Ticken Frauenherzen anders?

Ticken Frauenherzen anders?

Lange wurden Geschlechterunterschiede in der Medizin vernachlässigt. Dabei ist es wichtig, diese zu kennen und in der Therapie einer bestimmten Erkrankung zu beachten. Doch noch immer wird nicht nur bei Medikamenten und deren Dosierung vom männlichen Patienten ausgegangen. Anders verhält es sich beispielsweise in der Textilindustrie: es gibt Frauen- und Männergrößen, Frauen- und Männerschnitte. Voilà!

In diesem Artikel möchten wir Frauen zur Herzenssache machen und zeigen, was am weiblichen Herzen speziell ist.

Besonders bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen die Geschlechterunterschiede eine große Rolle. Die bittere Pille vorab: Ja, der Herzinfarkt ist die Todesursache Nr. 1 bei Frauen. Denkt man im Infarktzusammenhang landläufig nicht eher an überlastete (männliche) Manager? Und in der Tat, auch kulturelle Hintergründe spielen eine Rolle, wenn es um weibliche Risiken und deren Einschätzung bei Herzerkrankungen geht.

In der westlichen Welt sind zwei Drittel der Patient:innen mit Herzgefäßerkrankungen nach wie vor Männer. Frauen sind durch die Geschlechtshormone viele Jahre gut davor geschützt. Aber wenn Frauen einmal erkrankt sind, trifft es sie deutlich schwerer. Das Geschlecht muss bei der Diagnose und Therapie stärker berücksichtigt werden.

Prof. Dr. Sandra Eifert, Herzchirurgin am Herzzentrum Leipzig

Die Geschlechterunterschiede erstrecken sich über den gesamten Verlauf einer Erkrankung – von den Risikofaktoren, über die Symptome und die Diagnostik bis hin zur Therapie.

Von gebrochenen Herzen

„Der Kummer, der nicht spricht, nagt leise an dem Herzen- bis es bricht.“ wusste schon Shakespeare.

In der Tat scheint emotionaler Stress Frauenherzen mehr zu schaden als Männern. Die stressbedingte Form der Herzschwäche ist als Broken-Heart-Syndrom bekannt; in der Fachsprache heißt es Tako-Tsubo-Kardiomyopathie. Hierbei zeigen sich EKG-Veränderungen wie bei einem Herzinfarkt, die Pumpfunktion ist meist deutlich verringert und bestimmte Regionen der linken Herzkammer bewegen sich schlechter. Dies kann u.a. auf eine Überempfindlichkeit der so genannten Betarezeptoren, die auf dem Herzen sitzen, zurückzuführen sein. Nicht selten werden Patientinnen mit Herzbeschwerden fälschlicherweise zum Psychiater oder Psychologen überwiesen.

Fakten

  • Frauenherzen sind leichter: 4,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht vs. 5,7 Gramm bei Männern
  • Frauenherzen haben weniger Muskelmasse (Testosteron)
  • Frauenherzen schlagen schneller, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen: 70 x pro Minute vs. 60 x bei Männern
  • Herzerkrankungen entwickeln sich durchschnittlich zehn Jahre später als bei Männern.
  • Etwa ab dem 50. Lebensjahr geht die Erkrankungskurve bei Frauen weit steiler nach oben.
  • In jüngeren Jahren ist das Frauenherz gut durch das Hormon Östrogen geschützt. Dieser Schutz fällt mit/ nach den Wechseljahren ab.
  • Herzerkrankungen werden bei Frauen oft später entdeckt, weil die Symptome unspezifischer sind.
  • Durch Übergewicht erhöht sich das Herzinfarktrisiko bei Frauen um das Zwanzigfache.

Symptome richtig deuten, Unterschiede erkennen

Viele unspezifische Symptome, die bei Frauen auftreten, können auf eine Herzerkrankung hindeuten, könnten allerdings auch andere Ursachen haben. So zum Beispiel Erschöpfung, Unwohlsein, Kurzatmigkeit, abnehmende Leistungsfähigkeit, Übelkeit sowie Rückenschmerzen. Das macht die richtige Diagnose anspruchsvoll. Ein drohender Herzinfarkt kann u.U. zu spät erkannt oder falsch gedeutet werden.

Obwohl Frauen- und Männerherzen funktionell gleich aufgebaut sind – anatomisch sich allerdings ein wenig unterscheiden –, entwickeln sie sich im Laufe des Lebens unterschiedlich. Bei Frauen hängt die eingeschränkte Pumpfunktion der linken Herzkammer vor allem vom Alter ab und wird stark von Diabetes mellitus beeinflusst. Bei Männern spielt vor allem die sich verändernde Auswurfleistung selbst eine starke Rolle.

Lifestyle & Vorsorge

Ein wichtiger Aspekt im Hinblick auf ein gesundes Frauenherz ist vor allem die Kenntnis der geschlechtsspezifischen Risikofaktoren. Die klassischen Risikofaktoren (Rauchen, Fettstoffwechselstörung, Zuckerkrankheit und Bluthochdruck) spielen bei Männern und Frauen eine Rolle, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Achtsamkeit ist in vielerlei Hinsicht gefragt.

Für Frauen spielen zusätzlich die Schwangerschaftskomplikationen (Bluthochdruck oder Zuckerkrankheit während der Schwangerschaft) eine große Rolle. Rheumatische und Autoimmunerkrankungen treffen Männer und Frauen als Risikofaktoren für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gleichermaßen.

Alles in allem betrachtet geht es nicht nur um körperliche Fitness oder Aktivität und z. B. das Vermeiden von Übergewicht, sondern auch um das seelische Gleichgewicht und die Vermeidung von emotionalem Stress. Besonders jenseits der Menopause sollten Frauen mehr auf sich achten und auch vermeintlich herzfernen Symptomen Beachtung schenken.

Zeichen der Zeit:

Gerade versuchen wir, unsere Sprache gendergerecht zu gestalten. Die Gendermedizin, bei der Frauen mehr Beachtung geschenkt wird, hinkt bisweilen hinterher. Aber Besserung ist in Sicht. So gibt es am Herzzentrum Leipzig schon seit Jahren die Frauenherzsprechstunde. Und das ist gut so.