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Wenn Mücken mehr als nur jucken – Frau aus Müllheim infiziert sich mit seltenem Toskana-Virus

Nach einem Urlaub auf der italienischen Insel Elba erkrankt Birgit S. an einer in Deutschland kaum bekannten Virusinfektion. Was zunächst wie eine gewöhnliche Grippe wirkte, wird zum Beginn einer gesundheitlichen Odyssee.
10.11.2025 Lesedauer: - Min.
Wenn Mücken mehr als nur jucken – Frau aus Müllheim infiziert sich mit seltenem Toskana-Virus

Der Spätsommerurlaub auf Elba sollte für Birgit S. und ihren Mann eigentlich eine sportliche Auszeit werden - Mountainbike-Touren durch die hügelige Insel, Sonne und Meer. Doch schon bald fiel dem Paar auf, wie aggressiv die Insekten waren. „Ich war völlig zerstochen“, erinnert sich Birgit S, die aus Hamburg stammt und in Müllheim lebt. Die Stiche entzündeten sich, doch anfangs nahm sie das als lästige Urlaubserinnerung hin.

 

Plötzlich krank und niemand weiß warum
Sechs Tage nach der Rückkehr nach Deutschland bemerkt Birgit S. erste Symptome: „Ich bekam Nacken- und Kopfschmerzen, Schmerzen hinter den Augen und musste mich erbrechen. Bei der Arbeit ging das Coronavirus rum. Zuerst vermutete ich, dass ich mich angesteckt habe, da es sich wie eine schlimme Grippe anfühlte – nur intensiver.“ In der Helios Klinik Müllheim wurde sie Anfang Oktober mit Fieber, Lichtempfindlichkeit und Verwirrtheit aufgenommen. „Ich konnte mich nicht erinnern, wie groß ich bin oder welchen Beruf ich ausübe. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf stecke in einer Aquariumskugel. Alles war dumpf“, schildert die zweifache Mutter.

 

Die Symptome deuteten auf eine Hirnhautentzündung (Meningitis) hin, doch ob viral oder bakteriell, blieb zunächst unklar. „Wir haben sofort breit mit Antibiotika und antiviralen Medikamenten behandelt“, erklärt Dr. Björn Reuter, Leitender Oberarzt der Neurologie in der Helios Klinik Müllheim. „Bei Reisen in den Mittelmeerraum kommen auch ungewöhnliche Erreger infrage, was sich durch den Klimawandel jedoch ändern dürfte – wie das Beispiel des Chikungunya-Virus zeigt.“ Das ursprünglich tropische und durch die Tigermücke übertragene Chikungunya-Virus hat sich bei uns im Oberrheingraben etabliert.

 

Ein gefährlicher Unbekannter: das Toskana-Virus
Nach Tagen voller Untersuchungen, Schmerzen und Verzweiflung besserte sich ihr Zustand leicht. Die Testungen auf in Deutschland häufige Erreger bei Hirnhautentzündungen waren sämtlich unauffällig. Ein wichtiges Detail gab schließlich den entscheidenden Hinweis. „Ich berichtete, dass wir auf Elba waren und ich dort so zerstochen wurde“, meint Birgit S. Dr. Reuter ließ daraufhin auf das West-Nil- und das Toskana-Virus testen, das durch Mücken übertragen wird.

 

Drei Wochen später stand das Ergebnis fest: Die 59-Jährige hatte sich tatsächlich mit dem Toskana-Virus infiziert. Es war der erste bekannte Fall dieser Art in der Helios Klinik Müllheim. Das Virus, das im Mittelmeerraum verbreitet ist, kann beim Menschen Fieber, Kopfschmerzen und in seltenen Fällen eine virale Hirnhautentzündung auslösen. Eine spezifische Therapie gibt es nicht, behandelt wird symptomatisch. Nach zehn Tagen im Krankenhaus und anschließender Genesungszeit zu Hause ging es der Patientin langsam besser.

 

Noch nicht über den Berg
Doch die Genesung blieb schwierig. Nach einer Phase der Besserung traten plötzlich starke Gelenkschmerzen, Rötungen und Schwellungen auf. Das linke Knie entzündete sich, die linke Hand schwoll an – eine reaktive Arthritis, ausgelöst durch die vorangegangene Virusinfektion. Typisch für diese Erkrankung ist, dass die Entzündung von einem Gelenk auf andere übergreifen kann. Erst in der Uniklinik Freiburg wurde klar, dass dies eine Spätfolge der Entzündung war. „Es war ein Auf und Ab. Ich war verzweifelt, konnte nicht laufen und hatte Fieber“, erläutert Birgit S.

 

Ein Fall, der aufmerksam machen soll
Für die behandelnden Mediziner ist der Fall ein Lehrstück. „Wir müssen uns bewusst sein, dass auch in beliebten europäischen Urlaubsregionen Erreger lauern, die hier kaum bekannt sind“, betont Dr. Reuter. Wichtig seien etablierte Diagnoseketten und Sensibilität für die Reiseanamnese: Wer nach einem Mittelmeerurlaub mit Fieber, starken Kopfschmerzen oder neurologischen Symptomen erkrankt, sollte unbedingt auf seltene Viren getestet werden.

 

„Ich hatte Glück und gute Ärzte“
Heute befindet sich Birgit S. auf dem Weg der Besserung, die Gelenke sind abgeschwollen, die Kopfschmerzen verschwunden. Doch sie weiß: Ihr Fall war außergewöhnlich. „Dass so ein winziger Stich mich fast lahmgelegt hätte – das glaubt man erst, wenn man es erlebt. Ich werde Mücken nie wieder unterschätzen und möchte auf diese Krankheit aufmerksam machen“, sagt Birgit S. und lobt ausdrücklich das Engagement der Teams in Müllheim und Freiburg. „Die Ärzte haben nicht lockergelassen. Sie haben mich ernst genommen, weitergedacht und sich die Zeit genommen, die Ursache wirklich zu finden. Dafür bin ich unendlich dankbar.“