Psychologische Schatztruhe

Das Coronavirus fordert von allen Menschen auch eine Abkehr von bisher ganz selbstverständlichen Dingen des gemeinsamen Leben.

Großeltern können ihre Enkel nicht mehr sehen, Treffen im Freundeskreis sowie Geburtstagspartys sind nur innerhalb der Kernfamilie möglich. Der nette Plausch auf dem Wochenmarkt oder der Sportkurs sind Vergangenheit.

Viele Menschen verhalten sich anders, ob auf der Straße oder beim Einkaufen.

Dipl.-Psychologe Uwe Poprawa erklärt Woche für Woche Situationen, Verhalten in Corona-Zeiten uvm.

Die Nachrichten, die wir hören, die Bilder, die wir im Fernsehen täglich sehen, werden immer ernster und manchmal schon gespenstig. Die Informationen, die wir bekommen, sind so vielschichtig und sich unaufhörlich verändernd, dass sie nicht immer vollständig erfassbar bleiben. Inzwischen sehen wir, nach nur wenigen Tagen, in unseren Städten und Dörfern die reale Wirklichkeit: Es sind kaum Menschen auf der Straße, es fahren kaum Autos. In den wenigen geöffneten Geschäften stehen wir auf Abstand, gehen uns aus dem Weg, finden normale Dinge nicht im Regal. Kaum jemand hat ein solches Arsenal an Maßnahmen für möglich gehalten, weil es das ja auch noch nie gegeben hat: Geschäfte, Restaurant, Kinos, Museen, Schulen und Kita schließen. Die Enkel dürfen die Großeltern nicht mehr besuchen.

Es vermittelt eine Stimmung. Und Menschen sind von Stimmungen abhängig. Sie sind soziale Wesen: sie sind vom Kontakt mit anderen Menschen abhängig. Es ist das aufeinander zugehen, der Austausch, es sind die Mimik und die gegenseitige Zugewandtheit, das Zuhören und selbst sprechen mit den Anderen. Jetzt schauen manche Menschen weg, wenn sie jemandem begegnen, gehen diese auf Abstand zu mir und sprechen mich unter Umständen gar nicht mehr an. Oder es ist eine Scheibe dazwischen. Isolierung bedeutet Vereinzelung. Kontakt ist jetzt mit Angst verbunden, dass der Andere erkrankt ist und dass man sich nun ansteckt. Es gibt eine unumstößliche Erkenntnis: Einsamkeit macht krank. Bis auf wenige von uns, die eine zurückgezogene Lebensform aus unterschiedlichen Gründen pflegen.

Die Hedonie (ein weitgehend freudvolles Leben, genährt aus der Erfüllung der Grundbedürfnisse, hinreichend sozialen Kontakten und Selbstbestätigung, also ein gutes bzw. gelungenes Leben) hat einen "Gegenspieler": die Anhedonie. Die soziale Anhedonie, heißt, dass ich keine Freude mehr habe, weil ich keinen Kontakt mehr habe. Evolutionstechnisch haben sich die Einzelgänger nicht durchgesetzt, d.h., Menschen sind soziale Wesen und das ist genetisch so bedingt. Das Zusammentreffen mit dem/den anderen Menschen ruft in der Regel bei jedem Menschen eine gewohnte (und so gar nicht mehr bewusst wahrnehmbare) Freude hervor, denn wir haben das Bedürfnis, Menschen zu treffen, uns auszutauschen, zu diskutieren, einfach zu reden oder auch mal zu streiten. Das ist etwas ganz wichtiges, auch für das Gehirn, für die Ausschüttung der Neurotransmitter, welche Glücksempfinden auslösen. Die werden nun nicht mehr angesprochen, weil wir uns weitgehend isolieren müssen. Ein anderer Mechanismus wird in Gang gesetzt, der Angst produziert. Oder Abwehr. Oder sogar Aggression. Das verstandesmäßige Chaos, welches für Viele derzeit durch die medialen Coronainformationen ausgelößt wird, wird nun durch diese emotionalen Ängste und Verunsicherungen ergänzt. Und das ist normal. Ein jeder von uns wird dies fühlen, weil es alle betrifft.

Aber: Trotz der Vereinsamung, die nun je nach familiärer Situation unterschiedlich ausgeprägt entstanden ist und uns für eine weitere Zeit begleiten wird, sollten wir unbedingt auf Eines setzen: Das Gemeinschaftsgefühl.

Wir sitzen alle in einem Boot. Das verbindet uns auf eine neue Art, eine bisher ungekannte Qualität. Der Andere geht nicht auf Abstand, weil er uns plötzlich meiden will, sondern weil er gesund bleiben will und wir es auch bleiben sollen. Die neue Distanz läßt sich durch einen freundlichen Blick oder ein Lächeln überbrücken. Auch das regt positive Emotionen an - die wir gerade ganz gut gebrauchen können.

Das Gemeinschaftsgefühl, sich mit den anderen Mitmenschen in derselben Lage zu befinden und von spezialisierten und kenntnisreichen Fachleuten (welche die politischen Entscheidungsträger beraten) das eigene tägliche Verhalten „vorgeschrieben“ zu bekommen, täuscht leider nicht darüber hinweg, dass es einige Verhaltens- und Reaktionsmuster gibt, die wir Menschen (und Primaten) evolutionsbedingt in den Genen bewahren und entsprechend ausleben.

 

„Man darf annehmen, dass bereits steinzeitliche Jägergruppen in gewissen Situationen mit anderen Gruppen um Ressourcen konkurrierten und dabei auch Gewalt anwendeten.
Andererseits gab die extrem dünne Besiedlung wildbeuterisch genutzter Lebensräume aller Wahrscheinlichkeit nach kaum Gelegenheit zu Kriegen.“ (Wikipedia)

Die zur Lebenserhaltung der eigenen Sippe notwendige Nahrung und Vorräte wurde von Männern und Frauen in verschiedener Rollenbildern schon seit etwa 2,6 Millionen Jahren von unseren geschätzten Vorfahren beschafft, als man sich zur Werkzeugherstellung befähigt entwickelt hatte.

Seitdem ist ein unvorstellbare lange Zeit vergangen, ein Großteil der Menschheit ist hochzivilisiert, in den modernen Industriestaaten sind die Nahrungsvorräte und sonstigen materiellen Bereiche (z.B. Kleidung, Körperpflege, Fortbewegung, Multimedia) im Übermaß vorhanden.

Die Intelligenz des Menschen ist entwickelt wie nie zuvor, ihr sind lebenserhaltende und wichtige Erfindungen und Entwicklungen zu verdanken (leider auch lebensbedrohliche und selbstzerstörerische…)

Trotz dieser Intelligenz, trotz zahlreicher benennbarer geistiger Prozesse (z. B. der Fähigkeit, sich Situationen rational zu erklären, ein Gewissen zu haben, eine Moral zu besitzen), trotz gesellschaftlicher Prozesse (der Reglementierung, Zuteilung) ist unübersehbar, dass es nicht allen Menschen möglich ist, diese uralten Mechanismen auszuschalten.

Konkret: Die Jagd nach Artikeln des täglichen Lebens, die „Ansteckung“ durch die um uns bestehenden sozialen Gruppen, ist besonders in Stesssituationen – und eine solche haben wir im Zusammenhang mit der Corona -Pandemie - ein erklärbarer und daher nicht unnormaler Vorgang.

Den Menschen gelingt es, je nach Persönlichkeitsstruktur, Veranlagung und Erziehung (auch psychischer Gesundheit ohne Angst und Panikgefühle) schlechter oder besser, sich die aktuellen Entscheidungen, also auch das aktuelle Einkaufsverhalten rational zu erklären und bei gewohnter und ausreichender Bevorratung zu belassen oder aber die sogenannten Hamsterkäufe zu praktizieren.

Diese psychologischen Begriffe umschreiben einen anderen Verhaltensbereich des Tierreiches (und somit auch des Menschen).

Auch sie kommen zum Tragen, wenn es gilt, in bestimmten Situationen so oder so zu handeln.

Man kann z.B. kämpferisch mit einer Erkrankung umgehen, um ihr die eigene Zuversicht und Stärke entgegenzustellen oder man kann sich in Selbstaufgabe und Mutlosigkeit flüchten.

Nicht jeder Mensch reagiert gleich.

Die Bilder und Berichte aus den vergangenen Tagen zeigen anschaulich, wie manche unserer Mitmenschen um ihre „Vorräte“ kämpfen und dabei jegliches Gemeinschaftsgefühl aus den Augen verlieren.

Aber eben unsere Fähigkeit zur Selbstreflektion und zum Lernen sollten dabei helfen, eigene Impulse (aus der „Urzeit“) zu prüfen und sich zu verantwortungsbewußtem, d.h. auch den Anderen gegenüber rücksichtsvollem Verhalten zu motivieren.

Übrigens ist ein Kampf der allermeisten Mitmenschen täglich auch darin zu beobachten, dass sie sich rücksichtsvoll verhalten: Abstand zu Fremden einnehmen, Familienangehörige nicht einem unnötigen Risiko aussetzen, keine größeren Gruppen bilden.

Dieser Kampf hat die Vermeidung einer heimtückischen Erkrankung zum Ziel.

Und in vorderster Linie sind in diesem Zusammenhang die vielen hundertausend Beschäftigten der Pflege, des Gesundheitswesens und des Handels nicht auf der Flucht, sondern im Kampf.

Bedenken wir also auch unseren Teil in dieser großen gemeinschaftlichen Herausforderung – auch wenn die Ostereinkäufe in vollstem Gange sind!