„Auf das, was wir sagten, hat man sich verlassen“

„Auf das, was wir sagten, hat man sich verlassen“

Torsten Kämmer leitet seit 2017 die Stabsstelle Krankenhaushygiene im Herzzentrum Leipzig. Der ehemalige Oberarzt der Anästhesie und Intensivmedizin und sein Team arbeiten gewöhnlich im Hintergrund. Sie behalten bestimmte Erreger im Blick, dokumentieren diese, schulen die einzelnen Stationen und stehen beratend zur Seite. Anfang 2020 verschiebt sich diese Rolle maßgeblich. Die Krankenhaushygiene steht nun in erster Reihe und gestaltet die Bewältigung der Pandemie mit ihrer Expertise aktiv mit.

Vor seinem Wechsel 2017 ins Herzzentrum war Torsten Kämmer im Helios Park-Klinikum Leipzig als Oberarzt in der Anästhesie und Intensivmedizin tätig. „Ich habe überlegt, ob die Anästhesie mein Weg bis zum Ausscheiden aus dem Berufsleben ist. Und da habe ich dann mal nach Alternativen geschaut“, erzählt Torsten Kämmer von seinen ersten Ambitionen der beruflichen Veränderung. „In der Intensivmedizin spielt die Hygiene eine große Rolle. Es hat mich gereizt, mich nochmal mit etwas auseinanderzusetzen. Darum habe ich die curriculare Fortbildung als Hygieniker gemacht.“

Alltag in der Krankenhaushygiene

Zuerst einmal scheint der Bereich der Krankenhaushygiene schwer greifbar. Die Aufgaben und Verantwortungsbereiche von Torsten Kämmer und seinem Team sind vielschichtig. „Eine Gemeinschaftsarbeit“, wie der Hygieniker selbst sagt. So analysiert der Bereich der Krankenhaushygiene täglich die Befunde bestimmter Erreger. Über die eingehenden Labormeldungen werden die Daten dokumentiert und in ein System eingepflegt. Die Frage ist, ob bestimmte lokale Häufungen auftreten. Die Hygieneabteilung hat somit eine Überwachungs- und Bewertungsfunktion für das Haus. Tritt eine solche Häufung auf, beraten Torsten Kämmer und sein Team bezüglich der notwendigen Maßnahmen. Neben diesem Tagesgeschäft kommen Schulungen, die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt oder technische Fragen dazu. „Die Herausforderungen und zunehmende infektiologische Fragestellungen kamen vor der Corona-Pandemie immer in der Grippe- oder Norovirus-Saison oder beim Auftreten hochresistenter Erreger in Bereichen des Hauses. Zwei, dreimal im Jahr fassen wir alle Ergebnisse zusammen und präsentieren sie den Leitungen“, erklärt Torsten Kämmer.

Eine Bedrohung rollt an

Klinikgesicht Torsten Kämmer

Die bevorstehende Katastrophe erahnt Torsten Kämmer bereits früh: „Ich habe im Februar gedacht: Oh, hier rollt was auf uns zu, was man nicht mehr einfach behandeln kann. Ab da habe ich es als Bedrohung wahrgenommen“, erinnert der Abteilungsleiter sich zurück. „Die anfängliche Skepsis im Haus wich spätestens nach Ischgl.“ Der plötzliche Corona-Ausbruch im österreichischen Skigebiet sorgt für eine massive Ausbreitung der Infektionen und zeigt endgültig die Macht des Virus. Mit Beginn der Pandemie verschiebt sich die Rolle der Krankenhaushygiene deutlich.

Das Miteinander, das Erkrankungen verhindert

Während die Hygiene zuvor als beratende Instanz zur Seite stand, wird ihre Meinung während der Pandemie zum festen Standpunkt: „Auf das, was wir sagten, hat man sich verlassen“, erinnert sich Torsten Kämmer an seine Wahrnehmung. „Wir haben jeden Tag gelernt, dass das, was wir gestern für richtig hielten, heute schon wieder falsch sein konnte. Wir mussten zwischen politischen und medizinischen Entscheidungen zum Umgang mit der Pandemie ein Gleichgewicht im Sinne des Hauses finden. Und auch mit einem Materialmangel mussten wir lernen umzugehen.“ In Hinblick auf diese Herausforderungen schaut Torsten Kämmer anerkennend auf die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen zurück: „Die Taskforce, zum Beispiel, bestand aus allen am Standort tätigen Berufssparten. Die Zusammenarbeit war immer konstruktiv, immer zielorientiert, wie übrigens mit allen Abteilungen des Hauses.“ Die tagesaktuellen Reaktionen auf die sich ständig verändernden Bedingungen und die Informationspolitik hebt Torsten Kämmer besonders positiv hervor.

Zur Aufklärung aller Mitarbeitenden wurde, neben der Intensivierung der Schulungen der Krankenhaushygiene, auch eine telefonische Anlaufstelle durch das Herzzentrum und Helios Park-Klinikum geschaffen: „Es wurde eine Art Callcenter eingerichtet, damit man dort anrufen und fragen konnte. Dort waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der beiden Häuser tätig, die den ganzen Tag Fragen beantwortet haben.“ Dieses Engagement beschreibt Torsten Kämmer auch speziell für seine Abteilung: „Es entstand so eine 24/7-Mentalität. Alle mussten täglich mehrfach schauen was es Neues gab, umfangreiche Befunde sichten, darauf reagieren, einen riesigen Informationsbedarf stillen, Material verteilen, Umzüge begleiten – bis zum Abend konnte manches bereits wieder überholt sein.“  Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Abteilung sahen das als selbstverständlich an, als Beitrag zur Pandemiebekämpfung.

Dieses konstruktive Miteinander im Haus, die Einhaltung von aufwändigen Hygieneregeln und ein stringentes Testregime konnten viele Erkrankungen verhindern. „Ich denke, dass wir als Haus recht gut durchgekommen sind. Das ist noch mal wichtig zu betonen“, fasst er aufrichtig zusammen. „Das alles ist sehr, sehr anstrengend. Viele sind wirklich über ihre Grenzen hinausgegangen. Aber wir haben – toi, toi, toi – keine Kolleg:innen verloren.“

Das ist der Beitrag, den jede:r Einzelne jetzt mal leisten muss. Das ist Pandemie. Dann kannst du mal nicht ins Kino gehen. Dafür haben wahrscheinlich viele, viele überlebt. Und wenn wir in zwei Jahren immer noch mit Masken im Krankenhaus rumlaufen und Zettel in der Gaststätte schreiben werden, dann müssen wir eben leider damit leben.

Torsten Kämmer, Leiter der Stabstelle Krankenhaushygiene im Herzzentrum Leipzig

Ein Blick in die Zukunft

Klinikgesicht Torsten Kämmer

Torsten Kämmer und sein Team schauen zuversichtlich in die Zukunft, wie er zufrieden erzählt. Er sei sehr froh über die hohe Impfbereitschaft im Haus. Die Einschränkungen der letzten Monate sind für den Hygieniker ein pragmatisches Mittel: „Das ist der Beitrag, den jede:r Einzelne jetzt mal leisten muss. Das ist Pandemie. Dann kannst du mal nicht ins Kino gehen. Dafür haben wahrscheinlich viele, viele überlebt. Und wenn wir in zwei Jahren immer noch mit Masken im Krankenhaus rumlaufen und Zettel in der Gaststätte schreiben werden, dann müssen wir eben leider damit leben“, sagt er bestimmt. Dem entgegen steht der große Gewinn der gemeinsamen Zeit: „Ich würde mir wünschen, dass dieses gleichberechtigte Zusammenarbeiten von vielen am Tisch beibehalten wird. Jede:r trägt bei einem Projekt einen Beitrag dazu. Und ich wünsche mir, dass alle reflektieren, dass es ein hundertprozentiges Zurück zum Anfang nicht geben wird.“