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Patient Blood Management

Durch den Einsatz von „Patient Blood Management“ konnten die Fremdblutgaben im Helios Klinikum Warburg drastisch gesenkt werden. Doch was genau steckt dahinter?

Die Gabe von Fremdblut gilt heute als sehr sicher. Dennoch müssen bei der ärztlichen Entscheidung zur Blutgabe auch die unerwünschten Nebeneffekte berücksichtigt werden. Prof. Zacharowski hat auf einige mögliche Probleme in seinem kritischen Filmbericht "Böses Blut" hingewiesen. Wann brauchen wir überhaupt noch fremdes Blut oder geht es vielleicht sogar ganz ohne? Offene Fragen auf die wir versuchen wollen, eine Antwort zu geben.

 

Der Saft des Lebens: Die lebenswichtige Funktion der Erythrozyten

Der menschliche Organismus, die kleinste Einheit ist die spezialisierte Körperzelle, benötigt Sauerstoff zum Leben (Zellstoffwechsel). Dieser wird von den roten Blutkörperchen, den Erythrozyten, mit dem Blutstrom (Kreislauf) antransportiert. Die Sauerstoffaufnahme ins Blut erfolgt beim Einatmen in den Lungenbläschen der Lunge und wird dabei an den roten Blutfarbstoff der Erythrozyten, das Hämoglobin(molekül), gebunden, um ihn transportieren zu können. Angekommen im Zielorgan wird der Sauerstoff dann wieder abgegeben, wo er für komplexe, biochemische Stoffwechselprozesse der Zellen benötigt wird. Die Transportkapazität, sprich die Zahl der zur Verfügung stehenden "Sauerstoff-LKW" (Erythrozyten) ist im menschlichen Körper begrenzt, wir messen einen Hämoglobingehalt im Blut (alternativ zur schwieriger zu bestimmenden Erythrozyten Zahl) von bei Frauen: 12-15 g/dl und bei Männern: 13-17 g/dl als normal. Gut zu wissen: Die roten Blutkörperchen als Träger des Hämoglobins werden ständig im Knochenmark neu nachgebildet! Sie haben allerdings nur eine begrenzte Lebensdauer von ca. 120 Tagen. Die Rate der Neubildung kann sowohl durch physiologische wie krankhafte Prozesse aber auch medikamentös in die eine oder andere Richtung hin beeinflusst werden.

 

Bei einer Erniedrigung der Erythrozytenzahl bzw. des Hämoglobingehaltes im Blut z.B. im Rahmen einer akuten Magenblutung, sprechen wir von einer Anämie. Der Körper ist in der Lage, einen solchen Mangel begrenzt durch Regulationsprozesse in begrentem Umfang zu tolerieren, wobei Ausmaß und Stärke der Blutung, Patientenzustand, Alter und Vorerkrankungen limitierende Faktoren darstellen. Beim Unterschreiten von einem kritischen Wert wird es dann aber gefährlich: Der Körper kann den Blutverlust nicht mehr ausreichend kompensieren, es kommt zu Mikrozirkulationsstörungen und zur Sauerstoffschuld im Gewebe mit anaerobem (=ohne Sauerstoff) Stoffwechsel. Dann ist die Gabe von Fremdblut zwingend erforderlich, wenn das Leben des Patienten nicht gefährden werden soll. Die Ursache der Anämie und des Blutverlustes zu erkennen und deren dringliche kausale Behandlung, z.B. durch eine Operation, sind Grundvoraussetzung zur erfolgreichen Beherrschung der häufig vital bedrohlichen Situation.

 

Jede Fremdblutgabe (Bluttransfusion) stellt eine Mini-Transplantation dar

Jeder Mensch ist Träger einer für ihn eigenen, genetisch determinierten Blutgruppe. Wir unterscheiden nach dem ABO-System die (Haupt) Blutgruppen A (48%), B (9%), AB (4%) und 0 (39%), ferner nach vorhandenem oder nicht vorhandenem Rhesusfaktor sowie diversen Untergruppen von eher untergeordneter Bedeutung. Die Blutgruppenmerkmale sind auf der Oberfläche der Erythrozyten in Form von jeweils speziellen Zuckermolekülen gespeichert. Gegen die "Nicht eigene Blutgruppe" verfügt der Organismus über sogenannte Antigene im Blutplasma, die Erythrozyten einer anderen, nicht verträglichen Blutgruppe erkennen und zerstören, um damit den eigenen Körper zu schützen. Demzufolge führt die Gabe einer inkompatiblen Blutkonserve z.B. im Rahmen einer fälschlichen Verwechslung zu einer heftigen "Abstoßungsreaktion" mit in der Regel deletären Folgen für den Patienten: Um u.a. solche Probleme zu verhindern, gelten für die Herstellung und Gabe von Blut- und Blutprodukten höchste Sicherheits- und Qualitätsanforderungen, die verbindlich in gesonderten Richtlinien der Bundesärztekammer festgeschrieben sind und deren Einhaltung strikt überwacht wird.

 

Vor einer Fremdbluttransfusion wird in einem mehrschichtigen und aufwendigen Prozess die Verträglichkeit von Empfänger und Spenderblut im Labor durch speziell ausgebildete MTA's untersucht (hier gilt das "Vier Augen Prinzip") und das Ergebnis abschließend nochmals durch einen Transfusionsmediziner oder transfusionsmedizinisch geschulten Arzt bestätigt (medizinisch validiert). Bei der geringsten Auffälligkeit ist eine Abklärung in einem immunhämatologischen Speziallabor, was natürlich Zeit in Anspruch nimmt, erforderlich: Wir arbeiten u.a. für solche Fragestellungen eng mit unserem Kooperationspartner der Blutbank in Kassel zusammen. Unmittelbar vor der Fremdblutgabe muss der die Transfusion durchführende Arzt direkt am Patientenbett nochmals die Patientenblutgruppe durch einen Schnelltest, den sog. "Bedside-Test", bestätigen und mit der Blutgruppe, der zur Transfusion vorgesehenen Konserve, vergleichen: Der Test ist obligat und soll eine Verwechslung definitiv und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen oder aufdecken.

 

Wichtig für Sie als Patient: Die Durchführung einer Transfusion ist eine ärztliche Aufgabe und im Interesse Ihrer Sicherheit nicht an nachgeordnetes Pflegepersonal delegierbar. Und wenn es einmal schnell gehen muss, weil Ihr Leben durch massiven Blutverlust und schweren Schock gefährdet ist, darf jederzeit ungekreuztes (=nicht getestetes) Blut der "Blutgruppe 0 Rhesus negativ" verabreicht werden, bis die auf Verträglichkeit hin geprüften Blutkonserven für Sie zur Verfügung stehen, was in der Regel ca. 30-45 Minuten in Anspruch nimmt.

 

Aufgrund der bestehenden hohen Sicherheits- und Qualitätsstandards sind "schwere Transfusionsreaktionen" heute extrem selten geworden, die Gabe von Fremdblut gilt von daher heute als sehr sicher! Dennoch sind leichte, klinisch meist unbemerkt verlaufende Reaktionen mit einer Antikörperbildung auf das letztendlich körperfremde Blut und den darin enthaltenen Restbestandteilen wie Leukozyten möglich und werden häufig erst entdeckt, wenn der Patient irgendwann einmal erneut eine Bluttransfusion benötigt.

 

Neben dem immunologischen Risiko der Unverträglichkeit bestehen weitere potenziell mögliche Probleme wie Infektionsrisiko z.B. durch Hepatitis, HIV oder anderer viraler Infektionen (heute extrem selten durch spezielle Testungen des Spenderblutes mittels PCR und einer besonderen Selektion der Spender), Unverträglichkeitsreaktion mit Fieber und Schüttelfrost als Reaktion auf Restbestandteile in der Fremdblutkonserve wie Leukozyten, bakterielle Verunreinigung, Lungenversagen durch Bluttransfusion (TRALI), Lungenödem und Herzversagen durch zu schnelle Transfusion, aber auch vermehrte Eisenablagerungen durch zerfallende Erythrozyten bei Mehrfachtransfusionen sind möglich.

 

Die Fremdbluttransfusion stellt eine ärztliche Maßnahme dar, die aufgrund der möglichen Probleme aufklärungspflichtig ist und der schriftlichen Einwilligung durch den Patienten bedarf. Ist im Rahmen einer Notfallbehandlung eine Aufklärung des Patienten nicht möglich, so ist die Aufklärung über die stattgehabte Transfusion im Sinne der "Sicherungsaufklärung" nachzuholen und entsprechend zu dokumentieren.

 

Wer braucht fremdes Blut?

Der Nutzen für unsere Patienten durch eine Fremdbluttransfusion wird in den letzten Jahren zunehmend kritischer gesehen: Da wo wir noch vor ca. 10-15 Jahren durch ein eher großzügigeres Transfusionsregime etwas "vermeintlich Gutes" für unsere Patienten und deren Gesundung zu tun glaubten, berücksichtigen wir heute zunehmend mehr auch die unerwünschten Nebenwirkungen bei unserer Entscheidung zur Blutgabe. Durch den kritischen Fernsehbeitrag von Prof. Zacharowski "Böses Blut" wurde das Thema der Fremdbluttransfusion und ihr "Für und Wider" bewusst in das öffentliche Interesse gerückt und wird seither von allen Beteiligten einschließlich der Fachexperten heftig und kontrovers diskutiert.

 

Was bleibt und worüber besteht Konsens? Es sollte heute im klinischen Alltag alles unternommen werden, um die Fremdbluttransfusionen auf ein absolut nötiges Maß zu reduzieren, wir im Helios Klinikum Warburg stehen dafür ein. Ob dabei der Weg eines restriktiven versus eines moderaten Transfusionsverhaltens der richtige für die Versorgung unsere teilweise hoch Betagten und häufig multimorbiden Kranken ist, muss noch durch wissenschaftliche Studien gezeigt werden.

 

Und dennoch werden wir auch in Zukunft in kritischen und lebensbedrohlichen Situationen nicht ohne die Gabe von Fremdblut auskommen: Der Schwerstverletzte im protrahierten Schock durch einen massiven Blutverlust benötigt genauso wie der Patient mit der geplatzte Bauchschlagader (=rupturiertes Aorten Aneurysma) die Gabe von Fremdblut, um überleben zu können, wie letztendlich auch ein Patient mit einer sich langsam (chronischen) entwickelnden Anämie mit den zunehmenden Zeichen der Kreislaufschwäche und Luftnot, wenn also seine körpereigenen Kompensationsmöglichkeiten erschöpft sind.

Patient Blood Management: Ein Bündel von Maßnahmen zur Reduktion von Fremdbluttransfusionen

  • Sensibilisierung der ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter für das Thema durch Aufklärung!
  • Frühzeitiges Erkennen einer vorbestehenden Anämie beim Erstkontakt mit dem Patienten vor einem elektiven Eingriff wie z.B. einer Hüft- oder Knieprothese und Empfehlung zur Abklärung durch den Haus- oder Facharzt
  • Medikamentöse Therapie zur Behebung einer präoperativ bestehenden Anämie durch hochdosierte intravenöse Eisengabe, Vitaminpräparate und ggf. Erythropoetin (EPO), braucht allerdings etwas Zeit bis Wirkung einsetzt
  • Optimierung der Blutgerinnung vor, während und nach der Operation
  • Vermeidung von Auskühlen während der Operation
  • Anwendung schonender (=atraumatischer) Operationstechniken z.B. minimalinvasive Operationsverfahren in der Bauchchirurgie
  • Subtile Blutstillung unter Einsatz von modernen Eletrokautern, Argon Beamer, Ultraschallscheren, Lasertechnik etc.
  • Großzügiger intraoperativer Einsatz von Cell Saver (maschinelle Autotransfusion)
  • Strenge Indikationsstellung vor jeder Fremdblutgabe unter Nutzung einer verbindlichen Transfusionscheckliste
  • Schwellenwert zur Fremdblutgabe wurde gesenkt, klinische Zeichen der Anämie sind als Transfusionstrigger wichtiger zu werten wie der reine erniedrigte Hb-Wert (restriktives Transfusionsregime)
  • Bedarfsadaptierte Fremdblutgabe, wo sie nötig ist, weg von der Strategie „Eine Konserve ist keine Konserve“
  • Reduktion der Laborkontrollen auf ein absolut nötiges Maß, Verwendung „kleiner“ Abnahmesysteme (Probenröhrchen)
  • (Präoperative Eigenblutspende)

 

Unter stringenter Nutzung all dieser Maßnahmen ist es gelungen, den Fremdblutbedarf unsere Patienten im Helios Klinikum Warburg in den letzten Jahren drastisch um ca. 50% bei steigender Patientenzahl zu senken, ein Ergebnis auf das wir stolz sind!