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Tabuthema Harninkontinenz: Mit Strom die Blase stärken

Harninkontinenz ist eine Volkskrankheit, über die niemand gerne spricht. Betrifft sie jüngere Frauen, sind Scham und Leidensdruck besonders groß. Der Halveraner Chirurg Uwe Mutter von der Helios Klinik Wipperfürth setzt Erkrankten als einer der wenigen Mediziner in Deutschland Neurostimulatoren ein. Die kleinen Geräte regulieren direkt im Körper die Arbeit der Nervenzellen. Die Erfolgsquote ist hoch, Nebenwirkungen sind sehr selten.

29.07.2025 Lesedauer: - Min.

„Ich sehe nicht ein, mich dafür zu schämen, schließlich kann ich nichts dafür. Dafür gibt es schließlich Ärzte und Krankenhäuser.“ Mit dem Thema Harninkontinenz geht Natascha Schumann-Frackenpohl ungewöhnlich offen um. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen spricht die Engelskirchenerin frei über dieses schambehaftete Thema. Nicht zuletzt, um Betroffenen Mut zu machen, sich nicht abzufinden mit einem Problem, das ganz natürliche Ursachen hat. „Ich weiß aus vielen Gesprächen in meinem Umfeld: So gut wie jede Frau, die entbunden hat, ist zumindest zeitweise von Inkontinenz betroffen. Bei vielen verschwindet das dann einfach nicht mehr. Nur redet man darüber nicht.“

Wenn sie dann berichtet, dass es ihr früher auch so ergangen ist, erst dann bricht oftmals das Eis und ihre Freundinnen und Bekannten vertrauten sich ihr an, berichtet Schumann-Frackenpohl. Früher, das bedeutet für sie: vor dem erlösenden Eingriff in diesem Jahr an der Helios Klinik Wipperfürth.

Hauptsächlich war das Husten der Auslöser und es trat verstärkt vor einigen Jahren nach der Geburt ihres Sohnes auf. Wenn sie stark husten musste, konnte ihre Blase den Inhalt nicht mehr halten und entließ diesen unkontrolliert nach draußen. Oftmals bringe das Problem in der Folge einen völligen sozialen Rückzug mit sich, weil Frauen sich nicht mehr raustrauten, aus Angst, nicht rechtzeitig auf die Toilette zu kommen, so die 35-Jährige. Der Harndrang trete dann plötzlich und mit voller Wucht auf. „Man sitzt bei Freunden in der Küche oder im vollbesetzten Kino und es bleiben einem dann meistens nur etwa 30 Sekunden Zeit, eine Toilette zu finden. Und manchmal geht das buchstäblich in die Hose.“

 

Zusätzliche Einschränkung durch Endometriose

Zusätzlich verstärkte ihre chronische Endometriose das Problem noch. In Folge zahlreicher Operationen, die diese Unterleibserkrankung nach sich zog, sind bei ihr die Nerven im Beckenbereich in ihrer Funktion sowieso schon stark eingeschränkt und es entstehen Schmerzen in den Nerven.

„Ich behandele Frau Schumann-Frackenpohl schon seit einigen Jahren und als nun das Harnproblem dazu kam, versuchte ich zunächst, ihr mit konservativen Methoden zu helfen.“ Dr. Cornelia Leißner ist Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Helios Klinik Wipperfürth. Bald erkennt sie, dass diese Herangehensweise bei ihrer Patientin an Grenzen stößt und die sakrale Neuromodulation (SNM) bei der jungen Frau erfolgversprechend sein könnte.

 

Neuromodulation nicht nur bei chronischen Schmerzen

Die erfahrene Gynäkologin stellt den Fall ihrem Kollegen Uwe Mutter vor. Der Chirurg aus dem nahen Halver leitet nicht nur das Zentrum für Neuromodulation am Wipperfürther Krankenhaus, er gehört auch zu den wenigen Ärzten in Deutschland, die überhaupt Patienten mit Nervenschädigungen durch den gezielten Einsatz von Stromimpulsen behandeln. Seit dem vergangenen Jahr wendet er an der Helios Klinik bei Patientinnen und Patienten mit Harninkontinenz diese Methode an. Dabei arbeitet er mit den Fachabteilungen wie der Gynäkologie und der Schmerztherapie zusammen, wenn diese nicht mehr weiterhelfen können.

So wie bei Frau Schumann-Frackenpohl. „Ich kannte die Neuromodulation in Wipperfürth bereits aus einer früheren Behandlung. Damit konnte ich mein chronisches Schmerzproblem schon gut in den Griff bekommen, denn auch dagegen ist das eine sehr gute Anwendung“, blickt die Betreuerin an einer Förderschule zurück. „Warum es also nicht auch bei dieser Inkontinenzgeschichte versuchen?“

Mutter setzte ihr gewebeschonend mit nur wenigen kleinen Schnitten einen kleinen Stimulator oberhalb des Gesäßes im Beckenbereich und zwei Elektroden ins Kreuzbein ein. Von dort aus senden diese seitdem kontinuierlich leichte elektrische Impulse in Richtung Blase aus. „Diese Impulse beeinflussen die Weiterleitung der Nervensignale, indem sie die Art und Weise, wie das Nervensystem Reize verarbeitet oder weiterleitet, verändern“, erklärt Mutter die Funktionsweise. Dabei nehme die Häufigkeit der Blasenentleerung ab und das Harnvolumen zu. Das Prinzip funktioniere so ähnlich auch bei Stuhlinkontinenz.

 

„Und die Vorteile gegenüber anderen Therapien liegen auf der Hand: Das Gerät kann jederzeit ausgeschaltet oder entfernt werden, die benötigte Stromstärke ist individuell jederzeit anpassbar und die Behandlung ist medikamenten- und nebenwirkungsfrei“ benennt Mutter die Vorteile der SNM. Einfach so eingesetzt wird das Regulierungssystem übrigens nicht. Zunächst durchlaufen Patienten eine ein- bis zweiwöchige Testphase. Während dieser werden temporär permanente Testelektroden angebracht und an eine externe Stromquelle angeschlossen. Zeigen sich in diesem Zeitraum schon gute Behandlungsergebnisse, folgt die dauerhafte Implantation des Generators in einem zweiten Schritt. Und das führt in der Regel zum Erfolg. Frau Frackenpohl-Schumann stellt fest: „Seitdem ich den Neurostimulator in mir trage, ist Harninkontinenz ist für mich schlagartig überhaupt kein Thema mehr. Ich habe wieder ein Leben, in dem sich nicht alles um den Weg zur nächsten Toilette kreist“.

 

 

 

Helios Klinik Wipperfürth

Leiter Zentrum für Neuromodulation

Diese Impulse beeinflussen die Weiterleitung der Nervensignale, indem sie die Art und Weise, wie das Nervensystem Reize verarbeitet oder weiterleitet, verändern.