Sie habe sicherlich ein persönliches Anliegen, warum Sie sich auf unserer Homepage der Abteilung für Psychosomatische Medizin an der Helios Marien Klinik informieren möchten. Wir wissen aus vielen aktuellen Vorgesprächen und Berichten von Patientinnen und Patienten, dass diese häufig neben ihren eigentlichen psychosomatischen Problemen in den letzten Monaten besonders unter der Coronapandemie und den damit einhergehenden Einschränkungen leiden. Daher möchten wir Ihnen auch zu diesem aktuellen Thema einige Hinweise und Anregungen geben.
So lösen detaillierte Berichte, besonders auch Videos, über mögliche körperliche Symptome bei einer Infektion mit dem neuen Virus bei Menschen mit somatoformen Störungen, deren körperlich empfundene Symptome nicht (nur) auf körperliche Erkrankungen zurückgeführt werden können, starke Anspannung und Sorge aus, die so weit gehen können, dass sie alle Beschwerden, die ein Coronainfizierter haben kann, selbst an sich spüren. Eine Beruhigung durch den Hausarzt klappt nicht immer oder hält nicht lange an. Betroffene wünschen wiederholte Tests, um sich sicherer zu fühlen und sich wieder beruhigen zu können. Patienten mit somatoformen Störungen leben oft schon durch ihr Leiden sozial zurückgezogen. Dies wird durch die offiziellen Vorsichtsmaßnahmen im Rahmen der Pandemie noch verstärkt. Wenn dann noch existentielle Probleme oder Sorgen um Angehörige dazu kommen, können sich Ängste und depressive Symptome einstellen, gegenseitig verstärken und zu Anpassungsstörungen führen.
Besonders belastet sind die Patienten mit psychogener Schluckangst, deren Hauptsymptom die Angst vor dem Ersticken ist. Durch die Fernsehberichte und Zahlen von beatmungspflichtigen, „erstickenden“ Patienten werden ihre eigenen panischen Befürchtungen verstärkt.
Aber auch Menschen mit körperlichen Erkrankungen wie Lungenkrankheiten, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Mellitus, Übergewicht oder Krebserkrankungen erfahren durch die Medien, dass sie zur Risikogruppe gehören. Dies kann zu starker Verunsicherung und Ängsten führen, zu einer Zunahme von Symptomen. Bei Hilflosigkeits- und Überforderungserleben neigen einige Patienten dazu, die Behandlung ihrer Grunderkrankung schleifen zu lassen oder zu ignorieren, mit teils gravierenden Folgen. Oder es werden die regulären Medikamente abgesetzt oder andere ohne Indikation eingenommen, ebenfalls mit teils gefährlichen Konsequenzen.
Patienten mit Asthma berichteten von ihrer großen Angst, im Falle einer Infektion keinen für Infektiöse erforderlichen Rettungswagen zur Verfügung gestellt zu bekommen, nicht schnell genug in ein geeignetes Krankenhaus kommen zu können oder dass kein Beatmungsgerät für sie vorhanden sei. Auch benannten sie es als unangenehm, am Anfang der Coronakrise - als noch wenig über die erforderlichen Schutzmaßnahmen und die Infektiosität des Virus bekannt war - zum eigenen Schutz vor einer Infektion auf die Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen zu sein, etwa beim Einkauf.
Von Patientinnen und Patienten mit Essstörungen haben wir berichtet bekommen, dass der Wegfall der Tagesstruktur durch Schule, Ausbildung, Studium, Beruf oder Job mit mehr Leerlauf, reduzierten sozialen Kontakten oder Homeoffice zu einer Verstärkung der Erkrankung führte. Diejenigen, die unter heimlichen Essanfällen oder Essbrechanfällen leiden und damit belastende Gefühle wie Wut, Ärger, Neid, Scham und Angstgefühle zu regulieren versuchen, berichteten, dass die Gegenwart anderer Zuhause, das Praktizieren der Essstörungssymptome erschwere und damit die Symptomatik und Not noch verstärkt wurde. Wenn das Ausmaß der Essstörung nicht mehr verheimlicht werden kann, führt dies häufig zu Spannungen im häuslichen Umfeld. Auch das Tragen des Mund- und Nasenschutzes wurde von einigen als besonders belastend erlebt. Patientinnen und Patienten, die mit Sport im Rahmen ihrer Essstörung gegenregulieren, litten unter den geschlossenen Fitnessstudios, da dies häufig auch der Ort ihrer teils einzigen sozialen Kontakte sei.Aber auch die permanente Anwesenheit des Partner, der Familie oder von Mitbewohnern und Nachbarn kann überfordernd sein, gerade bei den Menschen, die Schwierigkeiten haben sich abzugrenzen. Und die Angst vor erhöhter häuslicher Gewalt wurde benannt.
Patienten mit Traumafolgestörungen erleben die Ungewissheit, die fehlende Berechenbarkeit und das Gefühl der permanenten Bedrohung und Schutzlosigkeit in Zeiten der Viruspandemie als Trigger für ihre Traumaerlebnisse. Die eingeschränkte, nonverbale Kommunikation und Einschätzbarkeit eines Gegenübers durch das Tragen eines Mund-Nasenschutzes mit fehlender Mimik ist für viele traumatisierte Patienten unerträglich. Durch die Fernsehberichte von Massengräbern können zudem gerade bei älteren Menschen oder Menschen aus Krisengebieten Kriegserlebnisse reaktiviert werden.
Die Gesamtsituation wird für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen noch erschwert, da Psychotherapie nicht oder nur seltener oder über Video und telefonisch stattfinden kann. Patienten die noch auf der Suche nach einem Therapieplatz sind, haben es derzeit noch schwerer weil die Wartezeiten noch länger sind. Und das verschärft die Situation noch, denn in dieser Krisenphase sind psychisch kranke Menschen auf die Stabilisierung durch psychotherapeutische Behandlungen angewiesen.