Die Gemeinschaft hilft, das Lachen nicht zu verlernen
Anja Pasewald ist Stationsleiterin und engagiert sich ehrenamtlich als Leiterin der Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suchtkranken (SAS) in Uelzen
Wer Anja Pasewald begegnet, kann sich kaum vorstellen, dass es eine Zeit in ihrem Leben ohne Freunde und soziale Kontakte gab. Denn die 53-Jährige ist rund um die Uhr für andere Menschen da – beruflich und privat. Zum einen als Krankenschwester und Stationsleiterin der orthopädisch-unfallchirurgischen Station 4.1 im Helios Klinikum Uelzen und zum anderen als Leiterin der Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suchtkranken (SAS) in Uelzen. Denn Anja Pasewald war 15 Jahre lang Co-abhängig.
Rückblickend, sagt sie heute, war ihr Mann bereits beim Kennenlernen alkoholabhängig. Schlimm seien jedoch vor allem die letzten fünf, sechs Jahre der Sucht gewesen. Die Zeit, in der auch der Kontakt zu den allermeisten Freunden abbrach, Anja Pasewald sich sozial isoliert gefühlt habe. Ihr Mann war nach einer Therapie bereits ein Jahr lang trocken, als Anja Pasewald im März 2016 gemeinsam mit einer Mitstreiterin die Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suchtkranken in Uelzen gründet. „Co-Abhängigkeit ist keine Diagnose, es gibt keine Anlaufstellen für Betroffene. Das hat mich wütend gemacht, daran wollte ich etwas ändern“, erklärt Anja Pasewald ihre Motivation.
Die Gruppe zählt inzwischen 18 Mitglieder und trifft sich immer donnerstags von 18 bis 19:30 Uhr in den Räumen des Sozialpsychiatrischen Dienstes in der Brauerstraße. Die dort beschäftigten Suchttherapeuten waren es, die bei der Gründung der Gruppe unterstützt haben und auch heute noch Anlaufstelle bei Problemen der Angehörigen sind. „Co-Abhängigkeit bringt viele Angehörige – genau wie mich damals auch – in die soziale Isolation. Deshalb gestalten wir als Gruppe unsere Freizeit gemeinsam und sind sehr aktiv. Unsere Mitglieder sollen das Leben wieder lernen, wieder lachen dürfen und in Gesellschaft auf andere Gedanken kommen“, sagt Anja Pasewald. Das Freizeitprogramm beginnt deshalb beim gemeinsamen Grillnachmittag und reicht über Fahrradtouren und Ausflüge, zum Beispiel in den Harz, bis hin zur Teilnahme an der traditionellen Brühtrograllye. „Wir zeigen uns ganz offen und wollen anderen Betroffenen Mut machen. Sucht euch Hilfe! – Das ist die Message, die wir vermitteln wollen“, so die 52-Jährige.
Neben der Freizeitgestaltung steht bei den wöchentlichen Gruppenstunden die Bewältigung der Probleme, die die Sucht – in den allermeisten Fällen geht es um Alkohol-, Spiel- und Drogenabhängigkeit – des jeweiligen Angehörigen mit sich bringt, im Mittelpunkt. Die Themen, die die einzelnen Gruppenmitglieder mitbringen, hängen dabei vom jeweiligen Stadium der Sucht ab. Einige Angehörige sind noch nass, andere bereits trocken und wieder andere an den Folgen der Sucht verstorben. Um sich gegenseitig bestmöglich unterstützen zu können, absolviert die Gruppe regelmäßig Fort- und Weiterbildungen und nimmt an Klausurtagungen teil, damit das Thema Co-Abhängigkeit stärker in den Fokus des öffentlichen Bewusstseins rückt.
„Ich möchte immer für andere da sein“, sagt die Stederdorferin über sich selbst, „aber zum Glück habe ich meine Familie, die mich rechtzeitig daran erinnert, wann es Zeit ist, auch mal eine Pause zu machen.“ Obwohl die Leitung ihrer Selbsthilfegruppe bereits dem Arbeitspensum einer Vollzeitstelle entspricht, hat Anja Pasewald noch eine weitere Leitung inne. Im Helios Klinikum Uelzen ist die Krankenschwester seit Februar 2023 Stationsleiterin der orthopädisch-unfallchirurgischen Pflegestation. Das Uelzener Krankenhaus kennt Anja Pasewald bereits aus der Anfangszeit ihres Berufslebens. Dort hat sie von 2002 bis 2005 ihre Ausbildung absolviert und dorthin ist sie Anfang 2021 zurückgekehrt, nachdem die Mutter zweier erwachsener Söhne und stolze Oma einer bald sechsjährigen Enkelin zuletzt als Pflegedienstleitung eines Altenpflegeheims im Landkreis tätig war. „Mir hat am Ende die Vielfältigkeit gefehlt. An der Arbeit im Krankenhaus reizt mich die Herausforderung im medizinischen Bereich“, begründet sie ihre Entscheidung. Ein Medizinstudium wäre ihr Traum nach dem Abitur gewesen, trotzdem sei sie in der Krankenpflege hängen geblieben.
In den vergangenen Jahren habe sich im Helios Klinikum Uelzen vieles zum Positiven entwickelt und verbessert. „Aber egal, wie sehr man sich abstrampelt, nehmen viele einfach die Meinung über uns an, die sie irgendwo hören, ohne zu wissen, was wir den ganzen Tag über leisten“, stört sich Anja Pasewald an der Außenwahrnehmung. Wer selbst als Patient im Uelzener Krankenhaus gelegen habe, bekomme ein anderes Bild: „Auch viele der Angehörigen sind dankbar, das steht nur leider nirgendwo.“
Abschalten, zur Ruhe kommen und Kraft für ihre beiden Jobs tanken – das gelingt Anja Pasewald zuhause bei ihren Schafen, Hühnern und Katzen. Ihre Freizeit verbringt sie zum Großteil mit der Gruppe. Die Mitglieder sind im Laufe der Jahre zu engen Freunden geworden, die gemeinsamen Aktivitäten bereichern ihr Leben. Trotzdem nimmt sich das Ehepaar Pasewald regelmäßig auch ganz bewusst eine Auszeit zu zweit, am liebsten im Harz. Denn auch Anja Pasewalds Mann engagiert sich in der Selbsthilfe. Er hat nach seiner Therapie in Lüchow eine eigene Selbsthilfegruppe für Betroffene gegründet.