Gefäßchirurgie

Der besondere Fall

Fall 1

Enge Zusammenarbeit der Abteilungen Gefäßchirurgie und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie ermöglicht anspruchsvolle Versorgung

Patient X stellte sich in unserer gefäßchirurgischen Sprechstunde vor mit rezidivierenden Infekten der Großzehe sowie einer ca. 1x1cm großer Nekrose bei diabetischer Angiopathie.

Es wurde eine 1-Gefäßversorgung des Unterschenkels durch die A. fibularis festgestellt mit schlechtem Kollateralfluss auf die ADP. Nach mangelnder Befundbesserung nach PTA der A. fibularis wurde die Indikation zu einem popliteo-pedalen Venenbypass gestellt. Als Bypassgefäß diente die ipsilaterale VSM. Der Eingriff erfolgte am 08.10.2021.

Postoperativ kam es durch zu frühes Entfernen der Hautfäden zum Aufreißen der Operationswunde am Fußrücken im Bereich der distalen Bypassanastomose mit einer ca 4,5x3 cm großen Wunddehiszenz. Die Wunde wurde gesäubert und mit Vakuum-Verband versorgt. In Rücksprache mit der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie wurde zur die Indikation zur definitiven Defektdeckung mittels Radialis-Lappenplastik gestellt, nachdem bereits einmalig eine Blutung aus dem Anastomosenbereich aufgetreten war. Der Eingriff erfolgte am 16.12.2021. Die Entnahme des ca. 15cm langen Radialislappens erfolgte in modifizierter Form pfeilförmig aus dem linken Unterarm. Der Gefäßstiel des Lappens wurde in End zu Seit-Technik an den Venenbypass anastomosiert, die begleitenden Venen wurden an Venen aus der tiefen Muskelloge jeweils End-zu-End angeschlossen. Nach Versicherung der Durchblutung des Lappens wurde dieser in das Wundbett eingenäht.

Die Defektwunde am linken Unterarm wurde mit einem Vollhauttransplantat aus der Leiste gedeckt. Die Entlassung konnte bereits 1 Woche postoperativ erfolgen. In Kontrolluntersuchungen zeigte sich der Lappen stets gut durchblutet und eingeheilt, es zeigte sich lediglich eine kleine Wundheilungsstörung am proximalen Rand des Lappens. In weiteren regelmäßigen Kontrollen zeigte sich weiterhin eine gute Abheilungstendenz. Die Großzehe verheilte mit der gebesserten Durchblutung rasch, Infekte traten nicht mehr auf. Eine Amputation konnte vermieden werden.

Fall 2

Verlegung des 66jährigen Patienten Y mit Notarztbegleitung aus einer anderen Klinik mit Bauchaortenaneurysma und begleitenden Bauchschmerzen.

Bei der Befragung und Untersuchung des Patienten wurden neu aufgetretene Luftnot und Brustschmerzen bei Belastung in den letzten Monaten angegeben. Zusätzlich gab der Patient Schmerzen in der linkem Kniekehle direkt nach dem Aufstehen an sowie eine Neigung zu blauen Flecken seit 1 Woche.

Laborchemisch fand sich ein deutlich erniedrigter HB-Wert (roter Blutfarbstoff), eine massiv erniedrigte Thrombozytenzahl (Blutplättchen) sowie Zeichen einer Minderdurchblutung des Herzmuskels. Nach Angaben des Patienten waren diese Blutbildveränderungen bereits bei der Hausärztin aufgefallen.Weiterhin gab der Patient einen akuten Schmerz in der linken Kniekehle seit einer Woche an. Dieser zeige sich direkt nach dem Aufstehen morgens beim Treppe laufen. Zusätzlich bestanden Schmerzen in der linken Wade nach ca. 3 km Laufen seit einigen Monaten. Wegen Übelkeit gab der Patient 5kg Gewichtsabnahme in den letzten 2 Wochen an. Vormedikation mit ASS und Amlodipin. Erwähnenswert war eine Kombinationsimpfung 8 Wochen zuvor.

Da nicht das Bauchaortenaneurysma, sondern die massiven Blutbildveränderungen das Hauptproblem darstellten, wurden unverzüglich unsere kardiologischen und hämato-onkologischen  Kollegen hinzugezogen. Eine ausführliche Ultraschalluntersuchung des Herzens zeigte eine deutlich vorerkrankte, erweiterte linke Herzkammer sowie damit verbunden eine deutlich reduzierte Pumpfunktion. Bei dringendem Verdacht auf eine Thrombotisch thrombozytopenische Purpura (TTP, Thrombozytenzahl 10 000) erfolgte die sofortige Kontaktaufnahme mit dem Klinikum Rechts der Isar zur akuten Plasmapherese. Die Kollegen übernahmen den Patienten noch am selben Tag, sodaß die lebensnotwendige Therapie schnellstmöglich eingeleitet werden konnte.

Die TTP (thrombotisch thrombozytopenische Purpura, ICD M31.1, Moschcowitz-Syndrom) ist eine seltene Erkrankung mit ca. 1,5-4 Neuerkrankungen pro einer Million Menschen im Jahr. Am häufigsten tritt die Erkrankung im Alter von 30-40 Jahren auf, Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Die TTP ist eine akute, dramatisch verlaufende Erkrankung mit Hämolyse, Thrombopenie und diffuser Organschädigung. Ohne Therapie verläuft sie in ca. 80% tödlich, daher sollte dieses Krankheitsbild in  jeder Notaufnahme bekannt sein. Der vorliegende Fall unterstreicht die Bedeutung eines permanent verfügbaren Facharztstandards in der Zentralen Notaufnahme.

Rasche Diagnose und Therapieeinleitung sind lebensrettend; eine deutliche Prognoseverbesserung konnte durch neue Diagnose- und Therapiemethoden erzielt werden.

Fall 3

Dialyse ist der Fachbegriff für Blutwäsche. Diese kann nötig werden, wenn die Nieren ihre Funktion der Entgiftung und Urinausscheidung nicht mehr wahrnehmen. Der Patient wird dann meist dreimal wöchentlich in einem Dialysezentrum in einer 3- bis 4-stündigen Prozedur durch eine Maschine entgiftet und entwässert. Hierfür ist ein Zugang zum Gefäßsystem des Patienten nötig, damit innerhalb dieser kurzen Zeit das komplette Blut behandelt werden kann. Im Notfall oder bei schwer Vorerkrankten kann das über einen Katheter am Hals erfolgen. In aller Regel versucht man jedoch, Kunststoff zu vermeiden und einen operativen Kurzschluß zwischen einer Arterie und einer Vene am Arm herzustellen, einen sogenannten Shunt. Bekannte Zugänge sind in der Ellenbeuge Basilika- oder Cubitalshunt, am Unterarm bzw. kurz oberhalb des Handgelenks der Ciminoshunt.

Fast in Vergessenheit geraten ist der Tabatieren-Shunt, der circa zwei Zentimeter unterhalb des Handgelenkes am Handrücken angelegt wird. Dabei sind die Erfolgsraten ähnlich denen des Ciminoshunts. Der Vorteil ist die Möglichkeit einer ambulanten Anlage sowie eine sehr lange Punktionsstrecke. Spätere Höherverlagerung (Proximalisierung) ist uneingeschränkt möglich. Der Operateur benötigt für die feinen Gefäße eine Lupenbrille.

Ein 72-jähriger Patient stellte sich in Begleitung seiner Ehefrau in unserer Shuntsprechstunde vor. Seine Nieren arbeiteten so schlecht, dass in naher Zukunft eine Dialyse notwendig sein würde. Er hatte selbst bereits im Internet recherchiert und wünschte sich einen Katheter. Wir klärten ihn über die Vorteile des Katheters auf. Diese sind sofortige Möglichkeit der Blutwäsche und Austausch bei Fehlfunktion mit wenig Aufwand. Allerdings existieren auch Nachteile, die wir dem Patienten ebenso erklärten. So muss man den Katheter sehr sorgfältig abkleben zum Duschen. Bakterien durch eine Infektion des Körpers können sich am Kunststoff des Katheters anlagern und so eine gefürchtete Katheter-Infektion oder sogar Katheter-Sepsis auslösen. 

Der Patient hatte befürchtet, durch einen Shunt am Arm in der Beweglichkeit des Armes oder der Kraft beeinträchtigt zu sein. Er ist aufgrund von Gehproblemen gezwungen, sich an der Treppe mit den Händen am Geländer hochzuziehen. Diesbezüglich konnten wir ihn beruhigen, dass sich an Kraft und Beweglichkeit nichts ändert. Wir erklärten, dass der Hauptvorteil der Verwendung körpereigenen Materials in der hohen Infektresistenz und bestmöglichen Offenheitsraten besteht. Es sind jedoch in den Folgejahren meist verschiedene Revisionen nötig, da sich Verengungen der Vene oder Arterie ausbilden können.

Wir führten eine Duplexsonographie der Armvenen und Armarterien durch. Die Adern waren uneingeschränkt geeignet. Die oberflächliche Vene am Unterarm war vom Durchmesser ebenfalls sehr gut geeignet, sodass ein Ciminoshunt möglich gewesen wäre. Allerdings lag die Vene deutlich weiter von der Ader entfernt, als es sonst üblich ist. Der Abstand betrug ca. 4,5 cm. Wir Gefäßchirurgen wissen, dass das Freilegen der Gefäße sehr sparsam erfolgen sollte, da ansonsten Verengungen der Shuntvene durch Vernarbung resultieren können. Daher sahen wir uns auch die Tabatieren-Region, welche ca. 5cm unterhalb liegt, genauer an. Hier fand sich die Vene wieder direkt über der Ader, die Durchmesser der Gefäße waren nur minimal kleiner als im Cimino-Bereich. Nach Abwägen aller Vor- und Nachteile entschied sich der Patient auf unsere Empfehlung hin für einen Tabatieren-Shunt. Diesen legten wir am 19.01.2023 in einer lokalen Betäubung des linken Armes (Plexusanästhesie) an. Bereits am Ende der OP ließ sich das Schwirren der Shuntvene gut tasten.

In der Kontrolluntersuchung nach 1 und 3 Wochen zeigte sich eine gut heilende Wunde sowie ein kräftig schwirrender Shunt. Mit Duplexsonograpie sahen wir eine bereits deutlich erweiterte Vene mit gutem Shuntfluß. Der Shunt kann ab 16.03.2023 für die Dialyse genutzt werden.

Dieser Fall soll an die Zugangsmöglichkeit in der Tabatiere erinnern, die für ausgesuchte Patienten eine hervorragende Möglichkeit des nativen (körpereigenen) Shunts bietet.