Pränataldiagnostik: Was steckt hinter dem Fachgebiet?
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Pränataldiagnostik: Was steckt hinter dem Fachgebiet?

Pränatadiagnostik: Was heißt das eigentlich und wieso ist es wichtig? Dipl.-Med. Holger Kastner erklärt, was sich dahinter verbirgt und worauf Schwangere achten sollten.

Was verbirgt sich hinter dem Bereich der Pränataldiagnostik?
Pränatal bedeutet vorgeburtlich. Das heißt, das ist der Bereich, der sich mit der gesamten Diagnostik vor der Geburt beschäftigt. Im Prinzip lassen sich die Untersuchungen in drei wichtige Zeitabschnitte gliedern, die auch in den Mutterschaftsrichtlinien angesiedelt sind: die Pränataldiagnositk findet einmal in um die zehnte Schwangerschaftswoche herum, beim zweiten Mal um die 20. und beim dritten Mal um die 30. Schwangerschaftswoche statt.

In der ersten großen Untersuchung wird festgestellt, ob in der Schwangerschaft alles in Ordnung ist. Also, ob es eine gute Durchblutung gibt, ob eine Zwillingsschwangerschaft vorliegt usw. Das heißt, es geht allgemein um die normale Anlage der Schwangerschaft, das Wachstum, die Terminfeststellung und den Ausschluss schwerer Fehlbildungen.

Die zweite große Untersuchung ist von der 20. bis zur 22. Schwangerschaftswoche. Dieser Abschnitt ist besonders wichtig, denn hier geht es um die sogenannte Feindiagnostik des Kindes. Zu diesem Zeitpunkt ist die Schwangerschaft so weit fortgeschritten, dass sämtliche Organsysteme voll ausgebildet bzw. gut sichtbar sind. Das gilt insbesondere für die Hirndiagnostik und die Echokardiografie, also die Herzdiagnostik. Bei dieser Untersuchung lassen sich Fehlbildungen, teilweise auch schwere Fehlbildungen, diagnostizieren. Das umfasst nicht nur genetische Fehlbildungen, sondern auch Herzfehler oder ähnliches. Somit dient dies nicht nur der Feststellung, sondern auch der Vorbereitung und Planung des Geburtsmanagements und die Vorbereitung möglicher Operationen nach der Geburt.

In der dritten großen Untersuchung, etwa ab der 30. Schwangerschaftswoche, betrachten wir die Entwicklung des Kindes, beispielsweise das Wachstum. Verläuft es normal oder ist das Kind zu klein oder zu groß? Gibt es Verzögerungen? Und vor allem: Was sind die Konsequenzen? Muss eine Geburt beispielsweise vorzeitig eingeleitet werden? So etwas wird mit der Dopplersonografie festgestellt, denn der Zeitpunkt für einen potenziellen Eingriff oder das Einleiten einer Frühgeburt muss genau bestimmt werden.

Wie lange arbeiten Sie schon in der Gynäkologie und Geburtshilfe? 
Ich bin seit 1990 in der Gynäkologie und Geburtshilfe tätig. Mittlerweile habe ich mich vorrangig auf die geburtshilfliche Seite spezialisiert. Zudem hat sich die Pränataldiagnostik sehr weiterentwickelt, nicht zuletzt durch die revolutionäre Entwicklung der Ultraschallgeräte, also des technischen Fortschrittes. In der Pränataldiagnostik bin ich bereits seit knapp 15 Jahren tätig.

Was hat Sie dazu bewegt, sich für diesen Beruf zu entscheiden?
Ursprünglich ging es darum, ein operatives Fach zu belegen. Ich konnte mich entscheiden zwischen der direkten Chirurgie, der Urologie, der Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Orthopädie. Meine Wahl fiel auf die Gynäkologie und Geburtshilfe, da sich hier auch zwei unterschiedliche Fachbereiche vereinen. Bis heute bin ich sehr glücklich über die Entscheidung.

Wie ordnet sich die Pränataldiagnostik in die Gynäkologie und Geburtshilfe ein? 
Die Pränataldiagnostik ist an sich ein noch sehr junges Fachgebiet. Es hat allerdings auch gesellschaftlich einen sehr hohen Stellenwert erreicht. Denn unser Anspruch an eine sichere Schwangerschaft und Geburt ist sehr hoch. Hier geht es vor allem darum, vor der Geburt sicherzustellen, dass das Kind gesund ist. Diesem Anspruch wollen wir natürlich gerecht werden und dank der wissenschaftlichen sowie technischen Weiterentwicklung ist dies immer besser möglich – wenngleich auch das nicht immer hundertprozentig zu erreichen ist.

Die Frauen bekommen heutzutage immer weniger Kinder und werden später Mutter. Auch deswegen hat dieses Fachgebiet einen so hohen Stellenwert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den fetalen Fehlbildungen, denn das kann mitunter schwerwiegende Konsequenzen haben. Schwere Fehlbildungen ziehen unter Umständen einen Schwangerschaftsabbruch nach sich. Aber auch Herzfehler und andere Fehlbildungen wie Klumpfußbildung oder Spaltbildungen im Gesicht können inzwischen hervorragend korrigiert werden. Wichtig ist, die Schwangeren bzw. die Eltern dabei gut vorzubereiten, zu führen und zu betreuen, denn mitunter kommen sehr anspruchsvolle Aufgaben auf sie zu.

Es ist sehr wichtig, während der unterschiedlichen Phasen der Schwangerschaft festzustellen, wie sich das Kind entwickelt.

Dipl.-Med. Holger Kastner, Oberarzt in der Gynäkologie und Geburtshilfe am Helios Klinikum Aue

Welche Herausforderungen gibt es in der Betreuung der werdenden Eltern?
Die Herausforderung liegt vor allem darin, die werdenden Eltern in den unterschiedlichen Situationen zu begleiten. Beispielsweise, wenn sich sehr schwere Fehlbildungen des Kindes abzeichnen, die das Kind zum Teil auch nicht lebensfähig machen und unter Umständen Schwangerschaftsabbrüche nach sich ziehen. Das sind besonders traumatische Ereignisse für die Eltern, die entsprechend erklärt, aber auch durch den Prozess begleitet werden müssen. Auch bei Fehlbildungen, die nach der Geburt operativ korrigiert werden müssen, ist es wichtig, die Eltern davon zu überzeugen, dass die Eingriffe notwendig sind. Gleichzeitig gilt es auch, die Eltern zu beruhigen und ihnen aufzuzeigen, dass Geburtsfehler korrigiert werden können.

Neben Fehlbildungen kommt es auch häufig zu Frühgeburten, etwa bei Mehrlingsschwangerschaften. Auch hier gilt es den Eltern beizustehen und zu erklären, dass wir Frühchen auf den Neonatologischen Stationen mit Hilfe der Kinderärzte sehr gut betreuen können und eine Frühgeburt nicht zwingend negativ verlaufen muss. Es ist wichtig, ihnen die Ängste zu nehmen und sie durch den Prozess zu begleiten. Denn wir möchten natürlich auch, dass die werdenden Eltern ein gesundes Kind mit nach Hause nehmen können.

Nicht zuletzt gibt es noch die Notfälle, bei denen wir kurzfristig operieren müssen. Auch hier gilt es, die Eltern zu begleiten, zu führen und ihnen die Ängste zu nehmen.

Welche Eingriffe gibt es, die ein:e Pränataldiagnostiker:in durchführt?
Da gibt es verschiedene. Stellt man beispielsweise während des Ultraschalls Auffälligkeiten fest, müssen gegebenenfalls genetische Hintergründe betrachtet werden. Hier kann z. B. eine Amniozentese, also eine Fruchtwasseruntersuchung zwischen der 16. bis 18. Schwangerschaftswoche, durchgeführt werden. Dabei entnehmen wir der Mutter Fruchtwasser und lassen es von der genetischen Diagnostik untersuchen.

Dann gibt es noch die Chorionzottenbiopsie, bei der die Plazenta der Mutter untersucht wird, um mögliche Erbkrankheiten auszuschließen. Das passiert wesentlich bis zur 13. SSW. Eine weitere Möglichkeit der Diagnostik ist die Nabelschnurpunktion, bei der die kindlichen Blutzellen untersucht werden. Diese Eingriffe führen aber nur spezielle Zentren durch, in unserer Klinik gibt es diese zum Beispiel nicht.

Zusätzlich gibt es die Eingriffe, die jede Geburtshelferin durchführen muss, beispielsweise der Kaiserschnitt bis hin zu den weniger schönen Eingriffen wie einem Schwangerschaftsabbruch.

Ganz spezielle Eingriffe sind außerdem Lasereingriffe oder Katheteroperationen, die intrauterin, also innerhalb der Gebärmutter, durchgeführt werden. Dies obliegt jedoch ganz speziellen Zentren.

Für mich ist das Schönste, wenn ich den werdenden Eltern sagen kann, dass sie ein gesundes Kind erwarten.

Wie wichtig ist die Pränataldiagnostik während einer Schwangerschaft?
Es ist sehr wichtig, während der unterschiedlichen Phasen der Schwangerschaft festzustellen, wie sich das Kind entwickelt. Sie dient auch dazu mögliche Fehlbildungen zu erkennen, die einer Korrektur bedürfen.

Welche Besonderheiten gibt es in der Aus-/Weiterbildung zum/zur Pränataldiagnostiker:in und wie verläuft diese?
Bevor man sich zum Pränataldiagnostiker ausbilden kann, ist es notwendig, eine Facharztausbildung in der Gynäkologie und Geburtshilfe zu haben. Dazu benötigt man mehrere Jahre Erfahrung im Umgang mit dem Ultraschall. Auch der Eintritt in die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall ist nötig. Es bedarf insgesamt einer sehr langen Zeit, um die Voraussetzungen für die abschließende Prüfung zu erreichen. Beispielsweise müssen 25 eigens diagnostizierte Fehlbildungen unterschiedlicher Organe festgestellt und zur Prüfung eingereicht werden. Zusätzlich muss noch eine praktische Prüfung abgelegt und Hospitationen durchgeführt werden. Die Erfahrungen, die für eine Pränataldiagnostikerin wichtig sind, werden über die lange Dauer der Ausbildung gesammelt und sind notwendig, um sich ein umfangreiches Wissen anzueignen.

Was ist das Spannendste an Ihrem Job?
Für mich, wenn ich den werdenden Eltern sagen kann, dass sie ein gesundes Kind erwarten. Das trifft nicht immer zu, jedoch können wir dem Großteil unserer Schwangeren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass eine normale Schwangerschaft vorliegt und keine Fehlbildungen festzustellen sind. Das ist gleichzeitig auch das Schönste, wenn die Eltern beruhigt aus der Sprechstunde gehen können.

Was war Ihr schönstes Erlebnis?
Das war die Geburt meiner zwei Söhne, die ich selbst mit durchführen konnte, was eigentlich nicht üblich ist.

Ein weiteres spannendes Erlebnis war eine Zwillingsschwangerschaft, bei der wir das Fetofetale Transfusionssyndrom in der 18. Schwangerschaftswoche feststellten. Dabei wurde der eine Zwilling quasi überschüttet mit Nährstoffen während der andere nur wenig erhielt. Es gibt nur eine Möglichkeit einzugreifen, andernfalls würden beide Zwillinge absterben, und zwar mit der Durchführung einer Lasertherapie. Diese konnten wir mit Hilfe eines sehr guten, erfahrenen Pränataldiagnostikers in Hamburg erfolgreich durchführen. In der 35. Schwangerschaftswoche konnte ich die Zwillinge durch einen Kaiserschnitt gesund auf die Welt bringen. Das war eine sehr schöne Erfahrung und ein tolles Erlebnis. Es zeigte auch, wie gut und wichtig die Zusammenarbeit mit anderen Zentren ist.

Bei einer anderen Schwangerschaft hatten wir einen Herzfehler des Kindes diagnostiziert, der sich im Verlauf zum schwersten Herzfehler überhaupt entwickeln kann. Hier mussten wir eine Frühgeburt einleiten. Im Anschluss wurde das Kind direkt im Herzzentrum behandelt und erfolgreich am Herzen operiert. Auch hier ist alles gut verlaufen, da der Herzfehler früh diagnostiziert und korrigiert werden konnte. Der Junge hat inzwischen keinerlei Probleme mehr. Solche Erfahrungen sind wirklich besonders für mich. 

Welche Bereiche in der Pränataldiagnostik bereiten Ihnen am meisten Spaß?
Am meisten Spaß macht die Feindiagnostik in der 20. bis 22. Schwangerschaftswoche, in der Fehlbildungen festgestellt werden. Natürlich hofft man, dass keine Auffälligkeiten festgestellt werden, aber das ist leider nicht immer so. Dennoch ist das der wichtigste und spannendste Bereich und gleichzeitig der Urinstinkt der Pränataldiagnostik, solche Problemstellungen zu bearbeiten und erfolgreich zu begleiten.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag aus?
Ich arbeite nicht nur in der Pränataldiagnostik, sondern auch in der Geburtshilfe, wo ich auch Kaiserschnittentbindungen und normale Entbindungen betreue. Speziell auf die Pränataldiagnostik ausgerichtet, habe ich an drei bis vier Tagen die Woche eine Sprechstunde mit entsprechenden Untersuchungen im Sinne der Fehlbildungsdiagnostik. Zusätzlich werden außerhalb der Sprechstunden auch Patientinnen von außerhalb behandelt, um festzustellen, ob das Kind beispielsweise zu klein ist, eine Frühgeburt eingeleitet werden muss oder ähnliches. Auch das Geburtenmanagement von Zwillingsschwangerschaften gehört dazu. All diese Dinge finden täglich in meinem Arbeitsalltag statt.

Was würden Sie angehenden Gynäkolog:innen empfehlen, die sich auf das Gebiet der Pränataldiagnostik spezialisieren wollen?
Es ist ein sehr interessantes Spezialgebiet. Das wichtigste hierbei ist eine gute Ausbildung als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die frühzeitige Beschäftigung mit der Sonografie. Sehr positiv ist, dass sich die Geräte wirklich sensationell entwickelt haben und die technischen Voraussetzungen hervorragend sind. Ich kenne die Geräte noch auf einem ganz anderen technischen Stand. Aber es bedarf auch einer sehr langen und intensiven Zeit, sich mit den Geräten vertraut zu machen und den richtigen Umgang zu lernen. Das heißt, dass es einer gewissen Sicherheit bedarf, um diese richtig nutzen zu können. Das lernt man in der ständigen Beschäftigung mit diesem Fachgebiet und vor allem durch viele Hospitationen bei erfahrenen Pränataldiagnostikern.