Wieder bewusst(er) leben: Achtsamkeit als Anti-Stress-Garant?
Gesunde Stressbewältigung durch mehr Achtsamkeit

Wieder bewusst(er) leben: Achtsamkeit als Anti-Stress-Garant?

Berlin

Wir telefonieren, überfliegen gleichzeitig eine E-Mail oder erstellen die Präsentation für den nächsten Termin. Das heute überall verbreitete Multitasking lässt oftmals keine Konzentration auf nur eine Sache zu...

Der Arbeitsalltag vieler Menschen ist zunehmend von Stress, Hektik und Zeitdruck geprägt. Oft geht es sowohl in unserem Berufs- als auch in unserem Privatleben viel mehr um das monotone Abarbeiten von To-do-Listen als um das bewusste Wahrnehmen von Momenten und Situationen. Dass zu viel und andauernder Stress krankmachen kann, ist bekannt. Dass Achtsamkeit eine einfache und zugleich wirkungsvolle Methode ist, um mit Stress besser umzugehen, vermitteln seit einigen Jahren immer mehr Ärzte und Psychologen. Doch was bedeutet es eigentlich, achtsam zu leben? Wir haben nachgefragt.

Was ist Achtsamkeit und was bewirkt sie?

Das Prinzip der Achtsamkeit hat seine Wurzeln in der buddhistischen Lehre. In den 1970er Jahren entwickelte der amerikanische Arzt und Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn die Methode der bewussten, urteilsfreien Wahrnehmung schließlich weiter und erstellte an der University of Massachusetts ein achtwöchiges Trainingsprogramm für die systematische Stressbewältigung. Das Programm trägt den Titel MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) und wird mittlerweile auch von deutschen Krankenkassen als wissenschaftlich belegte Maßnahme zur Förderung einer gesunden und stressfreien Lebenshaltung anerkannt. Ziel des Programms ist es, verschiedene Techniken des Yoga, der Meditation und der allgemeinen Körperwahrnehmung zu kombinieren und Patienten und Patientinnen dabei zu helfen, mit negativen Emotionen umzugehen sowie ihre innere Haltung bewusst wahrzunehmen. Klingt ein wenig esoterisch? Ganz und gar nicht - schließlich konnten Forscher und Wissenschaftler in zahlreichen Studien bereits nachweisen, dass Achtsamkeitsübungen dabei helfen können, die sogenannte negative Gedankenspirale zu durchbrechen und die Arbeitsweise des Gehirns messbar zu verändern.

Meditation als Ausdauertraining für unser Gehirn

Im Rahmen verschiedener Achtsamkeitsprogramme konnten Forscher zudem belegen, dass besonders Techniken wie die Meditation oder die gezielte Atmung verschiedene Hirnregionen positiv beeinflussen können. So beispielsweise den anterioren cingulären Cortex (ACC), eine Struktur im Stirnbereich hinter dem Frontallappen des Gehirns, welche für unsere Selbstregulierung und die sinnvolle Steuerung verschiedener Verhaltensmuster zuständig ist. Durch die Meditation wird das ACC stärker aktiviert, sodass es uns leichter fällt, überlegt und besonnen auf Veränderungen oder unsichere Situationen zu reagieren. Und auch der Hippocampus, ein Hirnareal, welches in der Schläfenregion verankert ist, wird durch eine gestärkte innere Haltung nachhaltig beeinflusst. Denn neben der Steuerung von Emotionen weist der Hippocampus auch viele Rezeptoren für das Stresshormon Kortisol auf. Setzen wir unseren Körper also dauerhaftem Stress aus, geraten wir in eine emotionale Abwärtsspirale. Folglich verkleinert sich der Hippocampus und begünstigt die Entwicklung von stressbedingten Erkrankungen wie Depressionen oder Belastungsstörungen. Bei den Teilnehmern der Achtsamkeitsübungen stellten die Neurowissenschaftler hingegen fest, dass die Dichte der grauen Zellen im Hippocampus zunahm und sich die Praktiken zusätzlich auf weitere Hirnregionen, die das Körperbewusstsein, die Schmerztoleranz oder das Selbstgefühl steuern, auswirkten.

„Nutze Achtsamkeit als Lupe für dein Leben: Ist es so, wie Du es Dir vorstellst?“

Ina Klugmann, Arbeitspsychologin am Arbeitsmedizinischen Institut Leipzig

Achtsamkeit in der Praxis - was bedeutet es, achtsam zu leben?

Leben wir weniger achtsam, macht uns unser Körper meist irgendwann darauf aufmerksam. Für Arbeitspsychologin Ina Klugmann sind Symptome wie Augenzucken oder Zähneknirschen als Frühwarnzeichen des Körpers zu verstehen. Sie rät, Achtsamkeit als Lupe für das eigene Leben zu nutzen und sich zu fragen: Ist es so, wie ich es mir vorstelle? Das gelte vor allem auch für das persönliche Arbeitsumfeld. Achtsamkeit, betont sie, falle größtenteils in den Bereich der persönlichen Verantwortung, jedoch seien bei vielen Menschen Körper und Geist oftmals nicht mehr im Einklang miteinander. Ihre Aufgabe sei es deshalb, ihre Klienten dabei zu unterstützen, sich zu hinterfragen und neue Gewohnheiten in ihren Alltag zu integrieren. Ina Klugmann und ihre Kollegen verstehen sich als sinnvolle Ergänzung zur Arbeitsmedizin. Sie unterstützen Unternehmen dabei, ein Bewusstsein für ein ausgeglichenes Lebensmodell bei ihren Mitarbeitern und Kollegen zu erweitern. In Seminaren oder Workshops, die meist im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements angeboten werden, gehe es deshalb vor allem um Strategien und Techniken, die den Teilnehmern dabei helfen sollen, zu entschleunigen, sich zu fokussieren und negative sowie positive Reize bewusst und wertneutral wahrzunehmen. Dabei sehen die Arbeitspsychologin und ihre Kollegen die Beratung zum Thema Stressbewältigung durch Achtsamkeit viel mehr als ergänzendes Angebot. Immer wieder stellt Ina Klugmann jedoch fest, dass viele Menschen Stress mit kurzfristigen Strategien verarbeiten, dann aber doch langfristig krank werden und betont deshalb, dass Studien zeigen, dass Achtsamkeit den Genesungsprozess nachweislich beschleunigen kann. Ein nachhaltiger Ansatz, der ganz und gar nicht esoterisch erscheint, sondern auf lange Sicht viel mehr dazu beiträgt, das Bewusstsein unserer Gesellschaft für eine gesunde und ausgeglichene Lebenshaltung zu fördern.

Drei einfache Achtsamkeits-Übungen für den Arbeitsalltag

Mit diesen Mini-Übungen integrierst Du schon ein wenig Achtsamkeit in Deinen Alltag

  • Sinnesfokussierung: Eine leichte und sehr effiziente Übung, um ins Hier und Jetzt zu gelangen geht so: Fokussiere Dich jede Stunde für 1-2 Minuten auf einen Deiner Sinne: Was siehst, hörst, riechst oder schmeckst Du?
  • Single- statt Multitasking: Niemand kann verschiedene Dinge konzentriert gleichzeitig tun. Konzentriere Dich nur auf eine Sache. Stell z.B. die automatischen E-Mail-Benachrichtigungen aus, wenn Du an einer Präsentation arbeitest.
  • Mach Stress zu Deinem Freund: Stell Dir täglich für ein paar Minuten vor, was Stress Positives bei Dir bewirkt. Durch die Änderung deiner Sichtweise wird auch Dein Körper anders auf Stress reagieren