Prof. Dr. med. Henrik Rüffert ist Experte in Narkose-Fragen. Neben seiner Tätigkeit als Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Helios Klinik Schkeuditz betreut er Patienten mit einer sogenannten Veranlagung zur „Malignen Hyperthermie“ am Universitätsklinikum Leipzig und ist Mitglied in wissenschaftlichen Gremien der European Society of Anaesthesiology und European Malignant Hyperthermia Group.
Im Interview beantwortet er wichtige Fragen zur Narkosesicherheit:
Herr Prof. Rüffert, wie sicher sind Narkosen heutzutage? Ist die Sorge berechtigt?
Rüffert: Es ist tatsächlich so, dass sich viele Patienten unabhängig von der Größe eines operativen Eingriffes eher darum sorgen, nicht wieder aus einer Narkose aufzuwachen. Natürlich gibt es auch solche Fälle - aber: Sie sind insgesamt sehr selten und fast nie allein auf die Narkose zurückzuführen. Ursächlicher für ein „Nichtaufwachen“ sind eher Komplikationen, die im Zusammenhang mit Umfang, Zeitpunkt oder Technik des operativen Eingriffs stehen (z.B. Notfalleingriff mit hohem Blutverlust) oder durch die Kombination von Operation und Narkose (z.B. schwere Blutdruckschwankungen) verursacht werden. Diese betreffen dann in erster Linie das Herz, den Kreislauf oder die Lunge und werden maßgeblich durch bereits bestehende Vorerkrankungen beeinflusst. Die eigentliche Narkose, das heißt der medikamentös induzierte Bewusstseinsverlust, welcher die schmerzfreie Operation ermöglicht, ist heutzutage aufgrund gut steuerbarer und nebenwirkungsarmer Substanzen sehr sicher; insofern sind diesbezügliche Sorgen weitgehend unberechtigt.
Gibt es Besonderheiten, auf die ein Narkose-Arzt achten muss?
Rüffert: Zunächst danke ich für die Fragestellung – in Deutschland werden Narkosen tatsächlich durch Ärzte durchgeführt. Diese können mit dem entsprechenden fachlichen Wissen auch gut das sogenannte perioperative1 Risiko abschätzen und Maßnahmen initiieren, damit der Patient mit den bestmöglichen Voraussetzungen in die Operation geht bzw. diese übersteht. Hierbei geht es zum Beispiel um die Beurteilung und eventuell um eine Verbesserung der körperlichen Belastungsfähigkeit. Daher werden neben Größe und Gewicht auch alle Nebenerkrankungen, Allergien oder andere Veranlagungen, diagnostische Vorbefunde und Laborwerte erfasst und ausgewertet. Am Ende steht die Gewährleistung der höchstmöglichen Patientensicherheit mit Auswahl des geeigneten Betäubungsverfahrens, des Umfangs der Herz-Kreislaufüberwachung während der Operation sowie der postoperativen Nachsorge.
Was ist maligne Hyperthermie eigentlich?
Rüffert: Dies ist tatsächlich eine sogenannte Narkosekomplikation, die unter Anästhesisten (Narkoseärzten) mehr als gefürchtet ist. Der Patient trägt hierbei eine genetische Veranlagung, die unter dem Einfluss von bestimmten Narkosemedikamenten - insbesondere von schlafinduzierenden Narkosegasen - zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung führt. Dabei produzieren die Muskelzellen während der Narkose abnorm viel Energie, die zum Anstieg der Körpertemperaturen über 40°C und nachfolgend zum Kreislaufzusammenbruch und möglichem Tod führt. Leider sieht man den Patienten klinisch diese Veranlagung nicht an.
Wie viele Menschen sind davon betroffen?
Rüffert: Etwa jede 2-3000ste Person aus der Normalbevölkerung trägt die genetische Veranlagung. Glücklicherweise entwickelt nicht jeder genetisch Betroffene immer das Vollbild dieser lebensbedrohlichen Komplikation, so dass die Häufigkeit von klinisch relevanten Zwischenfällen zwischen 1:10.000 bis 60.000 Narkosen liegt.
Heißt das, dass diese Menschen einer Narkose nicht ausgesetzt werden dürfen?
Rüffert: Nicht ganz. Diesen Menschen darf man bestimmte Narkosemedikamente, insbesondere gasförmige, nicht verabreichen.
Wie können Menschen mit MH doch narkotisiert werden?
Rüffert: Es gibt sichere Alternativmedikamente, eine Narkose (Schlaf) ist also durchaus möglich. Sicher sind auch örtliche Betäubungs- oder Regionalanästhesieverfahren.
Gibt es ganz neue Erkenntnisse aus der Forschung zur malignen Hyperthermie? Welche?
Rüffert: Ja, insbesondere aus der Genetik. Das Wissen über krankheitsverursachende Gene und Mutationen steigt ständig, auch über die Prozesse in den Muskelzellen. Dies ist für Vorsorgeuntersuchungen innerhalb einer „MH-Familie“ sehr bedeutsam, da die Veranlagung mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit vererbt wird. So kann man im Vorfeld vermeiden, dass den Anlageträgern MH-auslösende Substanzen verabreicht werden.
Vielen Dank für das Interview.
1 perioperativ = umfasst den Zeitraum vor, während und nach einer Operation