„Big A“ – dieser Spitzname passt zu André Sankowski. Das A steht für den Vornamen des „waschechten“ Berliners. Und „Big“ hat mit seiner imposanten Erscheinung zu tun: groß, muskulös, durchtrainiert. Zu der Zeit, als er diesen Spitznamen von einem Kollegen der Fluggast-Kontrolle am Flughafen Tegel verpasst bekommt, bezieht sich „Big“ allerdings auf ein anderes Körpermerkmal: Andrés starkes Übergewicht.
Andrés inspirierende Wandlung vom Adipositas-Patienten zum Sport-Ass
Bis zu 14.000 Kalorien stopft André täglich in sich rein, bis die Waage 175 Kilogramm anzeigt. Eine Magenbypass-Operation bringt die Wende – und den Beginn eines beispiellosen körperlichen Wandels. Eine inspirierende Geschichte von Durchhaltevermögen, eisernem Willen und der Erkenntnis, dass man fast alles schaffen kann – wenn man es nur genug will.
„Es ging los, als ich 20 oder 21 Jahre alt war“, erinnert sich der 43-Jährige. „Da habe ich das Essen für mich entdeckt.“ Der Auslöser sind private Probleme. Ein Sohn aus der Patchwork-Familie – Andrés Frau brachte einen Sohn mit in die Ehe – hat Probleme in der Schule, die auch André zu Herz gehen. Nach einem Elternabend ist der Frust so groß, dass er zu einem Gegenmittel greift: dem Frustessen. Das Essen wird von nun an zum Begleiter in schlechten Zeiten – und die sind leider nicht gerade rar.
Was ich mir damals selbst angetan habe, könnte man fast Körperverletzung nennen.
14.000 Kalorien pro Tag – jeden Tag
„Was ich mir damals selbst angetan habe, könnte man fast Körperverletzung nennen“, sagt André heute, wenn er sich daran erinnert, was er damals alles in sich hineinstopfte. Morgens zwei Franzbrötchen und zwei große belegte Brötchen vom Bäcker, dazu ein halber Liter Latte Macchiato mit reichlich Zucker. „Das war mein Einstieg in den Tag“, sagt André.
Am Ende eines solchen Tages – mit Riesenschnitzeln, Spaghetti-Bergen, ganzen Kuchen und literweise Cola – hat André nicht selten 14.000 Kalorien aufgenommen, etwa das Fünffache des Tagesbedarfs eines erwachsenen Mannes. „Das war kein essen mehr“, sagt Andre. „Das war fressen.“
Bald sind die Folgen des Kalorienkonsums nicht mehr zu übersehen: André nimmt stark zu. Mit dem Körpergewicht steigen die Fettwerte und der Blutdruck, erste Arthrose-Erscheinungen stellen sich ein. Das wirkt sich auf die Arbeitsleistung aus. „Damals hätte ich mich selbst rausgeschmissen“, bekennt er freimütig.
Auch mental geht es bergab: „Mit mir war nicht viel anzufangen“, sagt André. „Ich war unbeweglich, schlapp, schlecht drauf – alles war mühselig.“ Er merkt, wie Menschen sich distanzieren, sich vor ihm ekeln, ihn als Versager betrachten – auf der Straße, bei der Arbeit. Das verstärkt die Depressionen, was wiederum den Drang zu essen vergrößert. Ein Teufelskreis.
Ein Beinahe-Unfall als Weckruf
Das Schlüsselerlebnis kommt bei einem der vielen Grill-Abende im Hof. Der einjährige Sohn läuft plötzlich auf die Straße zu. André will ihn aufhalten, kommt aber nicht hinterher. „Ich hätte mir niemals verziehen, wenn da etwas passiert wäre“, sagt er. Die Straße ist zum Glück nicht viel befahren, in letzter Sekunde holt er seinen Sohn ein. Doch das Erlebnis wird zum Weckruf. André weiß jetzt: So geht es nicht weiter – ich muss etwas ändern.
Der erste Weg führt zu einer Psychologin. Die rät ihm, sich Hilfe zu suchen: „Alleine werden Sie das nicht schaffen.“ André nimmt den Rat an. Im Herbst 2014 sucht er eine Spezialistin für Ernährungsmedizin und Adipositas-Chirurgie auf – und legt damit den Grundstein für ein neues Leben. Da ist er 37 Jahre alt.
Jetzt hatte ich die Chance, etwas dagegen zu tun. Mein Leben zu ändern. Und den Leuten zu zeigen, dass ich kein Versager bin.
Die Ärztin, Frau Dr. Rosenthal, untersucht André zunächst gründlich, klopft ihn von oben bis unten ab. Sie notiert Körpermaße wie Gewicht und Körpergröße, testet ihn auf Begleit- und Verschleißerkrankungen, erstellt ein Blutbild. Die Daten ergeben eine klare Diagnose: André ist schwer adipös. „Ist ja auch kein Wunder, bei 175 Kilogramm“, sagt André. Der Befund ist für ihn keine Überraschung, aber eine Gelegenheit. „Jetzt hatte ich die Chance, etwas dagegen zu tun. Mein Leben zu ändern. Und den Leuten zu zeigen, dass ich kein Versager bin.“
Der erste Schritt soll eine Magenbypass-Operation sein. André weiß: Der Eingriff ist nur eine Hilfestellung. Erfolg wird er nur haben, wenn er ein hartes Training durchzieht und seine Ernährung dauerhaft umstellt. „In diesem Moment habe ich mir selbst ein Versprechen gegeben“, sagt André. „Wenn es mit der OP klappt, dann ziehe ich es durch – das volle Programm.“
Dafür muss die Krankenkasse der Operation aber erstmal zustimmen. Ungeduldig wartet André auf die Zusage, schließlich kommt der erlösende Anruf: Die Operation ist genehmigt. Es ist der 23. Dezember 2014 – ein Tag vor Weihnachten.
Ein Magenbypass für den Neustart
Im Februar 2015 wird Andrés zweiter leiblicher Sohn geboren, im März findet die Operation statt. In einem minimalinvasiven Eingriff wird André ein Magenbypass gelegt. Bei dem Verfahren werden Teile des Magens und des Dünndarms umgangen und damit ausgeschaltet. Der verkleinerte Magenrest sorgt dafür, dass Patienten sich schneller satt fühlen und dadurch weniger essen.
Auf dem OP-Tisch hat André kurz Bedenken: „In dem Moment kamen mir meine Kinder in den Sinn“, erinnert er sich. „Ich hatte Angst, dass ich sie nicht wiedersehe und habe überlegt einfach aufzustehen und rauszugehen.“ Aber dann zieht er es doch durch: „Ich wollte diesen neuen Start, ich war mein altes Leben leid.“
Durchgeführt wird die Operation von Prof. Dr. Lange und Dr. Stumpf, die inzwischen den Fachbereich Adipositas und Metabolische Chirurgie im Helios Klinikum Berlin-Buch leiten. „Beide Ärzte waren megapräsent“, kommt André regelrecht ins Schwärmen. „Sie haben sich viel Zeit für meine Fragen genommen – und einfach einen geilen Job gemacht.“
In der Tat verläuft die Operation erfolgreich. Als er erwacht, fühlt er sich schnell besser. Bereits nach einigen Stunden kann er aufstehen, nach drei, vier Tagen darf er nach Hause. Doch er weiß: Jetzt, wo die Arbeit der Ärzte getan ist, steht André erst am Anfang seines mühseligen Weges.
Erste Gehversuche im neuen Leben
Nach jahrelangen XXL-Portionen muss André zunächst seine Ernährung von Grund auf umstellen: „Ich musste mich erst an die kleinen Portionen gewöhnen“, sagt er. Er beginnt eine Low-Carb-Diät, verzichtet weitgehend auf kohlehydratreiche Lebensmittel. Statt Nudeln, Kartoffeln und Pommes stehen nun Gemüse, Fisch und Feta-Käse auf dem Speiseplan, dazu Nüsse, Eier und Fleisch. Süßigkeiten, Fette und Limonade sind tabu – und André hält sich strikt an seinen Ernährungsplan. „Ich habe einfach darauf gehört, was die Ärzte gesagt haben“, sagt er.
Wenige Tage nach der Operation kribbelt es André bereits in den Füßen: Er will endlich mit dem Training loslegen. „Ich habe die Ärzte richtig genervt damit, wann ich endlich mit dem Sport anfangen kann“, erzählt er. Einen Monat muss er warten, dann geben die Ärzte grünes Licht. Vor dem Schwitzen stehen aber zunächst ganz praktische Herausforderungen: „Mit 175 Kilo kommt man nicht so leicht an passende Sportklamotten“, lacht André. Nach langem Suchen findet er bei einem Textil-Discounter schließlich eine Sporthose und ein Shirt in seiner Größe. Es kann losgehen.
Im Wald startet André seine ersten „Gehversuche“, wie er sie nennt. Das erste Training dauert nicht lange, nach einem Kilometer schnellem Gehen ist Schluss. Aber am nächsten Tag kehrt André zurück. Und dann jeden Tag, sieben Tage die Woche.
Ich habe die Ärzte richtig genervt damit, wann ich endlich mit dem Sport anfangen kann.
Von einem Extrem ins andere
André zieht sein Training mit eiserner Disziplin durch, bei Wind und Wetter. „Selbst bei minus 20 Grad im Winter“, sagt er. Schnell stellen sich erste Erfolge ein. Die Laufstrecke nimmt zu, das Gewicht ab. Erst nach zehn Monaten kommt André an einen kritischen Moment. Da sind aus einem Kilometer Gehen schon 20 Kilometer Laufen pro Tag geworden, bereits 54 Kilogramm von der Waage gepurzelt.
Doch nach monatelangen Fortschritten herrscht plötzlich Stillstand auf der Waage. „Es ging nichts mehr runter“, sagt André. „Das war total frustrierend.“ Er recherchiert und erkennt: Er hat ein Abnehm-Plateau erreicht. Dabei schaltet der Körper wegen des starken Gewichtsverlusts in den Überlebenstrieb und fährt den Energieverbrauch herunter. Das Abnehmen wird schwieriger. Wo viele ihr Training abbrechen, verschärft André sein Trainingsprogramm noch. „Um neue Reize zu setzen“, sagt er.
„Ich bin zum Teufelsberg in Berlin gefahren und den Berg hochgejoggt. Einmal, zweimal, dreimal – insgesamt siebenmal.“ Berg hoch, umrunden, Berg runter: Das wird Andrés neues Programm. Schon bald zieht er sich für seine Bergsprints eine 20 Kilogramm schwere Gewichtsweste über. Ein Personal Trainer, der regelmäßig auf dem Teufelsberg trainiert, sagt ihm eines Tages: „Das ist doch krank, was du hier machst.“
„Manchmal war es schon ein wenig verbissen“, gibt André zu. Denn neben dem Laufen ergänzen inzwischen längst Body-Weight-, Krafttraining und Crossfit-Übungen sein hartes Trainingsprogramm. „Ehemalige Profi-Sportler haben mir gesagt: So etwas machen eigentlich nur Leistungssportler“, sagt André. „Es ging schon ein wenig vom einen Extrem ins andere: Das, was vorher das Essen war, war jetzt der Sport.“
Das, was André in dieser Zeit erdet, ihn nicht in das neue Extrem abdriften lässt, ist seine Familie. „Gerade meine Frau war immer für mich da“, sagt André. „Auch in meinen Krisenzeiten, als ich so viel zugenommen habe, hat sie immer zu mir gehalten, mir immer ihre Liebe gezeigt.“ Eine Liebe, die im wahrsten Sinne durch dick und dünn geht.
Natürlich hilft der Eingriff. Aber um langfristig abzunehmen, musst du einen kompletten Lebenswandel vollziehen – Sport machen, die Ernährung umstellen.
Ein neues Selbstbewusstsein
Nach 14 Monaten hartem Training hat André sein Körpergewicht von 175 auf 90 Kilogramm reduziert, die Hosengröße von 68 auf 32. Das neue Körpergefühl stärkt sein Selbstbewusstsein. „Ich konnte mich auf einmal modisch kleiden, ich war muskulös, hatte eine ganz andere Ausstrahlung“, sagt André. „Und die Menschen haben mich auch anders angesehen.“ Freunde bewundern seinen Wandel. Kollegen, die ihn früher distanziert behandelten, schauen plötzlich zu ihm auf.
„Natürlich gab es auch kritische Stimmen“, sagt André. „Leute, die denken, das Abnehmen komme nur von der Operation.“ André weiß es besser: „Natürlich hilft der Eingriff. Aber um langfristig abzunehmen, musst du einen kompletten Lebenswandel vollziehen – Sport machen, die Ernährung umstellen.“ Und er fügt lachend hinzu: „Du musst es ja nicht gleich so übertreiben wie ich.“ Das Wichtigste sei dranzubleiben, auch wenn Rückschläge kommen, sagt André. „Und wenn man es alleine nicht schafft, dann Hilfe holen – zum Beispiel in Person eines Trainers.“
So ein Trainer ist André heute selbst. Aus dem Sport, der als notwendiges Übel zum Abnehmen startete, wurde eine Leidenschaft – und schließlich ein zweites berufliches Standbein. „Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben“, sagt er. „Menschen helfen, die den gleichen Weg gehen wollen wie ich.“ Als Personal Trainer und Fitnesscoach trainiert er heute Gruppen und Einzelpersonen, darunter Schauspieler, Influencer und andere Prominente.
Im nächsten Jahr will André sein eigenes Studio eröffnen, dessen Namen an seinen Spitznamen angelehnt ist: Big A’s Micro-Gym. Und aus seiner Geschichte wissen wir: Wenn André etwas will, dann kann es nur etwas ganz Großes werden.