Mit einer Reihe von Preisen zeichnet die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) jedes Jahr innovative und herausragende Forschungsarbeiten im Bereich der psychischen Erkrankungen aus. Dr. Susanne Stolzenburg hat diesen besonderen Preis nach Stralsund geholt. Ihre Promotionsarbeit konzentriert sich auf eines der größten, bisher noch nicht vollständig verstandenen Hindernisse bei der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, nämlich die fehlende Inanspruchnahme von Hilfe. „Die Erhebung hat gezeigt, dass das Stigma einer psychischen Erkrankung eine der größten Barrieren für Betroffene darstellt“, erklärt Dr. Stolzenburg. „Was denken Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen, wenn sie erfahren, dass ich eine psychische Erkrankung habe und mich behandeln lasse? Diese und ähnliche Fragestellungen, aber auch der Schutz des eigenen Selbstbildes als ‚gesunder Mensch’ halten viele davon ab, professionell Hilfe zu suchen.“
Über die Hälfte aller Menschen mit einer psychischen Erkrankung in Deutschland geben an, noch nie irgendeine Form von professioneller Hilfe für eine seelische Erkrankung in Anspruch genommen zu haben. Dr. Stolzenburg hat ihre Arbeit genau auf diese Gruppe ausgerichtet und eine bislang einzigartige Stichprobe erhoben. „Erstmals wurden Menschen mit einer klinisch relevanten Symptomatik untersucht, die sich zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht in Behandlung befanden“, erklärt die 34-jährige Psychologin. Sie hat dafür mit einem Forschungsteam 207 Probanden aus den Regionen Greifswald, Stralsund, Rügen und Rostock in einem dreistündigen Interview zu ihren Symptomen und Vorstellungen über Ursachen der Symptome sowie Einstellungen gegenüber seelischen Krankheiten befragt und drei und sechs Monate später erneut kontaktiert. Das Ergebnis: Das Stigma einer psychischen Erkrankung ist bereits als Barriere relevant, bevor Symptome überhaupt als Anzeichen einer möglichen psychiatrischen Krankheit erkannt werden. Demnach fällt es Menschen mit Vorurteilen gegenüber psychischen Erkrankungen schwerer, bei sich selbst eben genau solch eine Erkrankung festzustellen oder zu akzeptieren. „Symptome wie starke Konzentrationsschwierigkeiten, massive Schlafstörungen, niedergeschlagene Stimmung, Appetitlosigkeit und Energiemangel werden häufig auf Stress attribuiert. Jedoch wird eine mögliche dahinterliegende Depression oder andere psychische Erkrankung beispielsweise häufig erst spät oder gar nicht erkannt“, macht Dr. Stolzenburg deutlich. „Betroffene verbringen oft Jahre mit diesen Symptomen bevor sie adäquat behandelt werden. Eine unbehandelte Erkrankung kann chronisch werden und ist damit noch schwieriger und langwieriger zu behandeln.“
Das Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die Leitung übernahmen Prof. Dr. Georg Schomerus, Chefarzt der Universitären Psychiatrie in Leipzig und ehemaliger Oberarzt der Stralsunder Psychiatrie, und Prof. Dr. Silke Schmidt, Lehrstuhlinhaberin für Gesundheit und Prävention der Universität Greifswald.