Die Spiegeltherapie wurde von dem Inder Vilayanur Subramanian Ramachandran erfunden. Der Neurowissenschaftler setzte die Therapie erstmals 1996 bei Phantomschmerzen nach Amputationen ein. „Die innovative Methode ist eine Imaginationstherapie. Das bedeutet, dass sie auf den Vorstellungsfähigkeiten der Patienten beruht“, sagt Dr. Schmitz.
Die innovative Methode macht sich die Spiegelillusion zunutze. Oder einfacher gesagt: Betroffene tricksen ihr Gehirn aus. „Der Spiegel wird in der Körpermitte des Patienten platziert, sodass die Bewegungen der gesunden Gliedmaße gespiegelt als Bewegungen der amputierten Gliedmaße wahrgenommen werden. Dabei liegt die amputierte Gliedmaße hinter, die gesunde Extremität vor dem Spiegel“, erklärt die Krefelder Medizinerin.
Bei amputierten Patient:innen entsteht so der Eindruck, zwei intakte Extremitäten zu haben. Durch diese optische Täuschung werden Hirnareale der betroffenen Extremität stimuliert, die eine Schmerzlinderung zur Folge haben.
Wie ist die Spiegeltherapie aufgebaut?
Grundsätzlich sollten Betroffene mehrmals täglich trainieren. Empfehlenswert sind kurze Einheiten von fünf bis maximal zehn Minuten. Laut der Deutschen Schmerzgesellschaft ist die Therapie in vier Stufen aufgebaut und enthält folgendes Übungsprogramm:
1. Betrachten des Spiegelbildes
Startposition: Der Fuß liegt oder steht bequem auf dem Boden und Sie betrachten konzentriert das Spiegelbild der gesunden Seite. Durch das „aktive Wahrnehmen“ wird das Spiegelbild als eigenes Körperteil angenommen. Die verdeckte Seite darf für Sie nicht sichtbar sein.
2. Aktives Bewegen des nicht-betroffenen Körperteils
Halten Sie eine einfache Position und beobachten Sie konzentriert den Fuß. Danach bewegen Sie aktiv die nicht betroffene Seite mit kleinen/einfachen Bewegungen (zum Beispiel Fuß hochziehen). Als weitere Steigerung können größere/komplexere Bewegungen auf der nicht betroffenen Seite in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausgeführt werden. Langsamere Bewegungen können besser wahrgenommen werden und sollten am Anfang im Vordergrund stehen.
3. Leichte beidseitige Bewegungen
Symmetrische, beidseitige Bewegungen analog zu den Punkten 1 und 2 – von kleinen, einfachen und langsamen zu großen, komplexen und schnellen Bewegungen, mit und ohne Materialen.
4. Aktive Übung mit Therapiemitteln
Im weiteren Verlauf können unterschiedliche Materialen (zum Beispiel Ball, Alltagsgegenstände) eingesetzt werden. Dabei können Sie aktiv den Gegenstand benutzen, um Ihre Wahrnehmung zu schulen.
Inwieweit kann die Spiegeltherapie bei Phantomschmerzen helfen?
Sie kann dabei helfen, Phantomschmerzen zu reduzieren oder zum Teil sogar ganz verschwinden zu lassen. „Es gibt jedoch auch Fälle, wo anfangs eine Verstärkung der Schmerzsymptomatik beobachtet wurde“, berichtet die Ärztin. Dann muss die Behandlung angepasst werden.
„Gleichwohl sollten Betroffene bei einer kurzzeitigen Schmerzverstärkung nicht sofort kapitulieren, da diese im Verlauf der Behandlung abklingen kann“, rät Dr. Schmitz. Um bestmögliche Therapieergebnisse zu erzielen, sollte mit der Therapie unmittelbar nach der Amputation begonnen werden.
Welche Vorteile hat die Spiegeltherapie?
„Ein entscheidender Vorteil ist, dass keine zusätzlichen Medikamente nötig sind, die eventuell Nebenwirkungen auslösen“, sagt Dr. Schmitz. Zudem schult die Therapie die Sensibilität, Konzentration, Beweglichkeit und Ausdauer der Patient:innen und ist als selbstständiges Training zu Hause möglich.
Wer bietet die Spiegeltherapie an?
Die Behandlung wird von Physio- und Ergotherapeut:innen sowohl in Kliniken als auch in Praxen angeboten. Auch speziell geschulte Schmerztherapeut:innen in Kliniken können Betroffene im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie mithilfe der Spiegeltherapie behandeln. Im Verlauf der Therapie sollte ein individuelles Übungsprogramm für zu Hause erarbeitet werden.