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Wenn die Zeit über Leben bestimmt

Vielerorts ist die Enttäuschung groß. Ärzte, Verbände, Betroffene und Befürworter der Organspende hatten gehofft, dass sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei der Neuregelung der Organspende für die Widerspruchslösung entscheiden. So aber müssen viele Patienten in Deutschland und auch im Herzzentrum Leipzig, die auf ein Spenderorgan warten, weiter ausharren. Was genau das für sie bedeutet, erzählen zwei Männer, die ein Spenderherz bekamen beziehungsweise darauf warten.
13. Februar 2020
Wer still in sich hineinhört, der vernimmt das leise Schlagen. Rhythmisch im Gleichklang pocht das Herz, je nach Belastung mehr oder weniger. Wie kein anders Organ steht es für das Leben. Umso härter trifft es jene, die erfahren, dass ihr Herz am Ende seiner Kräfte ist.
Wenn die Zeit über Leben bestimmt
Heute weiß Steffen Niedner, dass eine verschleppte Erkältung der Auslöser war. Schrittweise ging die Leistung seines Herzens daraufhin zurück, zum Schluss auf gerade einmal zwölf Prozent des Möglichen. Ein normales Leben war für den mittlerweile 52-Jährigen somit undenkbar. Sport wurde für ihn ebenso zum Tabu wie eine geregelte Arbeit. Schlafstörungen taten ein Übriges. Mit gerade einmal Mitte dreißig wurde Niedner in die Rente geschickt. Aufgrund der schwachen Herzleistung setzen die Ärzte den Lützener folgerichtig auf die Transplantationsliste, mit höchster Priorität. 2009, berichtet er, hätte man ihm daraufhin ein Spenderherz angeboten. Aber die Angst vor der OP, die anstehende Jugendweihe seiner Tochter und ein vermeintlich gutes Wohlbefinden bewirkten seine Absage. Eine Entscheidung, die er schon bald revidierte. Denn bereits 2011 kamen neben den Herzproblemen noch Erkrankungen der Leber und der Nieren hinzu, wodurch sich der Gesundheitszustand des Sachsen-Anhalters zusehends verschlechterte. Im Januar 2012 schließlich zog Steffen Niedner in Herzzentrum Leipzig ein. Gemeinsam mit seiner Frau verfasste er ein Testament, regelte den Nachlass und hoffte auf das große Wunder. Seinen Geburtstag, den 16. Juni, feiert Niedner seit jenem Jahr zweimal. „Einen Tag zuvor wurde mir ein passendes Herz signalisiert. In der Nacht vor meinem Geburtstag wurde ich für die Transplantation vorbereitet und pünktlich mit Beginn des neuen Lebensjahres schlug das fremde Herz in mir, das nun meines ist“, blickt er noch immer euphorisch zurück. Dem Spender sei er unsagbar dankbar. Wohl wissend, dass dieser zuvor sein Leben verlor. „Aber viel denke ich darüber nicht nach. Das würde meine Psyche zu sehr belasten“, sagt er. Stattdessen setzt er alles daran, dem zweiten Leben eine echte Chance zu geben. Niedner treibt regelmäßig Sport, geht wieder arbeiten und leitet in seiner Freizeit eine Schularbeitsgemeinschaft. 19 verschiedene Medikamente muss Steffen Niedner wöchentlich einnehmen. Tabletten gegen Bluthochdruck oder Diabetes, für die Einhaltung der Fettwerte und anderes mehr. Aber was ist das schon gegen die wieder gewonnene Lebensfreude und Freiheit. „Ich lebe mein Leben“, bekennt Niedner mit einem Lachen im Gesicht. An diesem Punkt ist Golo aus Leipzig noch nicht angekommen. Der 29-jährige Student spürte Weihnachten 2017 erstmalig, dass mit seinem Körper etwas nicht in Ordnung sein kann. „Schon im Sitzen kam ich außer Atem”, berichtet er. Zwei Monate später, seine Herzlistung lag bei 15 Prozent, wurde Golo im Herzzentrum vorstellig. Eine Defibrilatorweste, die man ihm mit nach Hause gab, brachte keine Verbesserung der Situation. Erst verabreichte Medikamente sorgten für eine kurzzeitige Besserung, weshalb man ihn auf der Transplantationsliste von höchster Priorität wieder auf normal setzte. Da sein Herz die geforderte Leistung aber nicht bringen kann, implantierten Ärzte dem Leipziger im April 2018 ein Kunstherz. Ein kleiner Rucksack ist seither Golos regelmäßiger Begleiter. Die etwas mehr als zwei Kilogramm sind zwar vom Gewicht her keine Belastung, die Mobilität und Körperhygiene des jungen Mannes jedoch schränkt das spürbar ein. „Als Student hat man eigentlich kein geregeltes Leben. In meiner Situation sind klare Strukturen aber zwingend notwendig. Ich musste mich neu organisieren“, sagt er. Dass auch Maschinen nicht unfehlbar sind, belastet Golo am meisten. Ein Defekt des Ladegerätes, das die Batterien des Kunstherzens befüllt, sorgte schon einmal für Schrecksekunden und minderte zwangsläufig auch sein Vertrauen in die Technik. Gleichwohl räumt er ein: „Trotz vieler Einschränkungen geht es mir soweit gut.“ Sensibler sei er geworden, lege die Prioritäten im Leben heute anders, umschreibt Steffen Niedner seinen aktuellen Gemütszustand. Golo hingegen sagt, dass er warte. Aber nichts erwarte. So wie ihm geht es im Herzzentrum etwa 50 Patienten, die auf der Warteliste für ein neues Herz stehen, sechs davon mit Hochdringlichkeitsstufe, erläutert Elke Scholz-Zeh, Koordinatorin für Herztransplantationen und Vereinsvorsitzende des HLTX e.V. Der nimmt sich vornehmlich jener Patienten und deren Angehöriger an, die ein neues Herz haben oder darauf warten. Scholz-Zeh kennt die Empfindungen der Betroffenen. Auch ihr Mann bekam vor 13 Jahren ein Spenderherz implantiert. Der Erfahrungsschatz, über den sie dadurch verfügt, ist vielen Patienten eine große Hilfe. Deutschlandweit warten etwa 900 Menschen auf ein Spenderherz, zirka 11.000 generell auf ein neues Organ. „Eine Gesetzesänderung, hin zur Widerspruchslösung, wäre für sie eine Chance gewesen“, betont Scholz-Zeh. Immerhin, fügt sie an, habe die Diskussion für ein Nachdenken in der Bevölkerung gesorgt. Bleibt zu hoffen, dass auch die Politik erkennt, welche Gelegenheit sie mit ihrer Entscheidung verpasst hat.