Sie ist ein wahres Energiebündel: Wenn Katrin Kleiner die Hebammenambulanz oder den Kreißsaal in der Helios Klinik Rottweil betritt, wirkt sie routiniert, scheint alles sofort im Griff zu haben, packt an – und strahlt gleichzeitig Ruhe und Vertrauen aus. Alles Qualitäten, die für eine Hebamme wichtig sind. Katrin Kleiner macht den Job inzwischen seit mehr als drei Jahrzehnten. Und sie will unbedingt weitermachen, sagt die 55-Jährige schmunzelnd. Auch wenn die Schichten herausfordernd sein können: „Ich brauche den Kreißsaal, ich brauche diesen Kick. Man kommt zum Dienst und weiß nie, was auf einen wartet. Es ist eine extreme Herausforderung, aber es macht immer noch Spaß“, sagt Katrin Kleiner.
Auf der Sonnenseite des Lebens
Es sind mittlerweile Tausende Babys, denen sie im Rottweiler Kreißsaal auf die Welt geholfen hat – einst als angestellte Hebamme im Kreiskrankenhaus, jetzt als selbstständige Beleghebamme in der Helios Klinik Rottweil. Gelernt hat sie ihr Handwerk 1984 bis 1987 in der damaligen DDR. Es war ein Fachschulstudium; einen Platz zu bekommen, war nicht einfach. „Ich wollte immer gern mit Menschen arbeiten. Medizin hat mich schon gereizt, aber ich wollte nicht immer mit kranken Menschen zu tun haben. Du bist als Hebamme auf der Sonnenseite des Lebens“, sagt sie.
Katrin Kleiner hat sich immer weitergebildet und neue Aufgaben übernommen. „1995 habe ich mit der Wochenbettbetreuung begonnen. Danach habe ich noch die Akupunktur-Weiterbildung gemacht und 2015 mit den Geburtsvorbereitungskursen angefangen und Rückbildungskurse angeboten“, zählt sie auf. „Mir gefällt diese Rundum-Betreuung. So kann ich die Frauen ziemlich lange begleiten“, sagt Katrin Kleiner.
Überraschende Begegnungen
Immer wieder erlebt sie in ihren Geburtsvorbereitungskursen überraschende Begegnungen: Da stehen auf einmal schwangere Frauen und ihre Männer da und zücken alte Fotos aus der Tasche – die Aufnahmen, die nach ihrer eigenen Geburt im Rottweiler Kreißsaal entstanden sind, mit Katrin Kleiner als Hebamme an der Seite. Es sind Gänsehaut-Momente, von denen es in der Klinik und ganz speziell in der Geburtshilfe jede Menge gibt.
Katrin Kleiner kann sich an viele besondere Geschichten erinnern. Bei ihr haben einmal auch schon Mutter und Tochter am gleichen Tag ihre Kinder bekommen. „Für die Tochter war es ihr erstes Baby, für die Mutter ihr viertes. Sie lagen dann auch im gleichen Zimmer auf der Wochenstation“, weiß Katrin Kleiner noch ganz gut.
Das große Vertrauen
„Es gab auch Großeltern, die drei Tage hintereinander je ein Enkelkind bekommen haben“, erzählt sie. Das Leben schreibt manchmal eben die verrücktesten Geschichten. Und solche Geschichten, die machen den Beruf aus. Der Dank der Familien, das große Vertrauen, die Möglichkeit, die Frauen in einem der wichtigsten und intimsten Momente ihres Lebens zu begleiten – das ist kein Nullachtfünfzehn-Job, das muss Berufung sein.
Katrin Kleiner nickt. „Man muss mit Menschen umgehen können. Man muss bereit sein, auch mal die Zähne zusammenzubeißen. Man muss einsatzbereit sein – auch am Wochenende und an den Feiertagen. Kinder werden nun mal rund um die Uhr geboren und nicht von Montag bis Freitag“, sagt sie mit einem Lächeln. „Die wenigsten Kinder kommen pünktlich am Entbindungstermin. Geburten sind nicht planbar – und das ist das Besondere an der Arbeit im Kreißsaal.“
„Männer sind ein bisschen wie Statisten“
Doch wie haben sich die Geburten in den vergangenen drei Jahrzehnten verändert? „Heute gehören für mich die Väter dazu. Sie fragen alles, sie wollen alles wissen. Das Schwierige für viele Männer bei der Geburt ist: Sie sind ein bisschen wie Statisten dabei. Die Frauen sind ja beschäftigt. Die Männer leiden wahnsinnig mit den Frauen mit, können aber nicht viel machen“, schildert Katrin Kleiner ihre Erfahrungen. „Die Frauen sind auch fordernder geworden. Und sie benötigen mehr Schmerzmittel. Ja, unsere Medizin hat sich verbessert und eine gute Schmerztherapie ist eine tolle Sache – aber ich finde, es ist immer wichtig, auf sich selbst und auf den eigenen Körper zu vertrauen und nicht so sehr von medizinische Geräten abhängig zu sein. Viele Frauen können das übrigens super gut“, sagt die Hebamme. Was ihr noch auffällt: „Die Kinder sind größer geworden.“ Katrin Kleiner verbindet das mit der besseren Vorsorge und Ernährung der Mütter: „Die Kinder gedeihen besser.“
Anders ist auch der Umgang mit dem Thema Sternenkinder. „Vor 30 Jahren war es noch ein absolutes Tabu-Thema, die Eltern haben ihre Babys nicht mal gesehen und konnten nicht wirklich Abschied nehmen. Heute wissen alle, dass die Mütter und die Familien in solchen Situationen eine besondere Betreuung brauchen. Die Gesellschaft geht mittlerweile offener mit dem Thema um“, stellt die Hebamme fest.
Wochenbett: Die Zeit des Ankommens
Verändert hat sich bei vielen Familien auch die Situation nach der Geburt. „Früher wurde man im Wochenbett von der ganzen Familie verwöhnt“, sagt Katrin Kleiner. Heute haben viele Frauen keine Familie in der Nähe; einige werden kaum bis gar nicht unterstützt. Dabei ist es eine wichtige Phase, betont die Hebamme. „Diese acht Wochen, diese Zeit brauchen die Mütter und die Kinder, um im neuen Leben anzukommen. Der Körper stellt sich um. Wir sind oft zu ungeduldig. Die Kinder können gut entschleunigen“, findet sie. Ihr Appell: „Lasst euch im Wochenbett verwöhnen, holt Freunde und Familie mit ins Boot, damit alle kochen, backen, machen, tun – damit sie der Mutter und dem Kind zur Seite stehen.“
Sie selbst ist nach 31 Jahren im Ländle mittlerweile auch angekommen. „Es ist mein Zuhause, ich möchte hier bleiben“, sagt Katrin Kleiner. „Und ich wünsche mir, dass ich gesund bleibe, damit ich noch lange als Hebamme arbeiten kann.“ Eins steht auf jeden Fall fest: Da hat Katrin Kleiner bei der Berufswahl die goldrichtige Entscheidung getroffen.