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Lärm – zwei Seiten einer Medaille

 Internationaler Tag gegen den Lärm am 24. April - Unser Gehör ist einer unserer wichtigsten Sinneseindrücke und sichert unser Überleben durch die unmittelbare Verbindung mit einem Alarmsystem, das besonders „scharf gestellt“ ist. Während beim Schlafen das Sehen und der Geruchssinn ebenfalls „schlafen“, ist das Hören weiter aktiv, um uns auf Gefahren aufmerksam zu machen.

24. April 2024

Lärm als Ursache von Stress

Diese ständige Wachsamkeit, die uns schützt, birgt in einer sich verändernden und mit immer mehr Reizen überfluteten Welt auch ganz erhebliche Probleme. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation ging in Westeuropa bereits 2011 der Verlust von mindestens einer Million gesunder Lebensjahre (Disability Adjusted Life Years - DALY) auf Erkrankungen zurück, die alleine durch Verkehrslärm verursacht wurden (Quelle: Weltgesundheitsorganisation 2011). In den darauffolgenden Jahren hat sich das Problem weiter verstärkt. Generell werden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts Straßenverkehrs- und Nachbarschaftslärm als die beiden Hauptquellen von Lärmbelästigung gesehen.

 

„Stress und damit verbundene gesundheitliche Schäden entstehen aber nicht nur bei Lärm, also bei hohen Schallpegeln, sondern auch bei solchen mit geringerer Intensität, insbesondere dann, wenn die Exposition über einen langen Zeitraum auf den menschlichen Organismus einwirkt“, weiß Prof. Dr. Ralf Nickel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Helios HSK. Besonders störend sei dies, wenn zugleich konzentrationsintensive Tätigkeiten ausgeführt werden oder Ruhe- und Erholungsphasen gestört würden und zugleich die Lärmquelle nicht gemieden oder das Auftreten erwartet aber nicht vorhersehbar oder beeinflussbar sei, so der Experte weiter.

 

Stress wird in psychische Reaktionen wie Konzentrationsstörungen, Unruhe, Ärger, Anspannung und physische Auswirkungen auf unser Hormonsystem und das vegetative Nervensystem unterteilt. Darüber hinaus wirkt sich Stress auf unterschiedliche Organe und Organsysteme aus. Die psychischen und physiologischen Stresskomponenten bilden eine Einheit. Sie bedingen und verstärken sich gegenseitig.

 

Lärm-Empfindlichkeit als Indikator von Stress

Untersuchungen des Robert-Koch-Institutes zeigten schon 2014, dass Personen, die sich „stark“ oder „äußerst stark“ durch Lärm belästigt fühlen, häufiger über körperliche und psychische Beeinträchtigungen berichten als Personen, die sich „überhaupt nicht“ durch Lärm belästigt fühlen.

Der Zusammenhang zwischen Lärm und Stress geht dabei in beide Richtungen. „Klinisch wie auch empirisch zeigt sich, dass besonders stressbelastete Personen, ebenso wie Menschen mit psychischen Erkrankungen, Ängsten, Depressionen oder auch stressbedingten körperlichen Beschwerden, eine deutlich herabgesetzte Toleranzschwelle gegenüber Geräuschen haben“, erklärt Prof. Nickel. „Geräusche werden schneller als von Gesunden als störend und belastend empfunden, es kommt zu der nochmals stärkeren Ausschüttung von Stresshormonen, der Blutdruck steigt, die Herzfrequenz nimmt zu und die Muskulatur spannt sich an.“

 

Stress reduzieren durch weniger Lärm

Es ist hilfreich, durch Lärm verursachte Stressreaktionen und -symptome nicht nur möglichst frühzeitig zu erkennen, sondern auch frühzeitig zu handeln. Dazu gehört, Lärmquellen auszuschalten, die Dauer des Lärms zu reduzieren und sich Ruheinseln im Alltag zu schaffen. Lärmempfindlichkeit nimmt mit Stärke und Dauer der Lärmexposition rasch zu und hat die Tendenz zu generalisieren. Prof. Nickel warnt: „Das hat zur Folge, dass auch leisere Geräusche immer weniger ertragen und als Lärm bzw. Stress wahrgenommen werden. Ist das Stresssystem einmal in Gang gesetzt, reagieren Körper und Seele stärker und anhaltender. Der Prozess ist selbstverstärkend und verfestigt sich zunehmend.“

 

In Organen und Organsystemen, insbesondere im Herz-Kreislauf-System kommt es zunächst zu funktionellen Veränderungen, stressbedingten Anpassungen und im Verlauf auch zunehmend zu bleibenden Veränderungen.

 

Lärmempfindlichkeit (Hypersensitivität) kann also durch eine zu hohe und andauernde Lärmbelastung oder ein einmaliges Lärmtrauma entstehen. Sie kann auch aufgrund einer Veranlagung bereits bestehen oder sich bei Lärmbelastung rascher entwickeln. Als Folge der Stressreaktion des Körpers kann so auch ein Tinnitus entstehen. Auch andere Stressoren, psychische oder soziale Belastungen, können einen Tinnitus mitbedingen. Er ist in beiden Fällen Ausdruck einer inneren, zumeist andauernden – chronischen - Stressreaktion. Wie Lärm von außen kann dann auch der Tinnitus, der „Lärm im Inneren“, selbst zur Stressquelle werden.

 

Je früher gehandelt wird, desto besser ist die Aussicht auf Erholung und Normalisierung. Ausreichend Erholung, Ruhepausen, Achtsamkeit und Entschleunigung sind wichtige und wirksame Bausteine auf dem Weg dahin.

 

Bildunterschrift: Prof. Dr. Ralf Nickel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Helios HSK Wiesbaden

 

Lärm – zwei Seiten einer Medaille