Manchmal werden Wunder wahr
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Bauchspeicheldrüse

Manchmal werden Wunder wahr

Bei gerade einmal 15 Zentimeter Größe und einem durchschnittlichen Gewicht von 100 Gramm vermittelt die Bauchspeicheldrüse einen unscheinbaren Eindruck. Dabei wird ihre Bedeutung gemeinhin stark unterschätzt. Denn neben der Regulation des Blutzuckerspiegels übernimmt sie auch bei der Verdauung der Nahrung wesentliche Arbeit. Ist sie in ihrer Funktion gestört, kann das fatale Folgen haben.

Die Freude über das Wiedersehen war auf beiden Seiten groß. Als Andreas Oehse Mitte April 2021 zu einer Nachkontrolle in die Helios Klinik Schkeuditz kam, wurde er von Dr. Stephan Sack, dem Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, gut gelaunt empfangen. Auch wenn der Mund-Nasen-Schutz die Gesichter beider Männer teils bedeckte, war ihnen ihr Lächeln doch deutlich anzusehen.

Das erste Aufeinandertreffen von Arzt und Patient vier Monate zuvor hingegen verlief alles andere als heiter. Nach heftigen Bauchschmerzen wurde Andreas Oehse durch den Notarzt ins Klinikum gebracht. Symptome, die etwas derart Dramatisches ankündigten, verspürte er im Vorfeld nicht. „Alles war in Ordnung, bis zu diesem Augenblick“, äußert er heute. An den Besuch bei seiner Mutter, den er zum Zeitpunkt des Beginns der Schmerzen unternommen hatte, kann er sich noch erinnern. Jeder weitere Moment ist aus seinem Gedächtnis gelöscht.

Geringe Überlebenschance

Andreas Oehses Leben stand auf der Kippe, als er im Dezember 2020 in die Helios Klinik Schkeuditz kam.

Erste Untersuchungen in der Klinik ergaben ein katastrophales Bild seines Innenlebens. „Ein Teil der Bauchspeicheldrüse produziert Enzyme und leitet sie an den Zwölffingerdarm weiter. Dort schlüsselt das Sekret die Nahrung in Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette auf und zerkleinert sie. Bei Andreas Oehse war diese Weiterleitung jedoch gestört, wodurch das Organ sich und seine Umgebung praktisch selbst verdaute“, erläutert Dr. Sack. Betroffen davon war der gesamte hintere Bauchraum des 59-Jährigen. Eine grauenhafte Vorstellung, die bei Nichtbehandlung über kurze Zeit unweigerlich zum Tod des Schkeuditzers geführt hätte.

Zusätzlich erschwert war die Lage dadurch, dass neben der Bauchspeicheldrüse vorübergehend auch die Nieren, der Kreislauf und die Lunge ihren Dienst versagten. Infolgedessen musste Oehse nicht nur künstlich ernährt, sondern auch beamtet werden. Mehrere Wochen legten ihn die Ärzte deshalb in ein künstliches Koma. Zudem implantierte man eine Drainage, über die infizierte Wundflüssigkeit nach Außen abgeleitet werden konnte.

Ohne operativen Eingriff

Die Hoffnung auf ein positives Ende gaben die Mediziner und Pfleger dennoch nie auf. „Erste fortschrittliche Signale erhielten wir nach etwa sechs Wochen, als sich auf den Röntgenbildern totes von gesundem Gewebe wieder sichtbar trennte“, berichtet Dr. Sack.

Ab diesem Zeitpunkt war es auch möglich, über ein künstlich angelegtes, etwa zwei Zentimeter großes Loch in der Magenwand das abgestorbene Gewebe endoskopisch zu entfernen. Das weiterhin anfallende Wundwasser ließ sich dadurch über einen Katheter mit einem Schwamm an der Spitze kontinuierlich absaugen. Ein Verfahren, das bei infizierten äußeren Wunden inzwischen gängige Praxis ist.

Der gesamte Vorgang wurde minimalinvasiv ausgeführt. Oder anders formuliert: Die Bauchdecke des Patienten musste zu keinem Zeitpunkt geöffnet werden, was die späteren Heilungschancen von Andreas Oehse beträchtlich erhöhte. Um so agieren zu können, bedurfte es allerdings der Einbindung nahezu aller medizinischen Disziplinen des Klinikums, einschließlich der Intensivkräfte. Einmal mehr habe sich dabei auch das gute, kooperative und enge Miteinander von Dr. Sack und Prof. Dr. med. Peter Lamesch, dem Chefarzt für Chirurgie im Klinikum Schkeuditz, bewährt. Zudem profitiert das Haus vom regelmäßigen fachlichen Austausch mit dem Helios Park-Klinikum Leipzig und dessen Ärzten. Erschwert wurde die Arbeit des Klinikpersonals einzig durch die Belastungen der Coronapandemie. Selbst das Besuchsrecht der Patienten war deswegen eingeschränkt. Da Andreas Oehse jedoch ebenerdig untergebracht war, konnte er mit seinen Verwandten zumindest durch das geschlossene Fenster kommunizieren.

Selbst erlebtes Wunder

Der körperliche Zustand, den Andreas Oehse heute offenbart, ist mit dem vor vier Monaten nicht mehr zu vergleichen. Ihm gehe es gut, sagt er. Lediglich in den Armen sei der durch den langen Klinikaufenthalt bedingte Muskelschwund für ihn noch spürbar. Tägliche Kraftübungen und lange Spaziergänge sollen aber helfen, seine Fitness schnell wieder herzustellen, betont der Schkeuditzer. „Ich führe ansonsten wieder ein ganz normales Leben. Angesichts der geringen Überlebenschance, die ich noch vor wenigen Monaten hatte, ist das für mich ein reales Wunder”, freut sich Oehse.

Schon bald, so seine Hoffnung, könne er auch in das Arbeitsleben zurückkehren. Ob Andreas Oehse dabei seinem Beruf als Kraftfahrer wieder nachkommen kann, gilt es noch zu klären. Sein Chef jedoch habe ihm bereits signalisiert, andernfalls auch eine andere Verwendung für ihn zu finden.