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Wenn die Sucht den Arbeitsplatz gefährdet

Es ist ein sensibles Thema, bei dem viele nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Doch gerade hier ist schnelles Handeln und rechtzeitige Hilfe für Betroffene besonders wichtig: Abhängigkeit und Substanzmittelgebrauch. Ein Problem, das in Deutschland stark verbreitet ist. Laut der Epidemiologischen Suchtsurvey 2018 rauchen 12 Millionen Menschen, 1,6 Millionen Menschen sind alkoholabhängig und schätzungsweise 2,3 Millionen Menschen in Deutschland sind abhängig von Medikamenten.
06. Oktober 2023

Egal ob Drogenkonsum, Online,- oder Glücksspielsucht, sie alle haben eins gemeinsam: Dramatische persönliche Schicksale, die gravierende Auswirkungen auf das private und berufliche Umfeld haben. So kann der Gebrauch von Suchtmitteln bei der Arbeit die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten erheblich beeinträchtigen. Deshalb muss die Vorbeugung von Gefährdungen und die sachgerechte Hilfe von Suchtproblemen Ziel von Unternehmen und Führungskräften sein. 

Sie sind Führungskraft eines Unternehmens und wissen nicht, wie Sie mit suchtkranken Mitarbeitenden umgehen sollen? 

Was Sie dabei beachten sollten und wie die Arbeitsmedizin dabei unterstützen kann, erfahren Sie im Interview mit der Arbeitsmedizinerin und Expertin für Suchterkrankungen Dr. med. Ivonne Hammer.

Depressed woman with wine indoors at home, mental health and alcohol addiction concept.,Depressed woman with wine indoors at home, mental health and alc

Wir können auf vielfältige Weise Hilfe anbieten. Die Prävention spielt dabei eine große Rolle. So können wir beispielsweise im Rahmen von Gesundheitstagen zum Thema Sucht informieren und Mitarbeitende aufklären.  

Darüber hinaus sensibilisieren wir Führungskräfte für dieses Thema und geben ihnen einen Handlungsleitfaden „Betriebsvereinbarung Sucht“ an die Hand. In diesem wird erklärt, wie man mit Sucht im Unternehmen umgehen sollte, welche rechtlichen Aspekte es zu beachten gibt, welche Arbeit man Suchtkranken nicht zutrauen sollte und vieles mehr.

Außerdem betreuen wir Mitarbeitende, die bereits suchtkrank sind. Hier übernehmen wir eine Lotsenfunktion, ebnen die Wege ins Suchthilfesystem und helfen bei der Wiedereingliederung. Dabei greifen wir auf unser interdisziplinäres Team bestehend aus Betriebsärztinnen und Betriebsärzten, Suchthelfer:innen, Arbeitspsycholog:innen und Therapeut:innen zurück.                                                                                                         

Dadurch, dass wir in der Arbeitsmedizin Mitarbeitende betreuen, haben wir es mit dem Querschnitt der deutschen Bevölkerung zu tun. Da Sucht viele Personen betrifft, ist es ein wichtiges Thema der Arbeitsmedizin. Ob bei der Wiedereingliederung in den Beruf oder in der Sprechstunde, mit dem Thema Sucht kommt jede:r Betriebsmediziner:in früher oder später in Berührung.                       

Es gibt vier Wege, über die Suchtkranke mit uns in Kontakt kommen können. Innerhalb des betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement begleiten wir Suchtkranke auf ihrem Genesungsweg. Auch können wir einer suchtkranken Person im Verlauf einer Eignungsuntersuchung begegnen, in der beispielsweise auffällt, dass ein Alkoholproblem besteht. Zudem kommt es vor, dass sich Betroffene uns innerhalb der betriebsärztlichen Vorsorge anvertrauen und von ihrem Suchtproblem berichten.

Auch kann im Verlauf einer Routineuntersuchung auffallen, dass die Leberwerte immer schlechter werden und sich so ein Suchtproblem herausstellen. Darüber hinaus gibt es Jobs, für die der Gesetzgeber Drogentests vorschreibt, zum Beispiel bei der Arbeit auf Offshore Plattformen. Hier muss ein negativer Drogentest vorgelegt werden.  

Alkoholismus sehen wir in Betrieben am häufigsten. Dies zieht sich durch alle Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten hinweg. Aber auch Kokain, Amphetamine, Benzodiazepine und der Missbrauch von Beruhigungsmitteln begegnen uns immer wieder. In bestimmten geografischen Regionen lässt sich zudem ein vermehrter Gebrauch von Crystal Meth beobachten.

Im Umgang mit suchtkranken Mitarbeitenden ist es wichtig, eine Stigmatisierung zu vermeiden. Das Thema sollte verantwortungsbewusst und transparent angesprochen werden. Es gilt dabei Vorwürfe zu vermeiden und die Sorge über den Gesundheitszustand des Betroffenen zu betonen.

Da Verhaltensauffälligkeiten sich meist im engen Kollegenumfeld zuerst bemerkbar machen, sollte eine Vertrauensperson das Gespräch unter vier Augen mit dem Betroffenen führen. Dies gibt einem die Möglichkeit, zu hören, wie der Betroffene selbst das Thema sieht und Hilfe anzubieten. Wichtig ist, dass diese Gespräche dokumentiert werden – jedoch nicht in der Personalakte– um einsehen zu können, wie der aktuelle Stand ist und welche Ziele vereinbart wurden.

Hierbei handelt es sich um ein unterstützendes Angebot seitens der Arbeitgeber. Für die Lösung des Problems ist der Mitarbeitende stets selbst verantwortlich.

Aus Angst, Unsicherheit und falscher Scharm warten Führungskräfte oft zu lang, bis sie einen Mitarbeitenden auf die Erkrankung ansprechen. Die Angst sich eventuell doch zu irren und den Mitarbeitenden damit vor den Kopf zu stoßen, ist hoch. Aber auch die Angst, vor einem langen, krankheitsbedingten Arbeitsausfall steht dabei im Raum.

„Viele machen die Augen zu und sprechen den Mitarbeitenden nicht an, da sie keinen Ärger für den Betroffenen wollen. Auch befürchten viele einen langen Arbeitsausfall und trauen sich deswegen nicht zu intervenieren.“

Sucht ist eine Erkrankung, die sich in stoffgebundene und stoffungebundene Süchte unterteilen lässt. Stoffgebundene Süchtige sterben früher oder später an den körperlichen Nebenwirkungen ihrer Sucht. Aber auch suizidale Gedanken, aufgrund der hohen psychischen Belastung, können auftreten.

„Kommt eine suchtkranke Person nach 12 Wochen wieder in den Betrieb, verstehen viele Kolleg:innen oft nicht, wieso die Person dann nicht wieder voll leistungsfähig ist. Das Verständnis für eine Suchterkrankung ist sehr gering. Es ist wichtig zu verstehen, dass Sucht eine ernstzunehmende Erkrankung ist und einen langwierigen Heilungsprozess mit sich bringt.“

Die Dauer des Heilungsverlaufes sowie die Gefahr des Rückfalls werden oft unterschätzt.

Auch kann die Grundeinstellung zu Alkohol im Unternehmen ein Problem sein. Denn in vielen Betrieben, wie beispielsweise Kulturbetrieben, ist Alkohol Teil der Unternehmenskultur. Ein Glas Sekt zum Anstoßen eines erfolgreichen Auftritts gehört dort meist dazu. Dies macht es Suchtkranken schwer, da sie ständig mit ihrem Problem konfrontiert werden.

Da es sich bei Sucht um eine chronische und progrediente Erkrankung handelt und eine spontan Remission extrem selten ist, ist die Rückfallquote mit über 70 Prozent im ersten Jahr extrem hoch.

Frau Dr. med. Ivonne Hammer ist sowohl Fachärztin für Arbeitsmedizin, als auch Expertin für Suchtmedizin. Damit ist sie Anlaufstelle für viele suchterkrankte Menschen und Unternehmen, denen sie beratend zur Seite steht. Sie setzt sich in ihrer täglichen Arbeit dafür ein, das Verständnis für Sucht als Erkrankung zu stärken, Arbeitgeber:innen für das Thema Sucht zu sensibilisieren und Betroffene auf ihrem Genesungsweg unterstützend zu begleiten.

Selbsttests: Alkohol? Kenn dein Limit. (kenn-dein-limit.de)

Sucht am Arbeitsplatz - Sucht am Arbeitsplatz (sucht-am-arbeitsplatz.de)

Sucht und Drogen | BMG (bundesgesundheitsministerium.de)

Epidemiologischer Suchtsurvey (ESA) 2018