Was Studien erreichen

Was Studien erreichen

Wuppertal

Viele Prozesse in der Medizin gelten als bewährt und werden daher immer gleich durchgeführt. Aber ist es denn auch gut und richtig, eine bestimmte Prozedur immer und bei jedem Patienten anzuwenden? Eine groß angelegte Studie dieser Art betreut Priv.-Doz. Dr. med. Lars Bönicke, Proktologe am Helios Universitätsklinikum Wuppertal. Seine Studie wird voraussichtlich eine Routine durchbrechen.

Herr Dr. Bönicke, worum geht es in der Studie, die Sie betreuen?

Vereinfacht gesagt geht es um die Frage, ob es sich lohnt, nach jeder Hämorrhoiden-Operation eine Tamponade zu legen, die die Blutung stillen soll. Ich selbst mache das normalerweise nicht, aber es wird von sehr vielen Chirurgen gemacht, weil sie Blutungen fürchten. Viele Patienten berichten aber von starken Schmerzen im Moment des Entfernens. Wir untersuchen in der Studie, ob das sinnvoll ist oder vielleicht weggelassen werden kann oder sogar sollte.

Wer hat die Studie entwickelt, wer nimmt daran teil und wie lange läuft sie?

Das Forschungsprojekt wird von der Deutschen Gesellschaft für Koloproktologie geprüft und vom Institut für operative Medizin der Universität Witten/Herdecke (IFOM) wissenschaftlich begleitet. Es handelt sich um eine Helios-weite Studie, die in Oberhausen gestartet ist und nun von Wuppertal aus betreut wird. Es beteiligen sich inzwischen 19 Kliniken. Ich selbst habe rund 200 Patienten, die teilnehmen.

Wer entscheidet, wer eine Tamponade erhält und wer nicht? Wie zeitaufwändig ist die Studienleitung für Sie im Alltag?

Ein Zufallsgenerator schreibt uns vor, welche Patienten mit der Tamponade versorgt werden sollen und welche nicht. Wir legen pro Patient einen dicken Studienordner an, inzwischen haben wir wohl drei Regalmeter davon. Der administrative Aufwand ist groß, jeder Patient muss viele Fragen beantworten, nach der OP wird mehrfach der Schmerzzustand abgefragt. Insgesamt sind das sicher zwei Stunden pro Patient an Mehraufwand.

Ab welcher Fallzahl ist eine Studie denn aussagekräftig?

Es braucht richtig viele Patienten, um einen Effekt messen zu können. Für diese Fragestellung wurde festgelegt,  dass mindestens 953 Patienten in die Studie einbezogen werden müssen. Eine einzelne Klinik kann das nicht schaffen, hier nutzen wir unseren Vorteil als großer Klinikverbund.

Wie überzeugen Sie Patienten, an der Studie teilzunehmen?

Wir erklären jedem Patienten die Fragestellung. Jeder Patient, der eine solche OP bekommt, wird eingeschlossen. Ausschlusskriterien sind Schwangerschaft, eine gleichzeitig bestehende Krebserkrankung oder fehlende Compliance, also wenn jemand nicht verstehen kann, worum es geht.

Wann wird die Studie beendet sein? Wer sorgt für die Umsetzung von Veränderungen?

Diese Studie wird aufgrund ihrer Größe so etwas wie die „absolute Gewissheit“ liefern, ob die Tamponade sinnvoll ist oder nicht. Die Ergebnisse werden in Fachzeitschriften publiziert, dann unter Ärzten diskutiert und in zukünftigen Behandlungen beachtet. Für die Proktologie gibt es keine Leitlinien, aber solche Ergebnisse werden durchaus wahrgenommen.

Wenn Sie selbst die Tamponade normalerweise gar nicht verwenden, wie stehen Sie persönlich zu dem Thema? Würden Sie sich von eindeutigen Studienergebnissen überzeugen lassen, es in Zukunft doch zu tun?

Ja, ich denke, Rituale müssen hinterfragt werden, gerade in der „handwerklichen“ Medizin. Ich selbst würde mich auch durch das Ergebnis auch zu einer Änderung meiner Routine bringen lassen. Ich bin gespannt!

Priv.-Doz. Dr. med. Lars Bönicke und Assistentin Roswita Rexfort betreuen sie sog. Tampon-Studie.