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Ein verantwortungsbewusster Einsatz von Antibiotika wird immer wichtiger

Der sorglose Umgang mit Antibiotika hat in den letzten Jahren zu vielen Resistenzen bei Bakterien geführt, so dass die Behandlung bestimmter Infektionskrankheiten mit Antibiotika, dem oft einzig wirksamen Mittel, immer schwieriger wird. Das verunsichert Patienten und stellt Ärzte vor große Herausforderungen.
17. November 2021

An den Helios Kliniken Wiesbaden-Taunus leitet Dr. Johannes Kütscher das so genannte Antibiotic-Stewardship-Programm. In dieser Funktion berät er alle Ärzt:innen zu Fragen rund um einen zielgerichteten und verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika, um gemeinsam optimale Therapie- und Diagnostikstrategien für die Patienten zu erarbeiten. Er bietet zudem gezielte Schulungen und regelmäßige Antibiotic-Stewardship-Visiten an.

Herr Dr. Kütscher, die Entdeckung und Entwicklung von Antibiotika gehören zu den wichtigsten Errungenschaften in der Medizin überhaupt. Wann werden Antibiotika in der Regel eingesetzt?

Der Begriff Antibiotika steht für Medikamente, die zur Behandlung von bakteriell bedingten Infekten und Erkrankungen dienen. Klassische Beispiele sind die Lungenentzündung oder Harnwegsinfektionen. Gegen Viren wirken die Antibiotika dagegen nicht. So helfen Antibiotika bspw. nicht gegen eine Covid-Erkrankung.

Was sind die häufigsten Fehler, die bei Behandlungen mit Antibiotika gemacht werden?

Es galt lange die Devise „Es schadet ja nicht“ oder „Viel hilft viel.“ Leider ist das auch heute noch im medizinischen Alltag stark verankert. Die Medizin musste lernen, dass eine Antibiotikabehandlung nicht nur Gutes, sondern auch Schäden verursachen kann. Für den einzelnen Patienten, für das Gesundheitssystem und letztendlich für die gesamte Bevölkerung.

Ist es sinnvoll, sofort oder bei etwas fortgeschrittener Erkrankung zu einem Antibiotikum zu greifen?

Die Entscheidung, ein Antibiotikum einzunehmen, sollte auf jeden Fall nicht vom Patienten, sondern von einem Arzt getroffen werden. Ärzt:innen sind dann herausgefordert, möglichst schnell und klar herauszufinden, ob eine Infektion durch Bakterien und nicht durch Viren vorliegt. Falls dies nachgewiesen wird, ist in der Mehrzahl eine antibiotische Therapie sinnvoll und sollte dann auch gleich begonnen werden.

Gibt es eine Leitlinie, wie lange man ein Antibiotikum einnehmen soll? Oft fragen sich Patient:innen, ob sie die ganze Packung aufbrauchen sollen oder nur so lange die Beschwerden da sind.

Für die meisten Infektionserkrankungen gibt es Therapieleitlinien. Die Dauer der Antibiotikagaben variieren dabei sehr stark. Sowohl Packungsgröße als auch die Dauer der Beschwerden sind dabei keine maßgeblichen Orientierungspunkte. Im besten Fall wissen die ärztlichen Kollegen über die notwendige Therapiedauer gut Bescheid und geben ihren Patienten genaue Anweisungen für die Einnahmeform und Therapiedauer. Falls man als Patientin diese Informationen nicht erhält oder verstanden hat, lohnt es sich auf jeden Fall, dies nochmals genau zu erfragen und mit seinem behandelnden Arzt zu besprechen.

Wie stellt sich aus Ihrer Sicht ein verantwortungsvoller Umgang mit Antibiotika dar?

Vor der Verordnung eines Antibiotikums sollte möglichst gründlich die Frage geklärt sein, ob tatsächlich ein Infekt durch Bakterien vorliegt. In der Folge dann sollte die Antibiotikabehandlung so kurz wie nötig beibehalten werden.

Welche Rolle spielen so genannte multiresistente Keime im Zusammenhang mit Antibiotika?

Die Entwicklung von Resistenzen ist ein natürlicher Selektionsprozess und dient den Bakterien als Überlebensstrategie. Resistenzen sind demnach ständige Begleiter, wenn man sich mit der Behandlung von bakteriellen Infekten befasst. Durch den vielfachen Einsatz von Antibiotika in der Medizin, aber auch in der Tierzucht, ist diese Entwicklung deutlich beschleunigt worden. Wenn Bakterien nur noch gegen wenige Antibiotika sensibel sind, spricht man dann von multiresistenten Bakterien. Meine Tätigkeit ist eine Antwort der Medizin auf diese Problemstellung. Ich berate meine ärztlichen Kolleg:innen über die Wahl des möglichst besten Antibiotikums für die Behandlung dieser multiresistenten Keime sowie allgemein im sorgfältigen Umgang mit Antibiotika, um der Entwicklung von multiresistenten Keimen entgegenzuwirken.

Wo geht aus Ihrer Sicht die Entwicklung hin? Wie werden sich Antibiotika und ihr Einsatz weiterentwickeln?

Aktuell gibt es multiresistente Bakterien, die erfreulicher Weise auf dem Rückzug innerhalb der Bevölkerung und im Gesundheitssystem sind. Auf der anderen Seite treten jedoch gehäuft neue multiresistente Keime, die nur wenige Behandlungsoptionen zulassen, auf. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass dieses Problem sich in den Folgejahren weiter zuspitzen wird. Es werden auf Dauer Neuentwicklungen von Antibiotika notwendig sein, um neue Therapieoptionen zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite werden Strategien entwickelt, um den Antibiotikaeinsatz zu präzisieren, wie bspw. durch sogenannte „Antibiotic Stewardship“-Programme, wie ich sie in den Helios Kliniken Wiesbaden-Taunus leite. Diese sind in Deutschland noch nicht flächendeckend vertreten.

Ein verantwortungsbewusster Einsatz von Antibiotika wird immer wichtiger