Mehr als eine Million Todesfälle verzeichnet die Statistik des Jahres 2021 in Deutschland. Der höchste Wert seit 1946. Diese sehr hohen Todeszahlen lassen sich jedoch nicht allein anhand von 67.000 durch Covid-19 bedingte Todesfälle erklären. Daher führt dies unter Mediziner:innen zur möglichen Hypothese, dass es sich hierbei um einen sogenannten kardiovaskulären „Kollateralschaden“ handelt. „Aktuelle Erhebungen belegen, dass im Verlaufe der ersten Welle 38 Prozent weniger Patienten mit Herzinfarkt in die Krankenhäuser kamen“, erläutert Prof. Holger Thiele, Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie – Helios Stiftungsprofessur am Herzzentrum Leipzig. Die zweite bis vierte Coronawelle fiel in Sachsen sogar noch stärker aus.
Jetzt, da sich die Lage im Land etwas zu beruhigen scheint, rechnen Kliniken mit einem erheblichen Anstieg der Behandlungszahlen. Bislang blieb das Herzzentrum Leipzig von einem Ansturm verschont. Entwarnung zu geben, wäre jedoch verfrüht. Weitere detaillierte Ergebnisse, die unter anderem eine von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, dem Herzzentrum Leipzig und dem Institut für Herzinfarktforschung initiierte Analyse, an der Prof. Thiele beteiligt ist, zur Situation liefern soll, stehen noch aus.
Konkretere Erkenntnisse liegen dafür im Bereich der Herzmuskelentzündungen, der Myokarditis, vor. Belegt ist, sagt Prof. Thiele, „dass es nach einer Covid-Impfung in 2,7 Fällen bei 100.000 Impfungen zu einer Herzmuskelentzündung mit meist milden Verlauf kam. Im Vergleich dazu: Bei einer Covid-Infektion ungeimpfter Patienten lag diese Zahl um etwa das Vierfache (12) höher und führte oftmals zu schweren Verläufen.“
Im Regelfall weisen Herzmuskelentzündungen bei geimpften Personen überwiegend unspezifische Symptome auf. Oft sind es Sportler, wie die Fußballer Alphonso Davis oder Pierre-Emerick Aubameyang, die mit einer Herzmuskelentzündung von sich Reden machen. „Bei Athleten ist das Risiko für Herzrhythmusstörungen erhöht, weshalb eine längere Schonung empfohlen wird. Ob eine Myokarditis vorliegt, lässt sich allerdings immer erst nach genauerer Ursachenforschung mittels Magnetresonanztomographie oder einer Gewebeentnahme nachweisen“, verdeutlicht der Herzspezialist.
Patienten, die schon vor ihrer Covid-Impfung eine Herzschwäche aufwiesen, sollte das aber nicht ins Grübeln bringen, rät Prof. Thiele. „Im Gegenteil. Um schwere Verläufe im Falle einer Covid-Infektion zu vermeiden, rate ich dazu, sich unbedingt impfen zu lassen”, so der Mediziner weiter. Lediglich bei jungen Menschen, die keine Vorerkrankungen hatten, nach der Erstimpfung aber eine Herzmuskelentzündung bekamen, wäre Holger Thiele, was Folgeimpfungen angeht, zurückhaltend. „Allerdings handelt es sich hierbei aber um absolute Sonderfälle“, hebt er hervor.
Nachweisbar starke Rückgänge verzeichneten Kliniken während der Coronawellen, darüber hinaus bei stationären Aufnahmen wegen Herzinsuffizienz, Bluthochdruck oder Herzrhythmusstörungen. Eine mögliche fatale Entwicklung. Denn ein ohnehin geschwächtes Herz hat es deutlich schwerer, sich gegen eine Covid-Infektion zu stemmen oder sich von ihr zu erholen. Daher mahnt Thiele alle Betroffenen eindringlich: „Durch eine Infektion mit dem Coronavirus erhöht sich besonders bei Herzkranken das Risiko für einen Herzinfarkt und für schwere Verläufe. Zudem wissen wir, das Covid-19 zu einer Aktivierung der Blutplättchen und Tromben führt, was das Gerinnungssystem der betroffenen Patienten beeinflusst.“ Menschen, die über Herzprobleme klagen, sollten unabhängig von der pandemischen Situation stets einen Arzt aufsuchen.
Um mögliche Auswirkungen einer Covid-Impfung oder -Erkrankung auf das Herz noch besser verstehen beziehungsweise behandeln zu können, unterstützt Thiele die Einrichtung eines nationalen Medizinregisters. So, wie es unter anderem in Dänemark, Israel oder Schweden seit langem schon existiert und wie es deutsche Ärzte, aber auch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie fordern. „Es wäre wirklich hilfreich, zumal dieses Thema ein weitaus größeres Spektrum als Covid-19 umfasst. Für die Forschung von Kardiologinnen und Kardiologen ist es wichtig zu wissen, wie viele Herzklappen jedes Jahr implantiert werden, über welche Probleme die Menschen im Anschluss daran eventuell klagen oder wie viele Herzinfarkte es jedes Jahr gibt. Auch Onkologen würden ein solches Register der Forschung zur Krebsbekämpfung helfen”, gibt sich Prof. Thiele überzeugt. Strengen Regeln beim Datenschutz behindern hierzulande jedoch ein Vorwärtskommen.