Suchen
Menü
Schließen

Hoffnung und berechtigte Zweifel

Mehr als 9.100 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. 700 von ihnen hoffen, dass ein neues Herz ihrem Leben eine zweite Chance gibt. Die Nachricht, dass Mediziner im amerikanischen Baltimore erstmals erfolgreich einem Patienten das Herz eines genveränderten Schweins eingesetzt haben, wurde somit zur erwarteten Sensation und weckt bei herzkranken Patienten enorme Hoffnung.
02. Februar 2022

Skeptischer hingegen betrachten deutsche Herzspezialisten vom Herzzentrum Leipzig wie Prof. Dr. Diyar Saeed, geschäftsführender Oberarzt der Universitätsklinik für Herzchirurgie und Bereichsleiter Herztransplantations- und Kunstherzprogramm den Sachverhalt. „Ich gratuliere den Kollegen zu diesem Erfolg, keine Frage. Aber was die dadurch geweckte Euphorie hinsichtlich der Xenotransplantation betrifft, bleiben bei mir große Bedenken“, betont Saeed.

Als Xenotransplantation wird die Übertragung von funktionsfähigen Zellen, Geweben oder Organen zwischen verschiedenen Spezies, im Besonderen von Tieren auf den Menschen, bezeichnet. Schon seit vielen Jahren forschen Mediziner zu diesem Thema. Einer von ihnen ist der Münchner Prof. Bruno Reichart. Er zählt zu den international führenden Kapazitäten der Herzchirurgie und war während seiner beruflich aktiven Zeit Transplantationsspezialist. Reichart ist Sprecher der von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) geförderten Gruppe „Xenotransplantation“.

Hoffnung und berechtigte Zweifel

Während Reichart klinisch aktiv war, gehörte auch Prof. Dr. Sandra Eifert über zwölf Jahre seinem Team an. „Die Münchner Forschungsgruppe war und ist die einzige außerhalb der USA, die sich parallel zu den Amerikanern intensiv mit der Xenotransplantation des Herzens auseinandersetzte“, berichtet die heute im Herzzentrum Leipzig tätige Medizinerin. Dass dieses Thema ein für die Zukunft der Medizin wichtiges ist, steht auch für sie außer Frage. Millionen Menschen weltweit wäre geholfen, wenn Spenderorgane auf solche Weise verfügbar gemacht würden.

Doch soweit ist es noch lange nicht. „Die experimentelle Phase ist aus meiner Sicht längst nicht ausgereift, weshalb ich den Eingriff als zu früh erachte“, begründet Prof. Saeed seine Zweifel. Zudem werde in der medialen Berichterstattung außer Acht gelassen, dass der 57-jährige Patient David Bennett zwar bei Bewusstsein ist, er aber bis vor kurzem mit einem mechanischen Kreislaufunterstützungssystem unterstützt werden musste. Auch die Kosten einer solchen Schweineherz-Transplantation wären aktuell kaum zu stemmen, liegen sie doch bei einer Millionen Euro. Realistische Alternativen sehen anders aus.

Gleichwohl erkennen die Professoren Saeed und Eifert diesen großen Schritt in der Transplantationsmedizin als außerordentliche Entwicklung an. „In der medizinischen Wissenschaft wurde damit, trotz aller berechtigten Vorsicht, ein großer Schritt getan. Bevor ein Schweineherz überhaupt in der Lage ist, ein schwer erkranktes menschliches Herz vollständig zu ersetzen, bedarf es aber vieler weiterer Schritte. Diese Herzen werden gentechnisch verändert, sind die Herzen sogenannter „transgener Schweine“. „An dem in den USA verpflanzten Organ wurde unter anderem ein Gen verändert, das einen bestimmten Zucker bildet, welcher beim Menschen – ohne gentechnische Veränderung – zur Abstoßung des Organes geführt hätte. Zudem wurde ein weiteres Gen, das zu übermäßigem Wachstum von Schweineherzgewebe führt, ausgeschaltet. Sechs menschliche Gene wurden dem Genom des Schweins hingegen eingefügt, wodurch einer Abstoßung des Herzens zusätzlich entgegengewirkt werden soll.

Der Zeitpunkt, dass die Verpflanzung transgener Organe zur Normalität wird, ist also noch lange hin. Was soll man deshalb tun, um der in Deutschland nach wie vor viel zu geringen Spendenbereitschaft von Organen etwas entgegenzusetzen? Der bereits intensiv diskutierte und vom Bundestag im Januar 2020 abgelehnte Schritt von der bisherigen Erklärung zur Spendenbereitschaft hin zur ihrer erklärten Ablehnung wäre eine Möglichkeit.

Einen anderen Weg sieht Prof. Saeed in der Organspende nach Kreislaufstillstand, englisch: DCD – Donation after Cardiocirculatory Death, neben dem bislang üblichen Hirntod, dem „donation after brain death“, DBD, des Spenders. Organspender:innen wären dann auch Patient:innen, bei denen aufgrund ihrer gesundheitlichen Konstitution nach ausführlichsten Untersuchungen in absehbarer Zeit ein rasches Versterben erwartet werden würde. „Europaweit, also in der Eurotransplant-Region, ist Deutschland das einzige Land, dass DCD aus ethischen Gründen ablehnt und demnach nicht praktiziert

Es ist keine Seltenheit, dass Patienten, die auf der Hochdringlichkeitsliste stehen und im Herzzentrum Leipzig monatelang auf ein Spenderorgan warten, zum Teil noch vor der Transplantation versterben. Die Xenotransplantation weckt besonders bei ihnen berechtigte Hoffnungen. Weitaus realistischer wäre es jedoch, wenn deutlich mehr Menschen als bisher sich damit beschäftigen würden, was mit ihrem Körper und seinen Organen nach ihrem Tod passiert.

Die Herzchirurgie am Herzzentrum Leipzig widmet sich der chirurgischen Behandlung von Erkrankungen des Herzens und herznaher Blutgefäße mit den modernsten und innovativsten Behandlungsverfahren in der Herzmedizin. Sie ist eine der führenden herzchirurgischen Abteilungen in Europa. Im Jahr 2021 wurden 35 Herztransplantationen und 46 Kunstherz-Implantationen durchgeführt. Mehr erfahren