Diagnose Querschnittlähmung: Das ganze Leben ändert sich

Kipfenberg

Im Querschnittzentrum der Helios Klinik Kipfenberg geht es um das Leben nach dem Krankenhausaufenthalt, ein Leben mit ganz neuen Herausforderungen und neuen Lösungen.

Alles scheint in Ordnung und plötzlich ändert eine Welle beim Surfen, ein zu schnelles Auto, ein Motorradunfall oder auch nur einfach ein Stolpern über eine Stufe das ganze Leben. Manchmal ist es aber auch ein schleichender Prozess. Der mit einem seltsamen und fast unmerklichen Kribbeln in den Fingern beginnt und am Ende schwerwiegende Folgen hat. Die Diagnose  Querschnittlähmung kommt dann wie ein Schlag ins Gesicht. Einer, der alles Andere zur Nebensache werden lässt. Einer, der keinen Raum mehr lässt für Anderes als die Frage: „Was wird jetzt?“

Diese Frage zu beantworten fällt in aller Regel auch Ärzten und medizinischen Fachkräften sehr schwer, denn jeder Fall, jeder Mensch ist anders. Tatsächlich ist es, so weiß Sabine Kiebler von der Helios Klinik Kipfenberg, oft so, dass zwei Diagnosen – Rückenmarksverletzung  im Bereich der Halswirbelsäule –die für den Laien praktisch identisch  klingen, vollkommen unterschiedliche Konsequenzen für den Betroffenen haben können. „Es gibt Fälle, die für den Rest ihres Lebens 24 Stunden am Tag beatmet werden müssen, aber auch solche, die nach erfolgreicher Reha auf ihren eigenen Beinen aus der Klinik nach Hause spazieren können.“

„Wie so eine Geschichte ausgeht, können auch wir vorher nicht sagen“, erklärt Kiebler, „aber unsere Aufgabe als Rehabilitationsklinik ist es immer das Beste herauszuholen und vor allem das Maximum an Selbständigkeit für den Patienten zu erreichen.“

Genau dieses Maximum an Selbstständigkeit, dieses selbst über das eigene Leben bestimmen können und dürfen ist es nämlich, das für Menschen mit Behinderung eine große, oft vielleicht sogar die größte Rolle spielt: „Ein Patient hat einmal gesagt, sobald jemand sieht, dass man im Rollstuhl sitzt, denkt der andere man kann nicht mehr für sich selbst denken und entscheiden – stets wird die Person gefragt die daneben steht.“ Ein Umstand, der für viele Menschen mit Behinderung schwerer wiegt als die eigentliche Einschränkung selbst. In der Helios Klinik Kipfenberg arbeitet man zunächst an den körperlichen Einschränkungen, die eine Querschnittlähmung nach sich zieht. Und die sind Anfangs fast immer gleich: Angekommen in der Reha geht erst mal gar nichts mehr. Der Patient liegt lange Zeit im Bett. Der Kreislauf macht schlapp. Immer wieder gibt es Ohnmachtsanfälle. Für alles, für jede Kleinigkeit braucht man plötzlich Hilfe. Selbst um sich an der Nase zu kratzen.

Zu Beginn der Reha liegt das Augenmerk deshalb auf der Kreislaufstabilisation. Sitzen im Rollstuhl ist das erste Ziel. Danach folgen das selbständige Waschen mit und ohne Hilfsmittel, das selbständige Rollstuhlfahren, selbständiges Essen lernen und vor allem zu lernen, Hilfe annehmen zu können. In der Klinik geht es darum, die Patienten auf ein Leben mit einer Querschnittlähmung vorzubereiten.

Das ist längst nicht alles: In Absprache mit den Ärzten wird durch unterschiedliche Therapieangebote in den Bereichen Physiotherapie, Ergotherapie, Psychologie, physikalische Therapie und Pflegetherapie versucht den Patienten optimal zu versorgen. Gefragt ist dabei vor allem eine Menge Geduld und Ausdauer auch von Seiten des Patienten, denn nicht selten steht ihnen ein Klinikaufenthalt von einem  halben bis dreiviertel Jahr bevor.

Und oft genug ist nach dem Klinikaufenthalt nichts mehr so wie es einmal war: Wie überwinde ich mit dem Rollstuhl eine Bordsteinkante? Wie schaffe ich es eine Rolltreppe zu meistern? Wie steige ich in einen Bus ein? Ist Autofahren überhaupt noch möglich? Menschen mit einer Querschnittlähmung müssen sich, so ist hier die Erfahrung von Mitarbeitern, aber auch ehemaligen Patienten der Klinik, vieles wieder erkämpfen - klassische Rollenmuster, wie sie zuvor in der Familie gepflegt wurden, müssen nicht selten aufgelockert werden. Man muss lernen Hilfe einzufordern und anzunehmen.

„Natürlich“, sagt Kiebler, „gilt es da oft auch den eigenen Platz in der Gesellschaft neu zu definieren. Aber: Querschnitt ist eine Einschränkung auf körperlicher Ebene, der Kopf funktioniert noch gut. Und auch wenn Arme und Beine gar nicht mehr eingesetzt werden können, ist ein selbstbestimmtes Leben mit Hilfsmitteln ohne weiteres möglich.“ Hier sei es an den Patienten, aber auch an ihrer Umgebung und der Gesellschaft, sich diese Dinge bewusst zu machen. Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung am Sonntag, 3. Dezember, könnte dafür Anlass sein.