Auch in der zweiten Woche starteten wir täglich mit dem Jeep 7:30 Uhr in Richtung Hospital. Selbst diese Fahrt glich immer einem Abenteuer...einmal fanden insgesamt 15 von uns Platz in diesem Auto. Für deutsche Verhältnisse nahezu unmöglich...aber hier ganz selbstverständlich. Auf dem Weg hielt ich immer gerne Ausschau nach den Schulkindern in ihren typischen Schuluniformen. Sie sind immer zu Fuß unterwegs in die doch recht weit entfernte Schule. Dafür habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mit ihnen sehr gut in englisch ins Gespräch kommen kann, denn das lernen sie in der Schule.
Im Hospital angekommen, geht die eine OP-Gruppe zur Visite über die einzelnen Stationen und schaut nach dem Befinden der stationären Patienten, entscheidet, welche Verbandswechsel vorgenommen werden und welche davon eine Anästhesie bekommen müssen.
Währenddessen geht es im 2. OP bei den Augenärzten schon aktiv zur Sache. Von den 996 augenärztlich untersuchten Patienten stellte sich die Situation für 212 postoperativ mit erheblicher Verbesserung dar. Vor allem Katarakt-Operationen, die einzige Möglichkeit der Therapie bei Grauen Star, sind notwendig, um den Menschen mit teils erheblichen Sehstörungen helfen zu können. Inzwischen wurde schon mit tansanischen Ärzten gemeinsam operiert und auch die Ausbildung einheimischer Mitarbeiter zu OP-Schwester und OP-Pflegern schreitet voran.
Ich durfte bei zwei Augenoperationen hospitieren und habe mir so selbst einen kleinen Eindruck verschaffen können, welch´ großartige Hilfe es für die Menschen bedeutet, wenn sie nach Einsatz einer künstlichen Linse wieder sehen können.
Ebenso erging es mir während der Hospitation bei Orthopädiemechaniker-Meister Götz Pockrandt. In diesem Jahr neu in Sumbawanga, leitet er das Projekt, Menschen nach Amputationen mit Prothesen zu versorgen. Zusammen mit Kennedy Baraka nahm er insgesamt 27 Gipsabdrücke, die mit nach Deutschland befördert wurden. In Dresden werden nun die Prothesen gefertigt, die dann den Patienten zur Verfügung gestellt und angepasst werden. Die ersten Prothesen konnten bereits von Sumbawanga aus finanziert werden. Geplant ist, dass eine Grundausstattung für eine Orthopädie-Werkstatt beschafft wird. Auch hier spürte ich, welche wunderbare Aussicht es für die Betroffenen darstellt, in Zukunft eine deutliche Verbesserung ihres Lebens-und Gesundheitszustandes zu erfahren. Ich durfte an der Prozedur für die Herstellung eines Gipsabdrucks teilnehmen und lernte dabei Paul kennen. Dem inzwischen 17-Jährigen musste vor zehn Jahren der rechte Unterschenkel auf Grund einer Ostheomyelitis amputiert werden. Wenn er im November diesen Jahres seine von Götz angefertigte Unterschenkelprothese angepasst bekommen wird, kann er nicht nur wieder auf zwei Beinen laufen, sondern er hat um so viel mehr Chancen, einen Beruf zu erlernen und später sogar zu heiraten. Diese Aussichten werden wegweisend sein für sein gesamtes weiteres Leben. Und das ist doch faszinierend und macht den Wert unserer Hilfe deutlich.
Selber haben wir Hebammen während unseres Einsatzes in der Maternity noch eine große Veränderung herbeiführen können. Die bisherige Organisation des Einsatzes von Sterilgut und die Sterilisation der geburtshilflich relevanten Instrumente erfuhr durch unser Input eine erhebliche Verbesserung. Durch das Trennen in Geburts-Sets und Naht-Sets ist es nun besser möglich, das notwendige Instrumentarium griffbereit zu haben. Wenn es um Ordnung und Sauberkeit geht, fällt es uns doch durch unsere bestens organisierte Krankenhaus-Ordnung leichter, da ein wenig Nachhilfe zu geben. Davon profitieren letzendlich nicht nur die Organisation der Maternity, sondern auch die werdenden Mütter. Trotzdem ist es nicht immer leicht gewesen, es den ansässigen Hebammen vorsichtig und liebevoll zu erklären. Die Kommunikation, welche in englisch stattfindet, ist nicht immer die einzige Hürde, die zu nehmen ist.
Tatsächlich werden zwei Tage nach der Beauftragung die fertig gestellten neuen Stillkissenbezüge aus grünem OP-Tuch von der freudig strahlenden Näherin gebracht. Wir sind begeistert, denn so können wir den häufigeren Wäsche-Wechsel auch praktisch absichern. Es zeigt uns, wie wichtig es ist, auch die kleinen Rädchen im Uhrwerk in Bewegung zu bringen, wenn es besser als bisher laufen soll.
Mit unserer Hilfe werden auch in der 2. Woche noch einige Kinder tagsüber bzw. abends geboren. Die meisten Geburten finden hier nachts statt, so wie es die Natur eigentlich will. Das ist anders, als in deutschen Krankenhäusern, wo ein Teil der Geburtshilfe (primäre Kaiserschnitte und Geburtseinleitungen) im Tagesablauf geplant und durchgeführt werden.
Zwei weitere Male können wir es abwenden, dass ein unnotwendiger Kaiserschnitt durchgeführt wird. Leider ist dieser oft die einzige Idee, welche dem einheimischen Personal einfällt, wenn eine Geburt mal nicht von allein regulär abläuft. Das geburtshilfliche Wissen ist leider unzureichend und das praktische Können noch auf einem niedrigen Stand. Man sieht in den Gesichtern der tansanischen Hebammen grenzenloses Erstaunen, wenn wir oft nur mit der veränderten Körperposition der Gebärenden (zum Beispiel in den Vierfüßlerstand) das Kind zum Rutschen veranlassen können. Aber wenn wir uns zurück besinnen, dann hat das auch in unserer eigenen Berufsentwicklung doch eine beträchtliche Zeit gedauert, bis ein Umdenken in den Köpfen passiert ist. Vieles können wir erklären, Einiges zeigen und vormachen - und mit der Zeit wird es möglich sein, schrittweise weitere und größere Erfolge zu erzielen. Und es wird viel Geduld und Wiederholungen brauchen...aber dazu sind wir Hebammen ja berufsbedingt in der Lage.
Am letzten Tag gibt es eine kleine Inventur, um zu wissen, was an Material noch vorrätig ist und welche Verfallsdaten beachtet werden müssen. Auch kommt auf eine Extraliste, was für den nächsten Einsatz benötigt wird bzw. was wir fürs nächste Mal unbedingt für notwendig erachten. Klar ist, es wird im Herbst einen weiteren Einsatz der Sektion Sachsen von INTERPLAST Germany e.V. in Sumbawanga geben und es ist auch sicher, dass wieder zwei Hebammen dabei sein werden. Für diese werden dann unsere Tipps und Hinweise eine kostbare Hilfe in den Vorbereitungen sein.
Am Karfreitag nehmen wir nach zwei intensiven Wochen Abschied im Dr. Atiman Memorial Hospital in Sumbawanga - von den Patienten, den Hebammen, OP-Schwestern und Ärzten...von den Mitarbeitern, die sich um unsere Unterkunft und Verpflegung gekümmert haben und von unserem Fahrer, der uns täglich im Jeep morgens und abends befördert hat. Wir alle sind dankbar, dass wir diese intensive Zeit erleben durften und wir nehmen die unglaubliche Dankbarkeit der tansanischen Patienten ebenso mit in unser Reisegepäck, wie die vielfältigen Erlebnisse, die vielen erfolgreichen Behandlungen und den großen Teamgeist innerhalb der Gruppe. Das Ergebnis in Zahlen lautet: Insgesamt wurden 426 große Verbandswechsel vorgenommen, vornehmlich von Verbrennungspatienten oder nach frischen Frakturen, 212 Augen-Operationen nach knapp 1000 Patientenuntersuchungen, 436 Physiotherapie-anwendungen (in zwei Camps), 27 Gipsabdrücke für Prothesen und 18 durch uns betreute Geburten.