Zusammenhalt in der Familie: Unser Zuhause wurde bunter

Zusammenhalt in der Familie: Unser Zuhause wurde bunter

Wenn die Jüngsten sich auf spielerische Art einmal ganz groß fühlen wollen, tauchen sie ein ins klassische Rollenspiel „Vater, Mutter, Kind”. Im realen Familienalltag werden diese Rollenbilder immer häufiger aufgebrochen. Heute lässt sich der Begriff Familie nicht mehr in ein vorgeformtes Raster stecken. Es ist vielschichtiger geworden, bunter und intergeschlechtlich.

Die Zahl der Single-Haushalte steigt: Rund 17,6 Millionen Deutsche lebten im Jahr 2019 nach Aussage des Statistischen Bundesamtes allein. Damit stieg der Anteil der Single-Haushalte seit 1991 von 34 auf 42 Prozent. Diese Zahlen belegen, dass die Wertegesellschaft auch beim Thema Familie einen drastischen Wandel vollzieht. Denn die Palette wird inzwischen durch Konstellationen bereichert, die noch vor wenigen Jahren in der deutlichen Minderheit oder undenkbar waren.

Das klassische Familienbild prägt noch immer die Gesellschaft, wird inzwischen aber durch viele Modelle ergänzt.

Neben der Patchworkfamilie, zu der ein neues Paar samt deren Kinder aus früheren Beziehung gehören, stellen sogenannte Regenbogenfamilien ein weiteres Element des Zusammenlebens dar. In dem Fall sind es gleichgeschlechtliche Eltern, die sich um die Erziehung der Kinder kümmern. Darüber hinaus ist die Anzahl der Alleinerziehenden minderjähriger Kinder auf 1,5 Millionen angestiegen. „Von den 13,1 Millionen Kindern unter 18 Jahren leben inzwischen 18 Prozent mit nur einem Elternteil im Haushalt. In den meisten Fällen ist dies die Mutter“, erläutert Dr. Andries Korebrits, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Helios Park-Klinikum Leipzig.

Im Wandel der Zeit

Entscheidend sei aber nicht das Wie, sondern Dass die Kinder und Jugendlichen einen sicheren Rückhalt in der Familie hätten, betont Korebrits. Denn, wenn Minderjährige und heranwachsende Jugendliche psychische Probleme aufwiesen, so wären die Ursachen dafür zumeist im häuslichen und familiären Umfeld zu suchen.

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie denken wir in Systemen: Familie, Schule, Freunde. Wobei die Familie eines der komplexesten und wichtigsten ist.

Dr. Andries Korebrits, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Helios Park-Klinikum Leipzig

Schon immer seien die drei Bereiche steten Veränderungen unterworfen, je nachdem, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Der Schub, der dem Familienbild gerade widerfährt, ist, gemessen an vorherigen Epochen, jedoch gewaltig. „Jedes System ist in gewisser Weise ein Abbild seiner Zeit“, sagt Dr. Korebrits und zeigt am Beispiel der 1950er Jahre auf, wie schnell diese Entwicklung von statten gehen kann. „Etwas anderes als Mann, Frau und Kinder war damals undenkbar. Diese einfarbige Fassade begann aber schon zwei Jahrzehnte später zu bröckeln und ist nunmehr bunt“, betont er.

Vorbilder und den eigenen Platz finden

Dass Kinder und Jugendliche nicht zwangsläufig das klassische Muster benötigen, um sich gut zu entwickeln, ist hinlänglich nachgewiesen. Entscheidend sei, „dass die Kernfamilie, wie immer sie sich darstellt, intakt ist“, so der Psychiater.

Die Jugend braucht Vorbilder, zu denen sie aufsehen kann, in denen sie sich spiegelt, an denen sie sich austestet und orientiert,

betont Dr. Korebrits.

Dabei spiele es keine Rolle, ob diese Vorbilder hetero, homosexuell oder transgender, ob sie ein leibliches Elternteil oder der neue Partner der Mutter oder des Vaters sind. „Entscheidend ist das Miteinander“, fügt Dr. Korebrits an.

Gerät dieses Gleichgewicht jedoch aus den Fugen, sei Stress vorprogrammiert. Die Kinder suchen dann ihren Platz in der Familie, finden ihn aber nicht mehr. Konfliktsituationen sind so unausweichlich. Nicht minder wichtig ist im Weiteren die Bindungsphase zu den Eltern, die jedes Kleinkind bis zu einem Alter von zwei Jahren durchläuft. Wird sie gestört, sind Probleme oft unvermeidlich.

Schwere Folgen

Kinder aus getrennten Familien sind wesentlich anfälliger für psychische Störungen, sagt Andries Korebrits. Er schätzt, dass etwa 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die in Behandlung kommen, Scheidungskinder sind. Gegenwärtig hätten sie es doppelt schwer, äußert er in Hinblick auf die Folgen des Corona-Lockdowns. Wenn das soziale Gefüge aus Freunden und Schule fehle, müsse die Familie zwangsläufig mehr Lasten übernehmen. Kann sie das nicht, erschwert das die vorhandenen Probleme um ein Vielfaches.

Gegenwärtig, erläutert Dr. Korebrits, arbeite man in der Psychiatrie gerade die Folgen der ersten Corona-Welle auf. Was sich dem anschließt, mag er sich noch nicht vorstellen. Fest steht aber, davon ist der Psychiater überzeugt, „dass die Gesellschaft das nicht so einfach wegstecken wird“.