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Trinken bis kurz vor der OP: Nüchternheitskonzept setzt neue Maßstäbe bei Patientenwohl und -sicherheit

Oberärztin Dr. Anne Rüggeberg und Chefarzt Dr. Eike Nickel vom Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin haben ein Nüchternheitskonzept entwickelt, welches das Wohlbefinden von Patient:innen verbessern und die Komplikationsrate nach Operationen oder Untersuchungen in Sedierung verringern kann. 

24. Mai 2024
Besonderheit im Klinikum: das Nüchternheitskonzept

Woran haben Sie geforscht?

Patient:innen sollten mit optimalen Voraussetzungen in eine Operation oder Untersuchung in Sedierung starten, um schnell wieder gesund zu werden. Sie sollten dafür aber nicht länger als unbedingt notwendig auf Essen und Trinken verzichten. Leider sind sie jedoch oft durstig und dehydriert, da sie häufig zuletzt am Vorabend etwas getrunken haben. Das verursacht nicht nur extremes Unwohlsein und Stress, sondern führt auch zu ernsthaften Komplikationen. Diese Patient:innen müssen länger im Krankenhaus verweilen und haben ein erhöhtes Risiko zu versterben. Das wollten wir ändern, unsere Patient:innen sollen auch am Tag ihrer Operation oder Untersuchung in Sedierung ausreichend trinken.

Helios Klinikum Emil von Behring

Chefarzt Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie

Unser Anspruch ist es, das Risiko bei Operationen oder Untersuchungen in Sedierung so gering wie möglich zu halten. Unser Forschungsprojekt hat dazu einen wertvollen Beitrag geleistet.

Was ist das Ergebnis Ihrer Forschung?

Wir haben mithilfe eines Qualitätsmanagement-Instrumentes (Plan-Do-Study-Act-Zyklen) ein Nüchternheitskonzept entwickelt, das Patient:innen bis zum Abruf zur Narkose oder Untersuchung in Sedierung das Trinken klarer Flüssigkeiten sowie Kaffee oder Tee mit wenig Milch entsprechend ihren Wünschen und Gewohnheiten ermöglicht.

Im ersten Schritt haben wir das Trinken bis zum Abruf in den OP erlaubt. Dies führte leider zu keiner Verhaltensänderung. Die Hälfte unserer Patient:innen hatte weiterhin seit zwölf Stunden oder länger vor ihrer Operation nichts mehr getrunken. Diese Zahlen entsprechen auch dem internationalen Vergleich.

Im zweiten Schritt haben wir Nüchternheitskarten eingeführt. Nüchternheitskarten sind ein dreistufiges Ampelsystem. Eine grüne Karte erhalten Patient:innen ohne wesentliche Vorerkrankungen oder operative Besonderheiten. Diese Patient:innen sollen bis zum Abruf klare Flüssigkeiten entsprechend ihren Wünschen und Gewohnheiten trinken. Eine gelbe Karte erhalten Patient:innen, für die aufgrund ihrer Vorerkrankungen oder operativen Besonderheiten ein individualisiertes Vorgehen erforderlich ist. Eine rote Karte erhalten schwerstkranke Notfallpatient:innen, die ab sofort weder essen noch trinken dürfen.

25 Wochen nach Einführung der Nüchternheitskarten haben wir das Konzept überprüft. Unsere Patient:innen trinken jetzt bis kurz vor ihrer Operation, in etwa zwei Stunden vorher. Patient:innen, die vor ihrer Operation oder Untersuchung frei trinken dürfen, trinken vernünftig und bedarfsgerecht. Sie trinken immer wieder kleine Mengen der von ihnen bevorzugten Getränke so wie zu Hause auch. Dies vermeidet einen Flüssigkeitsmangel, erhöht das Wohlbefinden unserer Patient:innen, reduziert Stress und postoperative Komplikationen.

Helios Klinikum Emil von Behring

Oberärztin für Anästhesiologie

Innovative Forschungsarbeit heißt auch, veraltete Konzepte zu überdenken. Dazu mussten wir viel Überzeugungsarbeit leisten. Hier gilt es, nicht nachzulassen. So können wir alle zusammen als Team bei Helios einen Beitrag zur bestmöglichen Versorgung unserer Patient:innen erzielen.

Was war die größte Herausforderung bei Ihrem Forschungsprojekt?

Unsere größte Herausforderung ist und war, Mitarbeitende davon zu überzeugen, dass das Trinken klarer Flüssigkeiten bis zum Abruf zur Untersuchung in Sedierung oder zur Operation sicher ist. Zu tief verwurzelt ist die traditionelle Vorstellung, je länger nüchtern desto besser. Die in den aktuellen Leitlinien empfohlene Grenze von zwei Stunden für klare Flüssigkeit ist historisch entstanden. Klare Flüssigkeiten verlassen den Magen aber sehr schnell. Es gibt keine einzige Studie, die zeigt, dass Trinken bis kurz vor einer Operation nicht sicher ist. Die strikte Einhaltung der Leitlinienempfehlung einer zweistündigen Flüssigkeitskarenz führt aber zu den überlangen Zeiten, in denen Patient:innen nicht trinken und gefährdet unsere Patient:innen. Mitarbeitende und Patient:innen davon zu überzeugen, dass in der Risikoabwägung Trinken bis Abruf für Patient:innen das sicherste Verfahren ist, ist unsere größte Herausforderung.

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