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Hoffnung auf ein freies Leben

Das Ritual ist grausam, unnötig, menschenverachtend und entstammt einer anderen Zeit. Trotz aller Ermahnungen und Verbote werden weltweit noch immer jedes Jahr Millionen Mädchen und junge Frauen einer Genitalverstümmelung unterworfen. Die Schmerzen, die sie hierbei erleiden, halten ein Leben lang an. Der Leipziger Verein SAIDA International e.V. tritt dem offensiv entgegen. Engagiert ist auch ein Herzchirurg vom Herzzentrum Leipzig.
06. Oktober 2020

Es sind Bilder, die schockieren. Man möchte wegsehen, das Geschehen einfach ausblenden, zur Tagesordnung übergehen. Afrika ist schließlich weit weg. Und diese Grausamkeiten sind nur Teil eines Filmes. Doch das, worüber Waris Dirie in ihrem Buch und dem späteren Film „Wüstenblume“ berichtet, ist erbarmungslose Realität. „Die Klitoris wird entfernt und die kleinen und großen Schamlippen weggeschnitten. Die Wunde wird zusammengenäht. Wo die Genitalien waren, ist nur noch eine große Narbe und eine Öffnung so groß wie ein Streichholzkopf“, berichtet die heutige Schauspielerin in ihrer Biografie.

Hoffnung auf ein freies Leben

So wie Dirie, die in Somalia aufwuchs und dieser Misshandlung mit fünf Jahren unterworfen wurde, geht es tausenden Mädchen Tag für Tag, weltweit. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass jedes Jahr etwa drei Millionen Mädchen dieser schweren Gewalt ausgesetzt werden. 200 Millionen Frauen und Mädchen müssen mit den schwerwiegenden Folgen des verstümmelnden Eingriffs leben. Global ist das jede zwanzigste Frau. Sie leben in Ägypten, Somalia, Äthiopien, Guinea, Sierra Leone, Irak… Der Grund, warum man ihnen das antut, ist simpel. Es geht darum die Sexualität der Mädchen zu kontrollieren, sie durch Gewalt gefügig zu machen.

In vielen Ländern der Erde steht die Genitalverstümmelung mittlerweile unter Strafe. Auch im westafrikanischen Burkina Faso. Und dennoch werden auch hier drei von vier Mädchen weiterhin Opfer dieser Gewalt. Handeln, statt zusehen, aktiv werden, statt nur reden lautet daher die Devise von SAIDA International e.V. Der Verein mit Sitz in Leipzig hat es sich zur Aufgabe gemacht, von Genitalverstümmelung betroffenen und gefährdeten Mädchen und Frauen eine Stimme zu geben. Helfen kann SAIDA, was im Arabischen die Glückliche heißt, im Besonderen in Burkina Faso und in Deutschland.

Die Idee dahinter scheint ebenso einfach wie wirkungsvoll. Gelder, die der Verein aus Spenden oder durch die Übernahme einer Kindespatenschaft (für 25 Euro pro Monat) erhält, werden in Burkina Faso für Schutz und Bildung der Mädchen eingesetzt. „Wir nehmen die Mädchen unter einen Schutzschirm. Mit den Eltern vereinbaren wir, dass die Kinder Vorsorgeuntersuchungen in der örtlichen Gesundheitsstation erhalten. Die Ergebnisse werden in einem Gesundheitspass dokumentiert, um sicher zu stellen, dass die Mädchen unversehrt bleiben und gesund aufwachsen. Daneben ist es wichtig, für die Schulbildung der meist benachteiligten Mädchen zu sorgen. Deshalb verpflichten sich die Familien in unserem Programm, ihre Töchter regelmäßig die Schule besuchen zu lassen“, erläutert SAIDA-Geschäftsführerin Simone Schwarz. Außerdem sei es in dieser sehr traditionellen Gesellschaft besonders wichtig, die Frauen zu stärken und die Männer ins Boot zu holen. Sie selbst fliegt so oft als möglich in das westafrikanische Land, um sich von der Entwicklung des Projektes zu überzeugen und weitere lokale Kräfte für die Absicherung zu gewinnen.

Nicht minder aktiv ist der Verein in Deutschland. „Aufgrund der stärker werdenden Zuwanderung gehen wir aktuell von mehr als 81.000 Betroffenen und Gefährdeten in Deutschland aus”, sagt Simone Schwarz. Hier geht es darum, Anlaufstellen zu schaffen, die Frauen aus den betroffenen Herkunftsländern beraten, psychosozial unterstützen und zum Schutz gefährdeter Kinder wirksam beitragen. Aber auch die Hilfe der Ärzte wird dringend gebraucht. „Genitalverstümmelung ist ein komplexes Thema. Es betrifft die Kinderheilkunde, die Gynäkologie, die Urologie und die plastische Chirurgie. In Leipzig haben wir mit dem SAIDA Kompetenzzentrum die erste multidisziplinäre Anlaufstelle für betroffene Mädchen und Frauen geschaffen”, erklärt Schwarz und ergänzt: „Die Kombination aus umfassender medizinischer Versorgung und sozialer Betreuung ist in Deutschland einzigartig“.

Helfen, wo er nur kann, möchte auch Prof. Dr. Dr. Martin Misfeld, Leitender Oberarzt für minimalinvasive Klappenchirurgie am Herzzentrum Leipzig. Gemeinsam mit seiner Frau Tuula hat er die Patenschaft für zwei Mädchen in Burkina Faso übernommen und engagiert sich aktiv in der Vereinsarbeit bei SAIDA. „Von Beginn an hat uns die Arbeit von SAIDA überzeugt. Zudem geht der Verein sehr transparent und offen mit allen Aktivitäten und finanziellen Transaktionen um. Das schafft Vertrauen und lässt keine Fragen offen“, betont Misfeld.

Mädchen oder Frauen, die mit einer Genitalverstümmelung den Weg nach Deutschland gefunden haben, versucht SAIDA die Schmerzen zu nehmen. Ein Ärzteteam um Prof. Dr. Amir Hamza, Chefarzt der Klinik für Urologie und Andrologie am Klinikum St. Georg Leipzig, nimmt sich der Betroffenen an und führt, wenn möglich, unter anderem Klitorisrekonstruktionen, Fisteloperationen oder Reparaturen der Harnableitersysteme durch. „Für die Frauen und Mädchen beginnt danach ein neues Leben, in dem sie ohne Schmerzen leben können und die Chance auf eine eigenständige Sexualität bekommen“, sagt Simone Schwarz.

Die Genitalverstümmelung sei ein Angriff auf das weibliche Geschlecht und müsse daher auch von allen Frauen bekämpft werden, nennt Schwarz die persönlichen Beweggründe ihres Engagements. „Es ist beschämend, dass diese extreme Form der Gewalt und Ungerechtigkeit nicht stärker verfolgt wird, selbst in Deutschland. Genitalverstümmelung gilt hierzulande als Verbrechen und würde mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr (§ 226a StGB) geahndet – sollte es jemals zu einer Anklage und Verurteilung kommen. Dazu müssten erst einmal die Hürden bei der Strafverfolgung genommen werden, etwa mit einer Meldepflicht für medizinisches und pädagogisches Personal“, verdeutlicht sie. SAIDA setzt daher in erster Linie auf Prävention und baut darauf, dass immer mehr Kinderärzte, Entbindungsstationen und Hebammen beim Schutz gefährdeter Kinder mitwirken.

Jeder Mensch hat ein Anrecht auf eine gesunde Sexualität. Sie ihm durch grausame Rituale zu nehmen, muss daher kompromisslos bekämpft werden. SAIDA International lebt diesen Vorsatz und hält damit die Hoffnung wach, dass die Genitalverstümmlung dereinst wirklich nur noch ein Relikt aus vergangenen Zeiten ist.

Der Verein setzt sich für die Umsetzung von Frauen- und Kinderrechten in Entwicklungsländern ein. Schwerpunkte der Arbeit sind Mädchenbildung, Schutz vor Genitalverstümmelung und Kinderehe, Stärkung von Frauen sowie die Verbesserung der reproduktiven Gesundheit.