Annett Schneider: "Jeder Mensch ist es wert – und daran halte ich fest"

Annett Schneider: "Jeder Mensch ist es wert – und daran halte ich fest"

Annett Schneider ist seit acht Jahren Ergotherapeutin in der Adaptionseinrichtung der Soteria Klinik. Diese ist Teil des Helios Park-Klinikums Leipzig. Die drei- bis viermonatige Adaption hilft suchterkrankten Menschen nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung zurück ins Leben zu kommen. Berufsperspektive, Freizeitgestaltung, soziales Umfeld – Ziel ist es, gemeinsam einen gesunden Weg zu etablieren. Vom Balanceakt in einer Zeit, die Distanz fordert.

Annett Schneider ist seit acht Jahren Ergotherapeutin in der Adaptionseinrichtung der Soteria Klinik. Diese ist Teil des Helios Park-Klinikums Leipzig. Die drei- bis viermonatige Adaption hilft suchterkrankten Menschen nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung zurück ins Leben zu kommen. Berufsperspektive, Freizeitgestaltung, soziales Umfeld – Ziel ist es, gemeinsam einen gesunden Weg zu etablieren. Vom Balanceakt in einer Zeit, die Distanz fordert.

Die klassische Ergotherapie, wie wir sie in der Langzeittherapie der Soteria Klinik praktizieren, ist eher Beschäftigungstherapie. Etwas Schönes zum Erfolg führen und sich daran erfreuen, es geschafft zu haben“

Annett Schneider, Ergotherapeutin, Helios Park-Klinikum Leipzig

„Die klassische Ergotherapie, wie wir sie in der Langzeittherapie der Soteria Klinik praktizieren, ist eher Beschäftigungstherapie. Etwas Schönes zum Erfolg führen und sich daran erfreuen, es geschafft zu haben“, erklärt Annett Schneider den Unterschied zu ihrer Arbeit in der Adaption. „Bei uns ist es eher das Arbeitstherapeutische: ‚Wie kann ich wieder selbstständig werden im Leben? Wie bewerbe ich mich?‘ Aber auch: ‚Wo werde ich wohnen? Welchem Hobby möchte ich nachgehen? Wie schaffe ich es, das alles körperlich zu bewältigen? Wie tue ich mir etwas Gutes?" Die Ergotherapeutin beschreibt ihre Tätigkeit als eine Alltagsbegleitung. „Ich betreue, begleite und berate.“

Die Psyche wird vergessen

Klinikgesicht Annett Schneider

Annett Schneider hat in der Vergangenheit in ergotherapeutischen Praxen und einer Förderschule gearbeitet. Der psychosoziale Bereich lag dabei schon immer im Fokus. Die Adaption bietet für sie die Möglichkeit, „über den Tellerrand schauen und andere Bereiche kennenzulernen“. Die zentrale Motivation der Ergotherapeutin ist es, Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, Teil unserer Gesellschaft zu sein, statt „am unteren Rand zu hängen“, wie sie es formuliert. „Es wird immer gesagt ‚In Deutschland werden alle aufgefangen. Alle haben hier die Chance. Es muss niemand arbeits- und obdachlos sein“, beschreibt Annett Schneider ihren Eindruck der sozialstaatlichen Gesellschaft, „aber die Psyche wird oft vergessen. Und dass es eben auch eine große Herausforderung ist, in so einem klaren, strukturierten, engmaschigen System durchzufallen. Viele können nichts dafür. Sie hatten zum Beispiel ein schwieriges Elternhaus und haben von dort wenig mitgegeben bekommen. Und trotzdem müssen sie sich in diesem hoch strukturierten Leben irgendwie finden. Das schaffen viele einfach nicht und rutschen ab.“ Das Dilemma bestehe auch darin, dass viele ihrer Patientinnen und Patienten in unserer Gesellschaft auf wenig Akzeptanz stoßen und abgeschoben werden. Doch Annett Schneider sagt voller Überzeugung: „Sie sind es wert und daran halte ich fest – darum bin ich hier.“

Den Erfolg ihrer Arbeit erlebt die Therapeutin vor allem, „wenn jemand sich gerne mal wieder meldet und sagt ‚Es läuft. Das Leben ist schön. Ich habe immer noch Arbeit und lebe in einer glücklichen Beziehung‘.“ Das alljährliche Ehemaligentreffen kann durch die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie derzeit nicht stattfinden. Es ist einer von vielen Punkten, der ihre Arbeit in der derzeitigen Situation erschwert. „Unsere Patient:innen sollen hier ein neues Leben aufbauen und ihren Weg gehen. Aber Corona hat ja tatsächlich alles gestoppt im Leben. Die Welt steht irgendwie still.“ Der Ansatz, die Abstinenz durch Zufriedenheit anzunehmen, stößt auf Widerstände. „Wir müssen auch gucken, dass wir hier im Haus sauber bleiben. Sonst haben wir Angst, dass hier alles dicht gemacht wird. In dieser appellierenden Rolle fühle ich mich nicht immer wohl. ‚Abstand halten, Maske auf‚ – man ist wie eine Mutti. Das nervt schon.“ Der Frust, den alle momentan in sich tragen, trifft Annett Schneider auch in ihrer Arbeit.

Unsere Seele ist belastbar und dehnbar

Annett Schneider

Um in dieser bewegten Zeit selbst gesund zu bleiben, führt das Team regelmäßig Interversionen durch. „Wir tauschen uns viel miteinander aus und das hilft sehr.“ Auch im Privaten sehnt sich die Ergotherapeutin nach „Normalität, Freiheit und danach, nicht an Einschränkungen denken zu müssen“. Ihre zweieinhalbjährige Tochter formuliert in kindlicher Leichtigkeit den Wunsch, der wohl stellvertretend für viele spricht: ‚Mama, ich möchte in den Zoo gehen und Pflaumen essen‚. „Unsere Psyche macht ziemlich viel mit, sie ist belastbar und dehnbar. Aber ich freue mich auf entspanntere Zeiten“, schließt Annett Schneider wohlwollend ab.