Tag der seltenen Erkrankungen

Die Chefärztin der Hautklinik Dr. Lommel über einen rätselhaften Fall

Die Chefärztin der Hautklinik Dr. Lommel über einen rätselhaften Fall

Am Tag der Seltenen Erkrankungen soll auf die Patienten aufmerksam gemacht werden, die von einer Krankheit betroffen sind, die weniger als fünf von 10.000 Menschen betrifft. Dr. med. Kerstin Lommel erzählt von einer Patientin, die ihren hartnäckigen Forschergeist weckte...

„Die Patientin, Mitte 60, stellte sich mit einem eigentlich banalen Problem vor: Akne am Körper. Man hätte die Dame mit einer Salbe wieder nach Hause schicken können. Aber mir fiel eine eigenartige und seltene Kombination weiterer Symptome auf: Sie hatte einen deutlichen Damenbart und in der Scheitelregion am Kopf wiederum sehr dünnes Haar, außerdem litt sie unter einem Diabetes. Könnte das irgendwie alles miteinander zusammenhängen?

Da der Damenbart und das dünne Haar am Kopf wirklich seltsam war und eindeutig männlich wirkte, gab ich eine Untersuchung ihres Hormonstatus in Auftrag. Treffer! Die männlichen Hormonwerte der Frau waren massiv erhöht. Doch was war hierfür die Ursache?

Ich bat Kollegen aus anderen Fachdisziplinen hinzu: Unser Diabetologe/Endokrinologe sollte die Funktion der Nebennieren überprüfen und die Gynäkologen die Funktion und das Aussehen der Eierstöcke – denn irgendeinen „Übeltäter“, der für die Symptome der Vermännlichung verantwortlich war, musste es geben. Doch die hormonbildenden Nebennieren waren in Ordnung. Auch die Eierstöcke machten im MRT einen normalen Eindruck, abgesehen von einer leichten Verplumpung. Weitere Untersuchungen brachten uns auch nicht weiter. Was könnte nur dahinterstecken?

Es blieben eigentlich nur die Eierstöcke als Ursache. Sie wurden operativ entnommen und eingehend untersucht. Ich saß gerade am Schreibtisch, als die Expertin aus unserer Pathologie anrief: Sie hatte die Gewebeprobe vor sich und einen ganz seltenen Befund entdeckt, so genannte Leydig-Tumor-Zellen. Leydig-Zellen kommen vor allem im Hoden vor, nur in sehr geringer Menge auch im Eierstock. Dass diese Zellen tumorartig werden, habe ich in meiner mehr als 20-jährigen Arbeit als Ärztin erst einmal erlebt. Der zum Glück gutartige Tumor ließ durch seine übermäßige Hormonproduktion der Patientin Haare im Gesicht wachsen und am Kopf ausfallen, er ließ Akne am Körper entstehen und förderte den Diabetes.

Nach der Entfernung der Eierstöcke besserten sich die Akne, der Damenbart und der Diabetes der Patientin deutlich. Die lichte Kopfbehaarung ließ sich nicht mehr rückgängig machen – aber trotzdem genoss die Frau wieder eine ganz neue und unbeschwerte Lebensqualität."