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Wenn Kopfbälle gefährlich werden

Flanke, Kopfball, Tor – so stellen sich viele einen perfekten Spielzug auf dem Fußballfeld vor. Doch die Kräfte, die bei einem Kopfball plötzlich auf einen Schädel einwirken, sind enorm hoch.
Wir haben mit einem Neurologen und einem Sportmediziner über Kopfbälle sowie Gehirnerschütterungen im Sport und deren Folgen gesprochen.

soccer player playing with ball on field

Kopfverletzungen beim Sport

In Deutschland werden von 270.000 Schädel-Hirn-Traumen jährlich mehr als 44.000 alleine im Sport diagnostiziert, die Dunkelziffer liegt weit darüber. Oft verharmlost oder unerkannt kann diese ernstzunehmende Verletzung bei ausbleibender oder falscher Behandlung erhebliche Spätfolgen verursachen. Verschiedene deutschlandweite Initiativen haben sich zum Ziel gesetzt, die Sensibilität für Gehirnerschütterungen im Breitensport zu erhöhen.

 

Sowohl im Spitzen- und Profisport, als auch im Breiten- und Schulsport kommt es immer wieder zu Kopfverletzungen. „Stürze, Zusammenpralle, aber auch Kopfbälle führen zu kurzen, aber teilweise heftigen Erschütterungen des Gehirns. Je größer die Erschütterung, desto stärker wird das Gehirn gegen die Schädeldecke hin und her geschleudert“, erklärt Dr. Hartmut Ehrle-Anhalt, Chefarzt der Neurologie und Geriatrie sowie Ärztlicher Direktor der Helios Klinik Müllheim.

„Dadurch entstehen kleinste Verletzungen des Gehirns, sogenannte Mikrotraumen. Häufig ist auch die Formatio reticularis betroffen, ein komplexes Netzwerk im Hirnstamm, was sich in Bewusstseinsveränderungen zeigt“, weiß der sportbegeisterte Neurologe. Vielfach wiederholte Mikrotraumen am zentralen Nervensystem können langfristig zu Schädigungen führen und machen sich oft erst im Laufe des Lebens bemerkbar.

Helios Klinik Müllheim

Ärztlicher Direktor

Durch starke Erschütterungen entstehen kleinste Verletzungen des Gehirns, sogenannte Mikrotraumen.

Anzeichen einer Gehirnerschütterung erkennen

Laut Statista machen Kopfverletzungen sechs Prozent der Verletzungen im Fußball aus, gefolgt von Halsverletzungen mit vier Prozent. „Nicht jeder Kopfball oder Zusammenstoß führt gleich zu einem Trauma. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: Muskulatur, Technik, Aufprallposition am Kopf, Wucht des Zusammenstoßes und vieles mehr“, weiß Dr. Christof Klemt, Chefarzt der Unfallchirurgie an der Helios Klinik Mühlheim. Gemeinsam mit seinem Team betreut er Sportler:innen im Amateur- und Profibereich, unter anderem Fußball- und Handballmannschaften sowie Ringer der Regional- und Bundesliga. „In diesem Bereich sind wir häufig mit Gehirnerschütterungen konfrontiert.“

Glücklicherweise hat dieses Thema in der Vergangenheit an Aufmerksamkeit gewonnen“, erzählt Klemt. „Profisportler und -sportlerinnnen verschiedenster Kontaktsportarten trainieren die Bewegungsabläufe von klein auf, haben eine entsprechende Technik und Muskulatur und werden medizinisch bestens betreut. Im Breiten- und Schulsport gelten andere Voraussetzungen, derartige Verletzungen werden oft nicht erkannt oder bagatellisiert“, stellt der Sportmediziner fest und zählt die ersten Anzeichen einer leichten Gehirnerschütterung auf: Sterne sehen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Schlaf- und Konzentrationsstörung.

Anders sieht es bei Kindern aus. Ihre Schädelknochen sind noch nicht vollständig entwickelt und daher empfindlicher. Der Deutsche Fußball Bund empfiehlt deshalb, erst mit 13 oder 14 Jahren mit dem Kopfballtraining anzufangen – und dann zunächst mit einem Softball.  

Bei Gehirnerschütterungen richtig reagieren

Bereits beim kleinsten Verdacht einer Gehirnerschütterung rät Dr. Klemt, den Spieler:in vom Feld zu nehmen und bei anhaltenden oder schwerwiegenden Beschwerden ärztlichen Rat einzuholen. „Frühzeitiges Erkennen und eine gezielte Behandlung helfen etwaige Folgen zu minimieren und ermöglichen eine optimale Rehabilitation sowie Rückkehr zum vorherigen Leistungsniveau.“
Eine Wiederaufnahme des Trainings sei frühestens nach einer Woche ratsam, nach Abstimmung mit einer fachkundigen Person und unter Beachtung eines Stufenplans. „Heute weiß man, dass Störungen komplexer koordinativer Abläufe nach einer Gehirnerschütterung einige Wochen anhalten können und die Sportlerin oder der Sportler dabei vermehrt verletzungsgefährdet ist“, gibt Klemt zu Bedenken und verweist auf zwei Hilfsmittel zum Erkennen von Gehirnerschütterungen: die in Zusammenarbeit mit der Fifa entstandene Concussion Recognition Tool Taschenkarte und die GET-App der Hannelore Kohl Stiftung und der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG).

Mögliche Spätfolgen für Profisportler:innen

„Der einzelne Kopfball oder eine Gehirnerschütterung haben nicht umgehend langfristige Schäden zur Folge“, erklärt Dr. Ehrle-Anhalt. „Erst die Häufung vieler Mikrotraumen spielen neben Faktoren wie Genetik oder Ernährung bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen eine Rolle.“ Eine Chronische Traumatische Enzephalopathie (CTE) kommt häufig erst nach vielen Jahren bei Profisportler:innen zum Vorschein, welche wiederholt Schläge und Zusammenstöße mit dem Kopf erlitten.

„Insbesondere Boxer und American Football-Spieler:innen sind hier zu nennen. Die Ergebnisse bisheriger Studien sollten wir jedoch nicht zwingend auf den Amateursport übertragen“, rät der Neurologe und ergänzt: „Halten Sie den Ball flach, achten Sie auf erste Anzeichen einer Gehirnerschütterung und schonen Sie den Sportler oder die Sportlerin und dessen Kopf nach Zusammenstößen umgehend. So macht der Sport auch langfristig und nachhaltig Spaß.“

Was bedeutet CTE (Chronische Traumatische Enzephalopathie)?

CTE ist eine seltene fortschreitende degenerative Erkrankung des Gehirns, die durch viele wiederholte Mikrotraumen, zum Beispiel durch Akzelerations-/Dezelerations-Mechanismus in Kontaktsportarten entsteht. Bei Akzeleration handelt es sich um ein Trauma durch Beschleunigung, während das Dezelerationstrauma durch Abbremsen auftreten kann.

Folglich entsteht eine abnorme Anhäufung des Tau-Proteins im Gehirn. Die sogenannte Tauopathie ist auch bei Morbus Alzheimer und weiteren degenerativen Erkrankungen des Gehirns kennzeichnend. Das klinische Bild der CTE ist variabel und reicht von motorischen Funktionsstörungen wie beispielsweise Gangstörungen (Ataxie), über kognitive Veränderungen wie Aufmerksamkeitsdefizite und Erinnerungsschwierigkeiten bis hin zu Verhaltensveränderungen und psychischen Symptomen wie Aggressivität, Apathie und Depression.

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