SOP Enterale* und parenterale Ernährung im Aggressionsstoffwechsel
Die adäquate Ernährung des schwer kranken Patienten stellt eine häufig unterschätzte Herausforderung dar. Wie wir mit dieser Herausforderung umgehen, ist hier ausführlich beschrieben.
Inhaltsverzeichnis
* Bei chirurgischen Patienten ist mit dem jeweiligen Operateur abzusprechen, ob eine enterale Ernährung möglich ist.
Patienten, die voraussichtlich nicht innerhalb von 3 Tagen vollständig oral ernährt werden können, werden zusätzlich über Sonde enteral ernährt.
1 Enterale Ernährung
- Grundsätzlich gilt, dass bei fehlenden Kontraindikationen eine minimale enterale Ernährung von 20 ml/h („Zottenernährung“) immer anzustreben ist.
- Wenn der Patient hämodynamisch stabil ist:
- Beginn der enteralen Ernährung binnen der ersten 24 h
- Steigern in den ersten 48 h bis auf 60 ml/h FOF (= 15 - 20 kcal/kg Idealgewicht/Tag)
- anschließend steigern nach Flussschema der enteralen Ernährung auf Intensivstation entsprechend der gastrointestinalen und metabolischen Verträglichkeit auf 100 ml/h FOF (= 25 - 30 kcal/kg Idealgewicht/Tag)
- Wenn der Patient hämodynamisch instabil ist:
- keine Kalorien
- nur Elektrolyte
Nach Stabilisierung enteraler Kostaufbau wie beim hämodynamisch stabilen Patienten.
2 Parenterale Ernährung
- Beim nicht mangelernährten Patienten erfolgt in den ersten 5 Tagen keine additive parenterale Ernährung.
- Bei Patienten mit Zeichen der Mangelernährung erfolgt von Beginn an die parenterale Ernährung, um das minimale Kalorienziel von 15 - 20 kcal/kg Idealgewicht/Tag zu erreichen (FOF + SMOF maximal 60 ml/h).
- Ab dem 6. Tag erhalten Patienten aus beiden Gruppen additiv eine parenterale Ernährung, um das Kalorienziel von 25-30 kcal/kg Idealgewicht/Tag zu erreichen (FOF + SMOF maximal 100 ml/h).
3 Monitoring
- initiale Bestimmung von Serumphosphat, bei Normwert Kontrolle alle 2 Tage, ggf. Phosphatsubstitution und Reduktion der Kalorienzufuhr.
- Triglyceride: Kontrolle alle 2 Tage. Wenn > 5 mmol/l, dann Fettpause + Kontrolle der Triglyceride am nächsten Tag.
- Blutglukose: Wenn Insulinbedarf > 6 IE/h bzw. 144 IE/d, dann Reduktion der Glukosezufuhr, siehe Schema.
- Kontrolle von Natrium, Kalium, Magnesium und ionisiertem Calcium und Korrektur, falls notwendig.
- Auf Refeeding-Syndrom (Serumphosphat, s.u.) achten!
- Gelingt enteraler Kostaufbau innerhalb von drei Tagen nicht, sollte die Anlage einer sog. tiefen Ernährungssonde jejunal und Einsatz von Survimed® OPD diskutiert werden. Die tiefe Ernährungssonde sollte nach spätestens 6 Tagen definitiv angelegt sein.
- Im Einzelfall kann eine enterale Zufuhr von Survimed® renal diskutiert werden (deutlich reduzierter Na+- und K+-Gehalt, dafür deutlich mehr Kalorien: 1 Beutel = 80 g = 330 kcal, Tagesdosis 4 - 6 Beutel; mit je 200 ml H20 pro Beutel auflösen).
- Parameter, die eine Verwertungsstörung im Rahmen enteraler/parenteraler Ernährung anzeigen:
- Insulinbedarf > 6 IE/h i.v., um Blutglukose bei 6 - 10 mmol/l zu halten
- Triglyceride > 5 mmol/l
- Serum-Phosphat < 0,5 mmol/l (schwere Hypophosphatämie)
4 Korrektur der Hypophosphatämie
- 1 Amp. zu 20 ml (20 mmol Natriumglycerophosphat) + 50 ml Wasser für Injektionszwecke/1 h Infusionsdauer (zentral oder peripher)
- Ziel: Serumphosphat bei ca. 1,0 mmol/l halten
- Achtung: bei Hyperphosphatämie ⇒ Hypokalzämie + Tetanie
5 Refeeding-Syndrom
- Typisches Auftreten bei mangelernährten Patienten 2 - 4 Tage nach Wiederbeginn oraler, enteraler oder parenteraler Ernährung!
- Hypophosphatämie, häufig begleitet von
- Hypokaliämie
- Hypomagnesiämie
- Flüssigkeitsretention
- Hyperglykämie
- Schwere Hypophosphatämie: Serumphosphat < 0,5 mmol/l ⇒ Risiko von Nebenwirkungen steigt
- Komplikationen
- kardial: plötzlicher Herztod, Arrhythmie, Herzinsuffizienz, Schock, Hypotonie
- respiratorisch: Dyspnoe, Ateminsuffizienz, Weaning-Probleme
- neurologisch: Delir, Parästhesien, Lähmungen, Tetanie, Krampfanfälle
- hämatologisch: Hämolyse, Thrombozytopenie, Thrombozytendysfunktion
- muskuloskeletal: Rhabdomyolyse, Myalgie, Zwerchfellschwäche
- sonstige: Niereninsuffizienz, Azidose, Sepsis, Wernicke-Syndrom
Dr. med. Christian Icke
Chefarzt Anästhesie und Intensivmedizin
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