„Die Ursachen für eine Epilepsie sind sehr verschieden und vielfältig. Sie entstehen durch Hirnveränderungen, bei denen die elektrische Erregbarkeit erhöht ist“, erklärt Prof. Jörn Peter Sieb, Chefarzt der Neurologie am Hanseklinikum. Die Erscheinungsformen einer Epilepsie variieren je nach Ursprungsort im Gehirn. Sie reichen von wenigen Sekunden andauernden Aussetzern (Absencen) über Zuckungen einer Extremität bis hin zu komplexen Bewegungs- und Bewusstseinseinschränkungen.
Eine Epilepsie kann durch unfallbedingte Verletzungen, Entzündungen oder durch Tumoren hervorgerufene Hirnschädigungen ausgelöst werden. Oft ist die Ursache aber nicht eindeutig. „Jeder Zehnte erlebt bis zu seinem 80. Lebensjahr einmal einen epileptischen Anfall. Er ist also keineswegs eine Seltenheit“, sagt Prof. Sieb. Etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland hat eine aktive Epilepsie. Sogenannte epileptische Anfälle treten bei rund 10 Prozent aller Menschen auf und bedeuten nicht gleichzeitig an Epilepsie erkrankt zu sein. Erst bei wiederholtem Auftreten der krampfartigen Zustände wird die Krankheit diagnostiziert. Die Diagnose ist auch das entscheidende Kriterium bei der ärztlichen Beurteilung der Fahrtauglichkeit von Epilepsie-Patient:innen.
Diagnosesicherung durch Elektroenzephalografie (EEG)
Mittels EEG sind die Mediziner in der Lage, die elektrische Aktivität des Gehirns zu messen. Ein unauffälliges EEG schließe keineswegs epileptische Anfälle aus, macht der Chefarzt deutlich. Das Ergebnis der Messung sei aber immer nur eine Momentaufnahme. Mit einem EEG wird die diagnostische Trefferquote erhöht und kann während einer überwachten Nacht oder in einer Langzeitmessung über Tage stattfinden. „Häufig ist die Diagnosefindung direkt eindeutig. Gelegentlich ist es jedoch überaus schwierig, zum Beispiel ein Herz-Kreislauf-Problem und einen epileptischen Anfall zu unterscheiden“, erläutert Prof. Sieb.
Epilepsien behandeln
Um die Anfälle bei Patient:innen zu verringern oder gänzlich einzuschränken, steht den Medizinern ein breites Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Lebensqualität eines Epileptikers hängt maßgeblich von seinen Anfällen ab. Einerseits gibt es gut wirksame und verträgliche Epilepsie-Medikamente. Die Auswahl erfolgt dabei individuell auf die Bedürfnisse und Nebenerkrankungen der Betroffenen angepasst. Darüber hinaus ist bei einigen Patientinnen oder Patienten die Epilepsie-Chirurgie eine aussichtsreiche Option. Ähnlich der Funktionsweise eines Herzschrittmachers wird bei der Vagusstimulation ein bestimmter Nerv stimuliert, um die Anfallsbereitschaft zu mindern.
Es ist erwiesen, dass die Gefahr von Anfällen durch eine gesunde Lebensführung mit ausreichend Schlaf und der regelmäßigen Einnahme der verordneten Medikamente deutlich reduziert werden kann.
Hilfe bei einem Anfall
„Oberste Priorität gilt dem Schutz des Betroffenen. Epileptische Anfälle sind für den Laien meist überaus beeindruckend und es ist schwierig, das Richtige zu tun. Bevor der Notarzt gerufen wird, sollte der Betroffene vor Verletzungen geschützt werden. Das bedeutet, dass der Patient aus dem Gefahrenbereich gebracht wird und besonders sein Kopf geschützt wird“, informiert der Neurologe zur Ersten Hilfe bei einem Anfall. Die Atemwege seien zudem unbedingt freizuhalten, wobei Beißkeile der Vergangenheit angehören. Für die Patienten ist es im Nachgang hilfreich, wenn der Hilfeleistende auf die Uhr geschaut hat und eventuell das Handy zum Filmen herbeigezogen hat. So lasse sich die Länge des Anfalls und wertvolle Rückschlüsse für den behandelnden Arzt dokumentieren. Notfallmedikamente erhalten Patientinnen und Patienten und deren Familien nur in Ausnahmefällen.
Im Hanseklinikum werden jährlich ca. 150 Patientinnen und Patienten als Notfall nach einem epileptischen Anfall stationär aufgenommen. Häufig wird dann erst die Diagnose einer Epilepsie gestellt und eine gezielte Therapie eingeleitet. Anders als vielfach angenommen, beginnen Epilepsien häufig erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter zum Beispiel nach einem erlittenen Schlaganfall.