abfragen, Nachsprechen lassen sowie die Imitation kindlicher Aussprachefehler.

Generell sollten Eltern bedenken: Kein Kind gleicht dem anderen. Es gibt zwar Etappen in der kindlichen Sprachentwicklung, die in einem bestimmten Alter erreicht sein müssen. Aber durch den vielfältigen Einfluss auf die Sprachentwicklung können sich die Verläufe von Kind zu Kind unterscheiden, und es muss nicht immer gleich eine Störung vorliegen.

Sprachentwicklungsstörung erkennen und handeln

Es gibt verschiedene Meilensteine, die Kinder im Laufe des Spracherwerbs erreichen sollten, sodass von einer normalen Sprachentwicklung ausgegangen werden kann. Eltern sollten im ersten Lebenshalbjahr beobachten, ob ihr Kind das soziale Lächeln erwirbt.

Damit ist die Fähigkeit gemeint, dass ein Säugling mit einem Lächeln auf seine Umgebung und insbesondere auf Gesichter reagiert. Vor dem ersten Geburtstag sollte das Kind die zweite Lallphase erworben haben und verschiedene Silbenwiederholungen sprechen.

Mit dem zweiten Geburtstag können Kinder in der Regel bereits einen Wortschatz von mindestens 50 Wörtern aktiv nutzen. Wichtig ist hier, dass die Kinder diese nicht nachsprechen, sondern eigenständig gebrauchen.

Ist das nicht der Fall, könnte dies bereits ein Anzeichen für eine Sprachentwicklungsstörung sein. Mit dem Ende des vierten Lebensjahres, zur U8-Untersuchung, sollte das Kind alle Sprachlaute erworben haben.

Therapie bei einer Sprachentwicklungsstörung

Bemerken Eltern, dass ihr Kind Anzeichen einer Sprachentwicklungsverzögerung oder -störung aufzeigt, sollten sie die kinderärztliche Praxis oder eine Hals-Nasen-Ohren-Praxis aufsuchen und das Kind vorstellen. Beide Praxen können eine logopädische Untersuchung verordnen, um die Ursachen zu ermitteln.

Die Behandlung der Sprachentwicklungsstörung muss dann nicht immer auf eine individuelle logopädische Therapie hinauslaufen. Mittlerweile gibt es hervorragende Trainings und Beratungsprogramme, in denen Eltern ihre Kompetenz als Sprachvorbilder stärken können.

Am Anfang einer Sprachtherapie bei einer Sprachentwicklungsstörung steht immer eine ausführliche Sprachanamnese und eine logopädische Befunderhebung. Liegt eine Sprachstörung vor, erfolgt meist eine wöchentliche Therapiesitzung.

In dieser erlernt das Kind eine neue Fähigkeit, die es Zuhause üben soll. Wichtig für die Sprachtherapie sind daher die Eltern oder Bezugspersonen.

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